Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Peter Füssl · 14. Sep 2016 · CD-Tipp

Marius Neset/London Sinfonietta: Snowmelt

Der in Kopenhagen lebende, 31-jährige Norweger Marius Neset zählt sowohl als Saxophonist als auch als Komponist zu den ganz großen Ausnahmetalenten, zumal sein Schaffen nicht nur vom nachhaltigen Einfluss des exzentrischen Engländers Django Bates, bei dem er studiert hat, sondern vor allem auch durch seine kaum zu zähmende Neugier auf extreme musikalische Erfahrungen geprägt ist. In dieses Schema passt Nesets neuestes Projekt „Snowmelt“ perfekt, koppelt er doch seine Langzeit-Band mit Pianist Ivo Neame, Bassist Peter Eldh und Drummer Anton Eger mit der renommierten London Sinfonietta zusammen, um eine zwischen 2012 und 2015 auf 239 Notenblättern notiertes Orchesterwerk zu realisieren.

Das Ergebnis ist eine mitreißende musikalische Achterbahnfahrt, die sich im Spannungsfeld zwischen Jazz und klassischer Moderne mit Einflüssen von Berg über Mahler und Strawinsky bis Bartók bewegt. Wild Explosives und ungemein Zartes, lyrische Schönheit und schmerzhaft Dissonantes – das 52 Minuten dauernde Werk mit der siebenteiligen Komposition „Arches of Nature“ im Zentrum ist durch große Kontraste geprägt, die den Hörer in ein Wechselbad von Stimmungen und Emotionen tauchen. Aber auch als Instrumentalist, hier vor allem auf dem Sopransaxophon, versucht Marius Neset, eine Vielzahl an extremen und kontrastreichen Sounds zu kreieren. Die erstklassige Realisierung dieser ungemein komplexen Klangwelten ist aber vor allem auch dem Dirigenten Geoffrey Paterson zu verdanken, der mit der auf Uraufführungen zeitgenössischer Komponisten spezialisierten London Sinfonetta das außergewöhnliche Werk akribisch einstudierte. „Das, was ich mir erdacht habe, hat er auf eine neue Stufe gestellt, wie ich es mir nicht erträumen konnte,“ zollt Marius Neset dem erst 33-jährigen Engländer großen Respekt. Über den tatsächlichen musikalischen Neuigkeitswert des Gebotenen mögen sich auf zeitgenössische Musik spezialisierte Fachkritiker den Kopf zerbrechen, für den stilistisch aufgeschlossenen Musikfan ist „Snowmelt“ jedenfalls eine äußerst lohnenswerte Herausforderung. (ACT)

Konzert-Tipp: Marius Neset & Ivo Neame, Anton Eger, Petter Eldh, Spielboden Dornbirn, Fr 9.12., 20.30 Uhr – www.spielboden.at