Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Karlheinz Pichler · 07. Aug 2017 · Ausstellung

Wenn ein Land mit der Kameralinse seziert wird – Österreichische Fotografie von 1970 bis 2000 in der Albertina Wien

Wie die Alpenrepublik im Fokus der Linse ihrer eigenen Fotografen aussieht, und inwiefern sich das Bild, das Selbstverständnis und vor allem die Menschen des Landes in Laufe der Zeit gewandelt haben, dem versucht die Fotoausstellung „Österreich. Fotografie 1970 – 2000“ nachzuspüren, die noch bis 8. Oktober in der Albertina in Wien gezeigt wird. An der Schau, die sehr ironische Blicke auf die österreichische Identität wirft und tief in ländliche und städtische Milieus eindringt, sind mit Nikolaus Walter und Gottfried Bechtold auch zwei Vorarlberger Fotokünstler unter den insgesamt 22 Positionen vertreten.

„Denn der Österreicher denkt sich sein Teil und lässt die anderen reden, oder er lässt die anderen reden und denkt sich nichts.“ Diesen und viele andere skurril-ironisch auf die Seele des typischen Österreichers abzielenden Sätze des legendären Wiener Szene-Literaten Joe Berger (1939-1991) finden sich als Begleittexte zu einer Serie von typischen Schwarz-Weiß-Fotografien des in Feldkirch lebenden und arbeitenden Nikolaus Walter, die dieser 1973 als „Österreich-Mappe“ herausgegeben hat und die die Albertina nun wieder ans Tageslicht befördert hat. Walter setzt sich mit seinen Momentaufnahmen der Mentalitiät der Österreicher auf die Spur, zeigt sie in ihrem doppelbödigen Verhältnis zur Umwelt, zur Frau, zur Arbeit, zum Alter oder zur Religion. „Keck zeigen sie der Welt ihr Bäuchlein und ihre unersättliche Zufriedenheit“, schreibt Berger etwa zu einem ins Bild gesetzten untersetzten Mann mit Wegener-Hut, kurzärmeligem, Hosenträger verdeckendem Pullover über Spitzbauch, Spazierstock, auf den er sich lehnt und Hochglanzschuhen. Ein Mann, der sich in kleinbürgerlicher Zufriedenheit schwelgend vor der Kamera Walters in Positur stellt und dessen Seele offensichtlich durch rein gar nichts zu Schaden kommen kann.

Bettdecken zu Gebirgen aufgefaltet

Mit einer anderen Fotoserie, die den Titel „Gute Nacht - gegen die Betten fotografiert“ (1981) trägt, zeigt Nikolaus Walter ein Stück höchst Privates. Er richtet das Kameraobjektiv direkt in die Schlafzimmer und hält fest, was damals so gang und gäbe war: grauenhaft gemusterte Tapeten, Heiligenbilder, Jagdtrophäen, schwere Holzeinbaumöbel, und vor allem die kunstvoll und übertrieben aufgefalteten Federbetten, die nahezu gebirgskettenähliche Formen annehmen. Walters schwarzweiße Schlafzimmereinblicke vermitteln eine bemerkenswerte Unbehaglichkeit jenseits jeglicher Erotikvorstellungen und erzählen weit mehr als nur vom Einrichtungsgeschmack einer Generation an Österreichern.

Walter zählt zu jenen Fotografen, in deren Werke sich eine betont sozialkritische Annäherung an die Heimat erkennen lässt. Eindrucksvolle Werke in diese Richtung sind in der Albertina unter anderem auch noch von Branko Lenart oder Robert F. Hammerstiel zu sehen. Sie alle stehen für einen Strang innerhalb der österreichischen Fotografie, dem die sozialisierende Dimension von Heimat zum vorrangigen Anliegen wird.

 

Standbilder

 

Der Hörbranzer Künstler Gottfried Bechtold ist in die Albertina-Schau mit einer Reihe seiner ominösen „Standbildern“ einbezogen. Dabei handelt es sich um eine Neuauflage seiner 1971 angefertigten Reisebilder, durch die er auf humoristische Weise die angebliche Authentizität der Fotografie in Frage stellt: In annähernd gleich fotografierten Aufnahmen posiert Bechtold neben seinem Auto vor Gebäuden. In den Bildunterschriften vermerkt der Künstler die Namen fremder Länder, in denen die Aufnahmen vermeintlich entstanden sind; auch der Verkaufspreis des Bildes, welcher der Höhe der Fahrtkosten in das jeweilige Land entsprach, ist angegeben. Aber in Wirklichkeit ist das Ganze nur vorgetäuscht. Denn entstanden sind sämtliche „Standbilder“ in Vorarlberg. Sie kombinieren eben diese Motive ohne die ursprüngliche Beschriftung mit einer Neuauflage der Arbeit aus dem Jahr 2012, in der nun der Künstler hinter der Kamera steht und der Fotograf der ursprünglichen Arbeit, Heinz Schmidt, neben dem Auto in Positur stellt.

 

Verwurzelung im Dokumentarischen

 

Insgesamt sind 22 bekannte FotokünstlerInnen in diesem Albertina-Querschnitt zur österreichischen Fotografie vertreten. Die Namensliste reicht von Heinz Cibulka über Lisl Ponger, Gerhard Roth und Valie Export bis hin zu Johannes Faber, Seiichi Furuya oder Peter Dressler. Der Kurator der Ausstellung, Walter Moser, sieht im thematischen und formalen Aufbruch der Fotografie in den 1970er Jahren – und deren Annäherung an die großen Brüche jener Jahre „eine Verwurzelung im Dokumentarischen“ als gemeinsamen Nenner.

 

Neben der hauseigenen Sammlung der Albertina, die anlässlich dieses Querschnittes zur österreichischen Fotografie um Neuerwerbungen sowie Schenkungen erweitert werden konnte, speist sich "Österreich. Fotografie 1970 – 2000" auch aus den Beständen der Fotosammlung des Bundes am Museum der Moderne Salzburg. Am Salzburger Mönchsberg soll denn die Ausstellung im nächsten Frühjahr ebenfalls zu sehen sein.

 

Österreich. Fotografie 1970–2000
Heimrad Bäcker, Gottfried Bechtold, Norbert Brunner & Michael Schuster, Heinz Cibulka, Peter Dressler, Valie Export, Johannes Faber, Bernhard Fuchs, Seiichi Furuya, Robert F. Hammerstiel, Bodo Hell, Helmut Kandl, Leo Kandl, Friedl Kubelka, Branko Lenart, Elfriede Mejchar, Lisl Ponger, Gerhard Roth, Günther Selichar, Nikolaus Walter, Manfred Willmann
Albertina Wien
Bis 8.10.2017
Tägl. 10-18, Mi 10-21
www.albertina.at