Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Peter Füssl · 28. Feb 2018 · CD-Tipp

Camille Bertault: Pas de géant

Oh, là, là - Madame Bertault singt nicht nur "formidable", sie ist auch ein unkonventionelles, witziges und durchaus auch theatralisch talentiertes Kreativitäts- und Energiebündel von ganz außergewöhnlichem Format! Die 31-jährige Französin hat klassisches Klavier und Schauspiel studiert, wurde von klein auf von ihrem Vater mit Jazz infiltriert und orientierte sich bei ihren autodidaktischen Gesangsstudien weit mehr an John Coltrane, als - wie vielleicht zu erwarten wäre - an den großen Jazzvokalistinnen.

Trotz aller technischer Perfektion lautet das alles erklärende Zauberwort „Emotion“, was auch ihren erfrischenden Umgang mit eigentlich disparatem Ausgangsmaterial erklärt. Coltranes titelgebendes „Giant Steps“ hat sie mit einem anspruchsvollen französischen Text versehen und für ihre zum Internet-Hit gewordene halsbrecherische Version des höchst anspruchsvollen Jazz-Klassikers sogar den Segen von Coltrane-Sohn Ravi erhalten. Wayne Shorters „House of Jade“ wird mit bezauberndem brasilianischen Flair aufgeladen, Bill Evans „Very Early“ zur gefühlvoll-kraftvollen Ballade. Sie ist aber nicht nur eine Meisterin des Vocalese, sondern verblüfft etwa auf der „Aria“ aus Bachs Goldberg-Variationen auch mit ihrer außerordentlichen Scat-Technik. Für „Arbre Ravélogique“ hat Bertault Melodiefragmente aus einem Dutzend unterschiedlicher Kompositionen von Maurice Ravel auf vier Minuten Länge verdichtet. Neben Jazz und Klassik schöpft sie aus dem reichen Fundus an französischen Chansons und Popsongs, in denen sie ihre Vorliebe für das Cabaret und dramatische Auftritte vorzüglich ausleben kann. Hits von Michel Legrand, Serge Gainsbourg und Georges Brassens macht sie ebenso zu ihren eigenen wie Brigitte Fontaines „Conne“ – in letzterem gibt sie humorvoll-überdreht die rotzig-freche Punk-Göre. Camille Bertault schöpft aber keineswegs nur aus fremden Federn, acht Titel auf ihrem zweiten, nun schon auf einem Major-Label erschienen Album hat sie sich auch selber auf den Leib geschrieben – und, ob unglaublich rasant, zärtlich oder zart schmelzend, sie weiß ihre speziellen Talente und Vorzüge stets ins perfekte Licht zu rücken. Der Trompeter Michael Leonhart hat mit seinen Arrangements für die zehnköpfige Band das perfekte musikalische Vehikel für die vokalen Eskapaden der experimentierfreudigen, jedoch immer gut ins Ohr gehenden Vokalartistin gefunden. „Pas de géant“ – ein Riesenschritt für die junge Vokalartistin und im Gesangssektor eines der erfrischendsten Hörerlebnisse seit Langem!
(OKeh/Sony)

Konzert-Tipp: Am 31.3. ist Camille Bertault Trio bei den Theaterhaus Jazztagen in Stuttgart zu Gast. www.theaterhaus.com