Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Peter Füssl · 09. Mai 2022 · CD-Tipp

Johannes Berauer: Vienna Chamber Diaries plus Strings

„Ich wollte Musik schaffen, die sich innerhalb eines Augenblicks von intimer fragiler Kammermusik, über treibende Grooves einer Jazz-Combo hin zu vollem orchestralen Klang wandeln kann“, so beschreibt der 42-jährige Komponist, Dirigent und Pianist Johannes Berauer den Ausgangspunkt für sein sich nun schon über zehn Jahre und drei Alben erstreckendes Langzeit-Projekt „Vienna Chamber Diaries“, das in dieser Jubiläums-Ausgabe zusätzlich mit einer zehnköpfigen Streichersektion veredelt wird.

Der musikalisch sowohl mit Chopin als auch Keith Jarrett sozialisierte, in Wien lebende Oberösterreicher ist keiner, der Elemente aus Jazz und zeitgenössischer Klassik zu einem geschmäcklerischen Einheitsbrei vermengt, sondern einer, der auf wohl durchdachte, höchst kreative und geschmackvolle Weise die Grenzen zwischen Komponiertem und Improvisiertem auflöst, um genresprengende Crossover-Perlen zu erschaffen. Zu diesem Zweck hat er ein exzellentes Ensemble aus Gleichgesinnten zusammengestellt: Gitarrist Wolfgang Muthspiel, Pianist Gwilym Simcock, Klaus Gesing an Sopransaxophon und Bassklarinette, Akkordeonist Christian Bakancic, Bassist Yuri Goloubev, Perkussionist Bernhard Schimpelsberger, sowie Johannes Dickbauer und Florian Eggner an Violine und Cello sind es wie Berauer gewohnt, in unterschiedlichen musikalischen Welten zu ganz großer Form aufzulaufen. Kernstücke sind vier bis zu elf Minuten lange Kompositionen, die durch ein breites Spektrum an Stimmungen und Farben geprägt sind und vielfach einen soundtrackartigen Charakter haben. Der Opener „New Horizon“ startet mit nachdenklichen Akkordeontönen, die durch einen vollen Streichersatz an Dramatik gewinnen, ehe Gesing erst mit einfühlsam vorantastendem, dann mit forsch voranschreitendem Sopransax das Steuer übernimmt, bis schließlich das Geschehen urplötzlich wieder kippt und Muthspiel packende Gitarrenlinien über kantige Piano-Akkorde legt. Die „Far Side of the Moon“ lädt namensgemäß zu geheimnisvollen Entdeckungsreisen ein – mit Gwilym Simcock als extraordinärem Reiseleiter. Im vielschichtigen und enorm abwechslungsreichen „Home“ können vor allem Muthspiel, aber auch Gesing einmal mehr ihre klangmalerische Vielseitigkeit unter Beweis stellen, zum Teil über fernöstlich schimmernde Orchesterklänge. Auch das zweiteilige „Divertimento in Blue“ ist nach einem kleinen klezmerartigen Intro vollgepackt mit schillernden Kammermusikpassagen, zupackenden Jazz-Elementen, eigenwillig cooler Percussion von Schimpelsberger auf der indischen Rahmentrommel Kanjira und jeder Menge unerwarteter Twists und Turns, die stets für eine angenehme Spannung sorgen. Mit vier weiteren Stücken angereichert, wirkt das trotz aller Trickiness stets leicht und eingängig erscheinende und durchwegs in positive Stimmungen versetzende Kammermusik/Chamber-Jazz-Kleinod wie eine Ruheinsel in dieser momentan gerade völlig aus den Rudern laufenden Welt. Eine Art Rettungskapsel mit einer Flugzeit von 66:37 Minuten, von denen man keine Sekunde missen möchte.

(Basho Records)