Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Peter Füssl · 19. Mai 2022 · CD-Tipp

David Helbock & Camille Bertault: Playground

Der aus Koblach stammende Pianist David Helbock hatte schon einige exzellente Alben im Gepäck (etwa seine Prince-Hommage „Purple“), als er 2016 bei ACT andockte, wo seine Karriere so richtig an Fahrt aufnahm. Mittlerweile hat er beim renommierten Münchner Jazz-Label vier hochgelobte Produktionen veröffentlicht: seine solo eingespielte Hommage an die Filmmusik-Legende John Williams, sowie drei Trio-Alben mit unterschiedlichen Besetzungen. Zuletzt „The New Cool“ mit den Berlinern Sebastian Studnitzky/Arne Jansen, davor „Into The Mystic“ mit Raphael Preuschl/Reinhold Schmölzer und „Tour d’Horizon – from Brubeck to Zawinul“ mit seinen Vorarlberger Random/Control-Kollegen Andreas Broger und Johannes Bär. Die Corona-Pandemie brachte mit ihren Lockdown-bedingten Konzertbeschränkungen, Tournee-Absagen und Reiseerschwernissen natürlich – wie für alle Musiker:innen – auch für David Helbock schmerzhafte Einschränkungen und Einbußen mit sich. Nun betritt er aber wieder musikalisches Neuland, denn Ende Mai wird das Album „Playground“ erscheinen, das er im Duo mit der Sängerin Camille Bertault aufgenommen hat. Wer ihre 2018 und 2020 bei OKeh/Sony erschienenen Alben „Pas de géant“ und „Le Tigre“ kennt, weiß allerdings, dass der Begriff „Sängerin“ für die Charakterisierung der 35-jährigen Französin einigermaßen unzulänglich ist, denn Madame verzückt das Publikum mit Vokalartistik allererster Güte.

Die idealen musikalischen Ping-Pong-Partner

Erstmals zusammengekommen ist das überaus kreative Duo vor drei Jahren im Rahmen der Ludwigsburger Schlossfestspiele, als sich David Helbock im Rahmen eines „Carte Blanche“-Konzerts einen Wunschpartner aussuchen durfte, mit dem er zuvor noch nie gespielt hatte. Seine Wahl fiel auf Camille Bertault. „Ich bin auf Camille über ihre Youtube-Videos aufmerksam geworden, wo sie viele bekannte Jazzsolos nachsingt. Da sind sehr viele beeindruckende und tolle Sachen dabei. Aber für mich geht das noch viel weiter. Camille

schreibt selber sehr tolle Stücke, spielt selber super Klavier und hat einfach eine wahnsinnige Energie auf der Bühne.“ Camille Bertault, deren Vocalese-Version zu John Coltranes „Giant Steps“ in Jazz-Kreisen zu den viralen Alltime-Video-Hits auf Facebook, Youtube und Co. zählt, hat vor dem Jazzstudium am Pariser Konservatorium eine klassische Klavierausbildung absolviert und ist von ihrem Duo-Partner nicht weniger begeistert: „Ich glaube, wir beide lieben es, das Unvorhersehbare zu erforschen. David geht dabei viel organisierter und konstanter vor als ich. Ich bin sehr impulsiv, er hat mehr Selbstkontrolle. Aber er liebt es, sich musikalisch außerhalb der Komfortzone zu bewegen, und das eröffnet mir selber immer wieder neue Horizonte. Denn von meinen musikalischen Partnern verlange ich, dass sie nicht die Rolle eines Begleiters einnehmen, sondern mit mir musizieren, als ob wir Ping-Pong spielen würden.“

Von Scarlatti über Monk bis zu Björk ...

Der damalige Auftritt in Ludwigsburg, für den Bertault den Trompeter Médéric Collignon dazu geholt hatte, wurde ein voller Erfolg, anschließend stellte Corona allerdings auch dieses vielversprechende Projekt für zwei Jahre auf die Warteschiene. Erst letzten Sommer konnten die gemeinsamen Aktivitäten – nun bereits im Duo-Format – im Rahmen des INNtöne Festivals wieder aufgenommen werden. Dort kristallisierte sich bereits jene Programmzusammenstellung heraus, die nun auch dem Album „Playground“ ein außergewöhnlich breites musikalisches Profil verleiht. „Wir beide lieben brasilianische Musik, deshalb findet sich ein Stück von Egberto Gismonti auf der CD, oder auch eine Hommage von mir an Hermeto Pascoal. Wir haben beide klassisches Klavier studiert, und so war für uns klar, dass da auch etwas Entsprechendes dabei sein muss. Nun ist es eine wunderschöne Klavieretüde von Scriabin geworden, die Camille vorgeschlagen hat. Wir haben ja auch schon die erste Goldberg-Variation von Bach live gespielt, die hatte Camille aber schon auf ihrer letzten CD aufgenommen“, erläutert Helbock. Auch die weitere Auswahl ging von der Interessenslage her einvernehmlich über die Bühne, so Camille Bertault: „Björk ist ein wichtiger Einfluss für mich, ich liebe aber auch Thelonious Monk, so einigten wir uns auf ‚New World‘ und ‚Ask Me Now‘. Und ‚Good Morning Heartache‘ ist eine phantastische Jazz-Ballade.“ Dieser drückt die Vokalistin – wie jeglichem Ausgangsmaterial – ihren ganz persönlichen Stempel auf, ergänzt Helbock: „Natürlich kennen wir die Version von Billie Holiday, aber das war nicht der Grund für uns, dieses Stück auszuwählen. Es ist einfach wunderschön, wird gar nicht so oft gespielt und mit dem französischen Text erhält es nochmals eine ganz eigene Note.“

... und Eigenkompositionen von Helbock und Bertault

Camille Bertault deckt mit ihrer Vokalartistik ein weites Spektrum vom „klassischen“ Jazz-Gesang über Scat und Vocalese bis zu aufgefallenen stimmlichen Experimenten ab. Entsprechend breit gestreut sind auch ihre Einflüsse: „Ich war klassische Pianistin, bevor ich Sängerin war, das hat natürlich meine Art zu singen, improvisieren und komponieren beeinflusst. Ich bin aber natürlich auch von Bobby McFerrin, João Bosco, Björk, Elis Regina oder Mimi Perrins The Double Six of Paris sehr beeinflusst. Beim Komponieren kann ich mit einem Pattern, einem Rhythmus, einer Idee, einem Wort, drei Noten starten. Ich entwickle generell alles am Piano und nehme sogar die kürzesten Schnipsel mit dem Rekorder auf, um dann irgendwann später mal alles zusammenzusetzen.“ Wie gut das funktioniert, stellen im vorliegenden Fall nun „Aide-moi“, „Dans ma boîte“ und „Bizarre“ eindrucksvoll unter Beweis. Und wie inspirierend ihre Ideen auf David Helbocks Pianospiel wirken, ist ebenfalls unüberhörbar: „Ich finde man hört, dass sie doch wie eine Pianistin denkt. Wir haben da ähnliche Vorstellungen und es funktioniert auf Anhieb. Ich halte ihre Stücke für eine sehr spannende Mischung aus Jazz, Pop und Chansons.“

Helbock selbst hat vier Eigenkompositionen beigesteuert, wobei er „Para Hermeto“ auch schon mit Ramdon/Control bzw. Preuschl/Pirker aufgenommen hatte: „Auch ‚Das Fabelwesen‘ ist etwas älter, und hier kommt sogar auch der Text von mir. Auch für ‚Never Lived‘ gab es einen englischen Text von mir, ich habe mich aber sehr gefreut, dass Camille dann etwas Französisches dafür geschrieben hat.“ Extrem witzig klingt Helbocks „Lonely Supamen“, wobei wohl auch zum Tragen kommen dürfte, dass Camille Bertault auch Schauspielerin ist und dementsprechend ein sicheres Gespür für dramatische bzw. komödiantische Wirkungen hat. Auch David Helbocks vermehrter Einsatz von Loops fällt auf: „Auf Synthesizern und Keyboards habe ich schon öfters mit Loops gearbeitet, hier versuche ich zum ersten Mal das akustische Klavier zu loopen. Das funktioniert in diesem Duo ganz gut, weil ich genug musikalischen Platz habe. Ich finde es spannend, quasi auch mein eigenes Schlagzeug mit Loops und Inside-Piano-Percussion zu erschaffen und dann noch normales Klavier darüber zu spielen. Auf jeden Fall ist das eine sehr bunte CD geworden - die den Namen „Playground“ durchaus verdient.“

Das Pandemie-geschädigte Publikum wieder zurückgewinnen

Helbock hofft, dass dieses Duo-Projekt jetzt nach der Pandemie so richtig anlaufen wird, es sind auch schon Konzerte in Deutschland, Österreich, Italien und Frankreich fixiert. Anfang April war der international gefragte Pianist erstmals seit zwei Jahren wieder auf einer Tournee mit täglich neuen Konzertorten: „Aber bis das alles wieder normal rennt, wird noch viel Zeit vergehen. Viele Leute sind auch noch wirklich ängstlich. Ich würde sagen rein vom Publikum her kommen im Moment vielleicht halb so viele Leute wie vor der Pandemie. Wobei es für diese Angst wirklich keinen Grund gibt. Ich habe auch während der letzten zwei Jahre einige Konzerte gespielt, und mir ist nicht bekannt, dass es da irgendwo Infektionscluster gegeben hätte. Die Kulturveranstalter bemühen sich wirklich, und ich hoffe sehr, dass viele Leute, die sich vielleicht etwas entwöhnt haben, wieder zur Musik und zu Konzerten zurückfinden.“

Auch Camille Bertault machte mit der Corona-Pandemie einschlägige Erfahrungen: „Ich befand mich mit meiner Karriere gerade in einer enorm wichtigen Wachstumsphase, und die Pandemie war ein wirklich schlimmer Einbruch, zumal ich gerade mein Album ‚Le Tigre‘ veröffentlicht hatte. Aber ich habe begonnen Kontrabass zu spielen, mir eine Menge philosophischer Sendungen im Radio anzuhören, ich habe gelesen und mir gute Filme angeschaut. Ich habe auch begonnen, wieder Schallplatten zu hören und guten Wein zu trinken. Manchmal habe ich fast nostalgische Gefühle, wenn ich an diese Momente zurückdenke. Aber es war natürlich alles sehr schwierig und wie erwähnt, der schlimmstmögliche Zeitpunkt für meine Karriere. Aber jetzt geht es hoffentlich wieder normal weiter, und im September werde ich mit dem Brussels Jazz Orchestra ein Album zu Serge Gainsbourg aufnehmen, das dann nächstes Jahr herauskommen wird.“

Bleibt wirklich zu hoffen, dass sich die Dinge wieder normalisieren und stabilisieren und das Publikum wieder in die Konzert- und Theatersäle zurückfindet. Natürlich kann man „Playground“ auch gemütlich auf dem Kanapee aus dem Lautsprecher genießen, aber live auf der Bühne wird das eine wahre Wucht sein!

Für Vorarlberg ist noch kein Präsentationskonzert fixiert. Am 31.5. ist das Duo im Porgy&Bess in Wien zu Gast.

www.davidhelbock.com
www.camillebertault.com
www.actmusic.com

Dieser Artikel ist im Mai-Heft 2022 der KULTUR-Zeitschrift unter dem Titel "Spielplatz zur musikalischen Erforschung des Unvorhersehbaren" erschienen.