Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Peter Füssl · 19. Jul 2022 · CD-Tipp

Jazz At Berlin Philharmonic XIII: Celebrating Mingus 100

Der Kontrabassist Georg Breinschmid vereint exzellente Spieltechnik mit überbordender Kreativität und genialem Spielwitz – folglich ist er die Idealbesetzung für eine Hommage auf Charles Mingus, der am 22. April hundert Jahre alt geworden wäre, zumal der Wiener Ex-Philharmoniker schon vor bald fünfzehn Jahren ein hervorragendes Mingus-Projekt mit österreichischen Spitzenjazzern realisiert hatte. Keineswegs weniger aufsehenerregend ist das umfangreiche und vielschichtige Oeuvre des schwedischen Saxophonisten/Klarinettisten/Flötisten Magnus Lindgren, der von ACT-Chef Siggi Loch als Co-Leader des neunköpfigen Ensembles eingeladen wurde, das am 13.4.2022 in der Berliner Philharmonie sechs der populärsten Mingus-Kompositionen live vor Publikum einspielte.

Dass sich Breinschmid und Lindgren davor nicht kannten und auch die anderen Akteure nur wenige Berührungspunkte miteinander hatten, scheint Neugier, Spaß und Spiellust nur noch gesteigert zu haben. Jedenfalls lässt hier niemand etwas anbrennen. Kraftvoll und emotionsgeladen interpretiert werden unter anderem „Jelly Roll“, „Fables of Faubus“, „Boogie Stop Shuffle“ oder „Better Git It In Your Soul“. Der aus Ungarn stammende und in Frankfurt lebende Tenorsaxophonist Tony Lakatos, die an der Kölner Musikhochschule unterrichtende, australische Posaunistin Shannon Barnett, Altsaxophonist Jakob Manz, Trompeter Matthias Schriefl und der ungewohnter Weise an Baritonsaxophon und Bassklarinette agierende Magnus Lindgren sorgen ebenso für lässig groovende, auch mal wuchtige Bläsersätze, wie für mitreißende emotionsgeladene Soli. Aber natürlich überzeugen auch die beiden Amerikaner im Team – Pianist Danny Grissett und Drummer Gregory Hutchinson – in den bis zu zehn Minuten langen Stücken nicht nur mit perfekt stimmiger Rhythmus-Arbeit, sondern auch mit solistischen Gustostückchen. Der omnipräsente Georg Breinschmid lässt seinen Bass effektvoll singen, dass es eine wahre Freude ist – womit wir gleich auch schon beim tatsächlichen vokalen Highlight wären: Die ungemein wandlungsfähige Sängerin Camille Bertault, die soeben mit Pianist David Helbock das ausgezeichnete Duo-Album „Playground“ veröffentlicht hat, verpasste „Goodbye Pork Pie Hat“ und „Self-Portrait in Three Colors“ französische Lyrics, beweist aber auch mit Vocalese und Scat ihre Extraklasse. Die Arrangements von Lindgren und Breinschmid entfernen sich nie zu weit von den Originalen und ermöglichen es allen Beteiligten, ein Höchstmaß an originellen Ideen einzubringen – aber immer auch schön Band-tauglich, wie es der zu ehrende Großmeister einstmals liebte. So macht Jazz echten Spaß – auch als Tonkonserve, denn das Konzert muss der Hammer gewesen sein.

(ACT)