Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Peter Füssl · 09. Feb 2022 · CD-Tipp

Emile Parisien: Louise

Der Sopransaxophonist Emile Parisien zählt mit einem runden Dutzend seit 2014 auf dem Münchner Jazzlabel ACT in den unterschiedlichsten musikalischen Konstellationen erschienenen Alben zu den aufregendsten Stimmen des Gegenwartsjazz. Angesichts vielfach preisgekrönter Alben mit unter anderem Vincent Peirani, Joachim Kühn, Michael Wollny oder seinem Sfumato-Quintett ruht er sich aber keineswegs auf seinen Lorbeeren aus, sondern stellt nun trotz Corona-Debakels ein wahnwitziges Projekt mit exzellenten Musikern von beiden Seiten des Atlantiks vor. Die Produktionen des Franzosen, der heuer seinen Vierziger feiern wird, glichen immer schon berauschenden musikalischen Achterbahnfahrten, die nach kongenialen Mitstreitern an seiner Seite verlangten.

Mit Bassist Joe Martin und Drummer Nasheet Waits, die am Big Apple zu den gesuchten Hauptakteuren im Rhythm-Business zählen, hat er zwei gefunden, die seinen abwechslungsreichen, mit Ecken und Kanten versehenen, stilistisch und atmosphärisch immer wieder für Überraschungen sorgenden musikalischen Parforceritten die passenden rhythmischen Konturen und eine farbenreiche Grundierung verleihen. Mit dem aus Florida stammenden Theo Croker hat sich Parisien einen ebenfalls wie er jenseits aller Genregrenzen angesiedelten Trompeter geholt, der solistische Glanzlichter setzt und ihm ein idealer Partner für atemberaubende Unisono-Passagen ist. Lange Jahre der Zusammenarbeit verbinden Parisien mit dem in Frankreich besonders angesagten Gitarristen Manu Codjia, der nicht nur die verschiedensten Jazz-Idiome beherrscht, sondern auch mit durchaus rockigen Soli emotional aufgeladene Akzente zu setzen weiß. Zu Parisiens ältesten Weggefährten zählt auch der Pianist Roberto Negro, dessen stilistische Bandbreite ebenfalls keinerlei Wünsche offenlässt. So kann etwa das von Parisien komponierte, dreiteilige, sich über fünfzehn Minuten erstreckende Kernstück des Albums, „Memento“, im elegischen Grundton mit melancholischen aber auch inbrünstigen Saxtönen beginnen, über eine cool swingende Passage zu von der Gitarre gestalteten rockigen Soundwänden führen, die in ein eigenwilliges, nach avantgardistisch dekonstruiertem Barock klingendes Pianosolo münden. Weiter geht’s mit einer futuristischen Rummelplatz-Rhythmusorgie, die wiederum in einen mit schrägen Harmonien bestückten Schnellzug-Rhythmus mit growlenden Trompetentönen übergeht – rasante Unisono-Passagen, schräge Gitarren- und Klaviercluster folgen, ehe davongaloppierende Drums eine enorme Wucht entfalten, auf die sich eine rasende Bebop-Eruption auf dem Sax aufsetzt. Für mit zeitgenössischem Jazz nicht vertraute Menschen mag diese Beschreibung nach anstrengender Hörarbeit klingen, tatsächlich kommt das aber alles in einer Leichtigkeit und Ungezwungenheit daher, dass es für einigermaßen aufgeschlossene Gemüter ein seltenes Hörvergnügen darstellt. Und das gilt uneingeschränkt für alle neun Stücke, inklusive dem Titelstück, das der besonders für ihre Spinnenskulpturen bekannten Bildhauerin Louise Bourgeois gewidmet ist, sowie der einzigen Fremdkomposition des Albums, Joe Zawinuls „Madagascar“, das 1980 erstmals auf dem Weather Report-Klassiker „Night Passage“ zu hören war.

(ACT)