Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Peter Füssl · 04. Dez 2021 · CD-Tipp

Aimee Mann: Queens of The Summer Hotel

Aimee Mann hatte immer schon ein goldenes Händchen für wunderschöne, melancholische, kluge, spitzzüngige Songs über psychische Krankheiten, seelische Verwerfungen und Borderline-Geschichten. Man erinnere sich etwa an ihre genialen Lieder zu Paul Thomas Andersons intensivem, ironisch-tragischen Episoden-Film über Schuld und Verzeihen „Magnolia“ (1999). Und natürlich an ihr letztes Album aus dem Jahr 2017, das programmatischerweise „Mental Illness“ hieß und sie mit viel Feingefühl, aber auch mit ironischer Distanz in verschiedene Rollen schlüpfen und über grenzwertige Bewusstseinszustände und existenzielle Notlagen bis hin zum Suizid singen ließ – Grammy-prämiert. Kein Wunder also, dass Mann mit den Songs für eine Bühnenfassung zum Stoff des Filmes „Girl, Interrupted“ („Durchgeknallt“) beauftragt wurde, der 1999 mit Winona Ryder und Angelina Jolie als schräge Psychopathinnen in den Hauptrollen einiges Aufsehen erregte.

Das Psychodrama basierte auf der Autobiografie von Susanna Kaysen, die Ende der 60-er Jahre als Achtzehnjährige für eineinhalb Jahre in einer psychiatrischen Klinik weggesperrt wurde, die alle einschlägigen (Horror-)Vorstellungen von solch einer Institution zu jener Zeit erfüllte. Die Pläne für die Bühnenproduktion wurden mittlerweile zwar verworfen, aber die Songs sind geschrieben und es ist klar, dass diese psychiatrische Anstalt Aimee Manns „Summer Hotel“ ist, und die „Queens“ sind die Patientinnen, denen sie fünfzehn melodisch eingängige Songs widmet. In ihrer von Piano, Streichern, Backgroundchören und Holzbläsern dominierten kammermusikalischen Schönheit stehen sie in einem spannungsgeladenen Widerspruch zu den widerborstigen Inhalten, die Aimee Mann mit ihrer betörend warmen, einnehmenden, fast schon über hypnotische Qualitäten verfügenden Stimme interpretiert. „You’re lost / In a sea of doubt / You pay the fee / But you can’t get out” singt sie im Opener zu wundervollen Piano-, Geigen- und Flöten-Tönen. Die US-Literatur-Ikonen Robert Lowell und Sylvia Plath, die durch Herzinfarkt bzw. Suizid aus dem Leben schieden, lässt sie zum anheimelnden Dreiviertel-Takt flanieren, während die Lyrics auf deren bipolare Störung hinweisen: „Now you’re split in two / And each side still isn’t you /And you know how that sounds / But it keeps being true”. Im lieblichen „Give Me Fifteen“ geht’s um die 15 Minuten, die der Psychiater bis zu seiner Diagnose und der Einlieferung der Patientin zur Elektroschock-Therapie braucht. Ähnlich romatisch klingt „Home By Now“ zum Thema Kindesmissbrauch. Von besonderer Eindringlichkeit und textlicher Schärfe ist das vorab schon als Single veröffentlichte, ebenfalls im Walzer-Takt gehaltene „Suicide Is Murder“, in dem sie Suizidgefährdete auf ihre Verantwortung für die Zurückbleibenden hinweist: „But beware, ’cause anyone who knew you / Will be cursed, and part of them will also die / There’s no end to the asking of the question / Why?“ Aimee Manns zehntes und zu den besten zählendes Studio-Album wurde wie schon die letzten von Paul Bryan produziert und ist natürlich auch wieder auf ihrem eigenen, aus Protest gegen die Musikindustrie gegründeten Label SuperEgo (Wie gut ihr doch Selbstironie steht!) erschienen.   

(SuperEgo)