Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Peter Füssl · 28. Feb 2022 · CD-Tipp

Immanuel Wilkins: The 7th Hand

Der 24-jährige Altsaxophonist und Komponist Immanuel Wilkins, der seit seinem 2020 erschienenen, exzellenten Blue Note-Debüt „Omega“ zu den ganz großen Hoffnungsträgern in Sachen Zukunft des Jazz gilt, hat für sein neues Album einen aufwändigen gedanklichen Überbau konstruiert, der irgendwo zwischen Black Church, Yoruba, Bibelgläubigkeit und afrikanischer Spiritualität angesiedelt ist. Musik als Kanal zum Schöpfer, Musiker als Sprachrohr oder Gefäß für eine höhere Macht, Musik als Ergebnis einer göttlichen Intervention, die Verbindung zwischen dem Dasein und dem Nichts, zwischen Erleuchtung und Ekstase.

Solche Überlegungen in Kombination mit dem Cover-Foto, das den Hauptprotagonisten bis zum Bauch im Wasser stehend und voller Inbrunst auf den Vollzug der Taufe wartend zeigt, wäre normalerweise Grund genug, sich mit diesem Werk erst gar nicht zu befassen. Was furchtbar schade wäre, denn in diese siebenteilige Suite einzutauchen, bietet ein phantastisches musikalisches Erlebnis fern jeglicher Kopflastigkeit. Wilkins und seine bestens aufeinander eingespielte Working-Band mit Pianist Micah Thomas, Bassist Daryl Johns und Drummer Kweku Sumbry unternehmen einen über weite Strecken atemberaubenden, einstündigen Streifzug durch die Jazz-Geschichte zwischen Hard-Bop und Free Jazz, zwischen kontemplativer Beschaulichkeit und expressiver Inbrunst, inklusive Wurzelsuche mit Hilfe des Farafina Kan Percussion Ensembles und eines „special features“ von Elena Pinderhughes, deren Spiel auf der Querflöte göttliche Intervention erflehen soll. Ein von Erfolg gekröntes Unterfangen, denn gleich darauf kulminiert das musikalische Treiben in einem himmlischen Höllenritt. Im finalen „Lift“ tobt sich die Band in einer mehr als 26 Minuten langen Kollektivimprovisation aus, in einer derart wilden Intensität und Kompromisslosigkeit, wie sie zuletzt zu den Hochzeiten des Free Jazz in den 1960-er/70-er Jahren zelebriert wurden. Brachial, kathartisch, ekstatisch, genial!

(Blue Note)

Konzert-Tipp: Das Quartett spielt am 8.3. im Porgy & Bess in Wien, am 9.3. im Jazzclub Unterfahrt in München und am 10.3. im Jazzclub Singen.