L-E-V Dance Company mit „Into the Hairy“ beim Bregenzer Frühling (Foto: Katerina Jezz/L-E-V Dance/Bregenzer Frühling)
Peter Füssl · 16. Jul 2012 · CD-Tipp

Gerardo Núñez: Travesía

Der 50-jährige Gerardo Núñez aus der andalusischen Sherry-Metropole Jerez de la Frontera gilt nach Paco de Lucía als der große Neuerer auf der Flamenco-Gitarre und kombiniert wie dieser den traditionellen Flamenco mit Jazz. Die im Jahr 2000 unter seiner Federführung erschienene CD „Jazzpaña II“ war ein vielfach ausgezeichneter Meilenstein in diese Richtung, die er mit „Travesía“ wiederum höchst einfallsreich einschlägt.

„Travesía“ heißt „Überquerung“ und Núñez verarbeitet damit musikalisch jenes Stranderlebnis, als eines schönen Sonntags das Familienpicknick plötzlich durch die Ankunft eines afrikanischen Flüchtlingsschiffes mit einer Handvoll ausgemergelter Passagiere unterbrochen wurde, die von den spanischen Badegästen vor der Polizei versteckt wurden, damit sie nicht zurückgeschickt werden konnten. „Traversía“ soll aber auch daran erinnern, dass der Flamenco von seinen Ursprüngen in Indien die halbe Welt überqueren musste, bis er mit den Gitanos nach Spanien gelangte – und nicht zuletzt auch an die vielen Impulse, die die Mauren nach Andalusien brachten. Grenzenloses Denken schafft grenzenlose Musik, deren Wurzeln klar im Flamenco liegen, der sich aber vielfältigen musikalischen Einflüssen öffnet und stimmige Bereicherung aus Jazz, Pop, Latin, Blues und Funk erfährt. Das ergibt meistens eine explosive, hochenergetische Mischung, umso wirkungsvoller sind aber auch die wenigen lyrischen Einsprengsel. Dass hier gitarristische Feuerwerke der Sonderklasse abgebrannt werden, versteht sich von selber, aber auch die Soli des alten Núñez-Weggefährten Perico Sambeat am Saxophon und des Pianisten Albert Sanz vermögen zu begeistern. Wie perfekt dieses grenzensprengende Konzept aufgeht, an dem rund zwanzig Musiker und VokalistInnen – unter anderem auch Núñez’ Frau, die berühmte Flamenco-Tänzerin Carmen Cortés – beteiligt sind, lässt sich daran ermessen, dass sich in die sieben Núñez-Originals John Scofields „Chicken Dog“ nahtlos einfügt. Eine perfekte, qualitativ hochwertige Platte zum Entspannen an lauen Sommerabenden – und garantiert auch zum Aufwärmen in frostigen Winternächten.
(ACT/Vertrieb. www.rottensteiner-pr.at)