Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Peter Füssl · 23. Mär 2021 · CD-Tipp

David Helbock: The New Cool

Vorarlbergs (wenn nicht Österreichs) Jazz-Export Nr. 1 David Helbock wächst im renommierten Münchner Jazz-Label ACT langsam aber sicher zu einer der zentralen Künstlerpersönlichkeiten heran. So platziert ihn der legendäre Musikproduzent und ACT-Chef Siggi Loch im aktuellen Sampler „Romantic Freedom: Blue in Green“, einem Überblick über die hervorragenden Pianisten des Labels (unter anderem Michael Wollny, Joachim Kühn, Esbjörn Svensson, Iiro Rantala, Bugge Wesseltoft) in der Pole-Position. Beinahe gleichzeitig erscheint das neue Album „téchne“ der Münchner Jazzrausch Bigband, die mit ihrer innovativen Mischung aus Techno-Sound und Bigband Jazz gerade international einiges Aufsehen erregt – auf zwei Titeln ist David Helbock als „special guest“ zu hören, einmal solo, einmal mit seinem Trio Random/Control mit Johannes Bär und Andreas Broger. Das alles tritt aber in den Hintergrund in Anbetracht von David Helbocks eigenem neuen Album „The New Cool“, das er mit seinem neuen Trio mit dem Trompeter Sebastian Studnitzky und dem Gitarristen Arne Jansen präsentiert.

Wer angesichts des Albumtitels an Lennie Tristano, Bill Evans, Chet Baker, Dave Brubeck oder Miles Davis‘ epochales „Birth of the Cool” denkt, liegt absolut richtig, denn Helbock sucht – nach den spektakulären Acts, den vielen Noten und unzähligen Instrumenten mit Random/Control – nun nach musikalischer Entschleunigung und gelassenerem Kreieren von Stimmungen. Für den passenden Auftakt sorgt Benny Golsons dem Trompeter Clifford Brown gewidmete, wundervoll schwebende Ballade „I Remember Clifford“. Auch der spätestens seit der Adaption von Miles Davis bei Jazzern beliebte Cyndi Lauper-Hit „Time After Time“ schlägt anfangs in dieselbe Kerbe, ehe er sich zu einem beunruhigenden Horrorszenario aufschwingt. Das unter unzähligen anderen von Ella Fitzgerald, Frank Sinatra oder Chet Baker schmeichelweich interpretierte „Angel Eyes“ überrascht ebenfalls, nimmt entgegen aller Gepflogenheiten mit einem eckigen Funk ordentlich an Fahrt auf und entwickelt sich zu einer auch elektronisch beackerten Spielwiese – einzig die mit viel Luftgeräuschen geblasene Trompete im Mittelteil erinnert an die zumeist ruhigere Spielart dieses Klassikers. Als mit ungemein zarten Tönen hingetupftes, stark verhalltes impressionistisches Klanggemälde präsentiert sich der von Jack Bruce komponierte Cream-Klassiker „I Feel Free – wie auch Chopins bei klassikaffinen Jazzern durchaus beliebtes „Prélude in E-Minor, Op. 28, No.4“. Ein wunderschönes, von einer unterschwelligen Spannung geprägtes Nachtstück ist „Surrounded by the Night“ von Peter Madsen, der einst den jungen David Helbock als einflussreicher Lehrer in die Geheimnisse des Jazz einführte. Eine eingängige Melodie prägt das seltsam vorwärtsdrängende und trotzdem große Ruhe ausstrahlende „Korona Solitude #1“ von Studnitzky, während Jansens „On The Shore“ vor allem durch Helbocks im Untergrund minimalistisch donnernde Begleitung ein Gefühl der Ruhe vor dem Sturm vermittelt. Mit gleich vier Eigenkompositionen wartet David Helbock auf: „Truth“ liefert mit den perlenden Piano-Klängen am Anfang, einem rockigen Gitarrenlauf Jansens und Studnitzkys vernebelter Trompete den perfekten Soundtrack für fortgeschrittenes Kopfkino. „Hymn for Sophie Scholl“ bezeichnet Helbock selbst als „das „zentrale Stück der CD – sehr, sehr einfach gehalten und auf das Wesentliche konzentriert, nämlich die Emotion“. Eine wunderschöne weiße Rose für die im Alter von 21 Jahren in München hingerichtete NS-Widerstandskämpferin. In ein Wechselbad der Gefühle getaucht wird man im „Solidarity Rock“ mit seinen sich immer wieder rockig-dramatisch aufbäumenden Ruhezonen, während man das zu Corona-Zeiten komponierte „Pandemic of Ignorance“ mit seinem gefährlich dräuenden Unterton als Kommentar zu den verhärteten Fronten in Pandemie-Zeiten, die den Musikern ein normales Konzert- und Tourleben verunmöglichen, lesen kann. David Helbock hatte immer schon ein gutes Händchen für spannende Trio-Konstellationen, die drei Wahl-Berliner, die alle drei mit melodischer Lead-Arbeit ebenso brillieren wie mit farbenreichen Soundideen für die spannende Background-Gestaltung machen da keine Ausnahme. Hoffentlich bald einmal live zu erleben!

(ACT)