Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Peter Füssl · 05. Mai 2021 · CD-Tipp

Marius Neset: A New Dawn

Der nach vielen Jahren in Kopenhagen mittlerweile wieder in Oslo lebende norwegische Saxophonist Marius Neset nutzte die corona-bedingte Zwangspause, um endlich ein lange gehegtes Wunschprojekt zu realisieren: ein Solo-Album auf dem Tenorsaxophon – pur, ohne jegliche Overdubs, ohne technische Effekte. Neset lässt sich von der Pandemie nicht die Stimmung vermiesen, sondern legt – dem optimistischen Titel „A New Dawn“ gemäß – ein nicht nur vor Spielfreude, sondern auch vor musikalischen Ideen sprühendes Konvolut aus zehn Titeln vor, die er ursprünglich für seine Bands oder sogar für Sinfonieorchester geschrieben hatte – man erinnere sich etwa an seine atemberaubenden Großprojekte „Snowmelt“ und „Viaduct“ mit der London Sinfonietta.

Jene spieltechnische Brillanz, die dem in der Kleinstadt Os in der Provinz Hordaland geborenen 36-Jährigen den liebevoll-witzigen Beinamen „Wizard Of Os“ einbrachte, kann er hier voll zur Geltung bringen: „Solo zu spielen erlaubt es einem, sich viel mehr auf die kleinen Details zu fokussieren. Ich habe viel mit unterschiedlichen Soundfarben herumgespielt, etwa durch das Verwenden von Vierteltönen, oder indem ich eine Note sehr sanft mit einem ganz besonderen Ansatz geblasen habe, um einen schönen kleinen multiphonischen Effekt zu produzieren, der kaum hörbar gewesen wäre, wenn ich nicht alleine gespielt hätte.“ Dabei wirkt sein Spiel keineswegs akademisch oder verkopft, sondern vielmehr nach kraftvoll prallem Leben. Ausgehend von einfach wirkenden Melodien entfacht er rhythmisch vertrackte, harmonisch anspruchsvolle Feuerwerke, die sich mit akustischen Ruheinseln abwechseln, modelliert die Töne in allen Farben und Schattierungen und lässt sie schillern. Marius Neset genießt nicht nur als Instrumentalist einen phänomenalen Ruf, sondern auch als Komponist, der sich seine Inspirationen nicht nur aus der Jazzgeschichte, sondern auch von Berg, Mahler, Strawinsky, Messiaen oder Bartók holt. Es sei ein sehr schöner, sonniger, aber eiskalter Wintertag gewesen, an dem er sich in einen kleinen Aufnahmeraum in der Nähe von Oslo setzte und einfach drauflos spielte und aufnahm, was ihm im Moment gerade passend erschien, erzählt der Norweger: „Einige der Stücke sind nicht nur direkt von den vielen Herausforderungen inspiriert, mit denen die Welt heute konfrontiert ist, sondern sie erzählen von Geschichten voller Hoffnung und von strahlenderen Zeiten, die kommen werden. Ich kann es kaum erwarten, wieder mit all meinen Freunden Musik machen zu können, aber in der Zwischenzeit schenkt es mir viel Energie und eine positive Einstellung, bei mir zuhause alleine zu spielen. Wir alle warten auf eine schrittweise Rückkehr ins Leben, wie wir es kannten, auf ein neues Morgenrot.“ Nicht nur für Saxophon-Fans ein tolles Album, um sich die Wartezeit etwas angenehmer und vor allem inspirierender zu gestalten!

(ACT)