Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Peter Füssl · 13. Dez 2021 · CD-Tipp

Hiromi: Silver Lining Suite

Und schon wieder ein aus der Not geborenes Meisterwerk! Als die japanische Pianistin Hiromi Uehara 2020 von Corona Knall und Fall aus ihrer Nordamerika-Tournee gerissen wurde und plötzlich ihre Kontakte zu Mitmusiker:innen und Freund:innen nicht mehr möglich waren, flog sie – auch von den katastrophalen Auswirkungen auf die Musikbranche völlig frustriert – nach Tokyo, um bei ihrer Familie die Pandemie auszusitzen. Dort aber ebenfalls im Lockdown gestrandet, tat sie, was sie in seelischen Notlagen immer tut: spielen und komponieren. Im „Blue Note Tokyo“, einem der renommiertesten Jazzclubs Japans, gab Hiromi im August und September 2020 an 16 Tagen 32 Livestream-Solokonzerte, die auf riesiges Interesse stießen.

Für eine zweite Livestream-Runde im Herbst wollte sie sich aber etwas ganz Besonderes einfallen lassen: „Ich habe schon immer leidenschaftlich gerne für Streicher geschrieben“, erinnert sich Hiromi an ihr Kompositionsstudium in Berklee. Also bat sie den befreundeten Ersten Geiger und Konzertmeister des New Japan Philharmonic, Tatsuo Nishie, ein Streichquartett mit klassischen Musiker:innen, die sich auch in Jazz-Gefilden wohlfühlten, zusammenzustellen. Die waren im Zweiten Geiger Sohei Birman, in der Bratschistin Meguna Naka und im Cellisten Wataru Mukai rasch gefunden. Für die völlig enthusiasmierte Hiromi war das der berühmte Silberstreif am Horziont und sie verarbeitete in den vier Sätzen „Isolation“, „The Unknown“, „Drifters“ und „Fortitude“ ihrer „Silver Lining Suite“ all die Ängste, Gefühle der Isolation, des hilflosen Getrieben-Seins, der Hoffnungen und Hoffnungslosigkeit, die diese Pandemie nicht nur in ihre Seele implantiert hatte. Ihr gelang ein wahres Feuerwerk an musikalischen Einfällen, ein von den weitgehend klassisch agierenden Streichern virtuos realisiertes Wechselbad der Emotionen, in das Hiromi ihre einzigartige Piano-Kunst, diese rauschhafte, ansatzlos zwischen allen Stilen changierende, perfekt konzipierte und dennoch höchst seelenvolle Parforcejagd über die Tastatur, einbetten konnte. Das fünfte Stück des Albums, das nachdenkliche „Uncertainty“, klingt – gerade angesichts der neuen Ansteckungswelle und des neuerlichen Lockdowns – wie ein höchst aktueller Nachschlag zur Suite. Drei weitere Stücke sind für die Streicher umgeschriebene Adaptionen aus Hiromis „One Minute Portrait“-Serie, für die sie auf ihrer Instagram-Seite auf Distanz virtuelle Duos mit Musikerkollegi:innen wie Avishai Cohen, Stefano Bollani oder Edmar Castaneda eingespielt hatte. „11:49“ schließlich ist ein Schlüsselstück ihres 2012-er Trio-Albums „Move“ – ein Stück Hoffnung gegen Ende dieses exzellenten Albums, das nicht nur Hiromi-Fans und Piano-Enthusiast:innen empfohlen sei, sondern auch all jenen, die sich etwa für das Kronos Quartet oder das Balanescu Quartet erwärmen können.  

(Telarc/Concord/Universal)