Musiker:innen aus Südafrika und Kolumbien prägen den besonderen Charakter des Pforte Kammerorchesters Plus. (Foto: Aron Polcsik)
Peter Füssl · 07. Dez 2022 · CD-Tipp

Esbjörn Svensson: HOME.S

Mit dem tragischen Unfalltod des schwedischen Pianisten Esbjörn Svensson am 14. Juni 2008 bei einem Tauchgang in den Stockholmer Schären fand eine der größten Erfolgsstories der europäischen Jazz-Geschichte ein jähes Ende. Im Trio mit Drummer Magnus Öström und Bassist Dan Berglund hatte Svensson den Piano-Trio-Jazz auf ein neues Level gehievt und konnte damit in Jazz- und Pop-Charts gleichermaßen reüssieren. Eineinhalb Jahrzehnte lang stand das Kürzel E.S.T. für einen lyrischen, durch starke Melodien gekennzeichneten und zugleich ausgesprochen energievollen Jazz, der auf Bach, Chopin oder Bartók ebenso verwies wie auf Rock-Bands à la Radiohead. Aber auch für einen unverwechselbaren Band-Sound, der in späteren Jahren Akustisches und Electronics in ein perfektes Verhältnis brachte. Zwar erschienen posthum noch die Alben „Leucocyte“ und „301“ sowie einige Live-Mitschnitte, die eindrucksvoll demonstrierten, wie sich bei E.S.T. lyrische Stimmungsbilder zu gewaltigen Soundorkanen entwickeln konnten. Welche Schätze sich aber auf Esbjörn Svenssons Festplatte verbargen, ahnte zehn Jahre lang niemand.

Der Pianist hatte einige Monate vor seinem Tod im Keller seines Hauses ein eigenes Heimstudio eingerichtet, sich vom langjährigen E.S.T.-Aufnahmetechniker Åkne Linton die Mikrophonierung einrichten lassen und zugleich auch wertvolle Aufnahmetipps geholt. Vor einiger Zeit hat nun Svenssons Frau Eva das aufgenommene Material gesichtet: „Wir wussten, dass er Musik aufgenommen hatte, aber ein vollständiges Piano-Soloalbum mit phantastischer Musik in qualitativ hochwertigem Sound und in einem zur Veröffentlichung tauglichen Format vorzufinden, war gleichermaßen wunderbar wie unerwartet. Es war, als hätten wir eine über die Grenze geschmuggelte Botschaft erhalten. Eine Botschaft der Liebe, des unendlichen Raumes, der Ewigkeit und der unbegrenzten Kreativität, die direkt in unser Herz ging“, schwärmt sie auf dem Album-Cover. Sie hat die nun vorliegenden neun unbetitelten Stücke nach Buchstaben aus dem griechischen Alphabet benannt und mit Åkne Lintons Hilfe gemastert. Tatsächlich handelt es sich keineswegs um Fragmente, Ideenschnipsel oder Fingerübungen, sondern um komponierte Stück zwischen zweieinhalb und sieben Minuten Länge, die die musikalischen Einflüsse auf Svensson widerspiegeln – schwedische Traditionals, Kirchenmusik, Alte Musik und Klassik haben ebenso ihre Spuren hinterlassen wie Jarrett, Monk und Bill Evans oder Pop und Rock. Wundervoll Lyrisches, melancholische Stimmungsbilder, romantische Soundmalereien, gefangennehmende Melodien, Kontemplatives, tänzerisch Beschwingtes. „Delta“ und „Theta“ bringen aber auch Tempo, Härte, ungestüme Wildheit und Dramatik ins Spiel – was nochmals auf E.S.T. verweist. „HOME.S“ ermöglicht 14 Jahre nach seinem Tod einen konzentrierten, durch nichts abgelenkten Blick auf den phänomenalen Esbjörn Svensson. Großartig!

(ACT)