Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Karlheinz Pichler · 25. Jul 2020 · Ausstellung

Wenn die Welt aus dem Leim quillt - "Fat Sculptures" von Erwin Wurm im Kunstraum Dornbirn

Wer es bislang verabsäumt hat, sich die wülstig aufgequillten, fetten Skulpturen des 1954 im steirischen Bruck an der Mur geborenen Künstlers Erwin Wurm im Kunstraum Dornbirn zu geben, der hat noch bis 16. August die Möglichkeit, dies nachzuholen. Zentrale Blickfänge der mit „Big“ übertitelten Wurm-Schau sind das „Fat House“ und der „Fat Mini“.

Im Kunstraum Dornbirn war 2011 schon einmal ein monumentales Haus von Erwin Wurm zu sehen. Das damalige „Narrow House“, das auch auf der Biennale Venedig zu bestaunen war, war dem Einfamilienhaus seiner Eltern in der Steiermark nachempfunden und verkörperte eine eindringliche Metapher über die sprichwörtliche Enge der bürgerlichen Mittelschicht der österreichischen 1960er und 1970er Jahre. Diese Arbeit markiert gleichsam ein historisches Gegenstück zur nunmehrigen Werkserie der „Fat Sculptures“, mit denen Wurm seit einigen Jahren Furore macht.
Mit diesen „Fat Sculptures“, diesen massigen und verfetteten, aufgedunsenen Statussymbolen des Wohlstands liefert Erwin Wurm gleichsam ironische wie bissige, zynische und oft auch scharfsinnige Kommentare zur überbordenden Konsumgesellschaft, die keine Grenzen mehr kennt.

Ironische, bissige Kommentare

Formal ist das „Fat House“ einem gewöhnlichen Vorstadthaus nachempfunden. Es verfügt über ein rotes Ziegeldach in Sattelbauweise, eine zentrale Eingangstür und zwei seitliche an der Fassade angebrachte Fenster. Die weißen Wände wölben sich jedoch nach außen und verleihen dem Haus sein aufgequollenes, „fettes“ Erscheinungsbild. Die Skulptur besteht aus Polystyrol und einem tragenden Gerüst aus Eisen und Aluminium. Ein Video im Inneren der Skulptur zeigt diesen wulstigen Klotz als sprechende Computeranimation. Das Haus „monologisiert“ gleichsam über existentielle Fragen und stellt dabei seine eigene Ästhetik und Funktion in Frage.
Neben diesem schwabbeligen „Fat House“ zieht mit dem „Fat Mini“ eine weitere aus den Fugen geratene Skulptur die Blicke an. Ein interessanter Nebenaspekt dabei ist, dass die neueren „Fat Cars“ vom Vorarlberger Künstlerkollegen Wurms, Roland Adlassnigg, fabriziert werden. Als „Auftragsfertigung“ für Wurm entstammt beispielsweise ein „Fat Ferrari“ aus Adlassniggs Werkstatt. Der Rankweiler Bildhauer und „Art Supporter“ brachte einen Ferrari, das Symbol für Geschwindigkeit, in vielen Arbeitsschritten zum Stillstand. Wie dieser entschleunigte Ferrari trägt auch der in glänzendem dunklen Grün gehaltene „Fat Mini“ eine „Fabrikationsnummer“ der Werkstätte Adlassnigg. Der Clou an diesen „aufgepumpten“ Autos ist, dass sie wieder fahrbereit wären, würde man sie wieder „entfetten“.
Desweiteren ist in dieser von Thomas Häusle und Gerald Matt kuratierten Werkschau auch die Skulptur „Butter“ sowie zwei Objekte aus der Serie „Weapons“ zu sehen. Bei „Butter“ handelt es sich um einen deformierten Kühlschrank aus der Serie „Performative Sculptures“. Und aus dem Werkkomplex „Weapons“ präsentiert der Kunstraum zwei von Wurm künstlerisch bearbeitete Pistolen der Marken Walther und Glock. Darüber hinaus ist eine von Wurms bekannten „One Minute Sculptures“ im öffentlichen Raum von Dornbirn platziert.      

Die Existenz – ein Drama der Belanglosigkeit      

"Humor ist eine Waffe", hat Erwin Wurm einmal gesagt. Doch versteht er sich nicht als Humorist, sondern er setzt seinen Witz ein, um den „Alltag aus einer anderen Perspektive“ zu zeigen. „Mein Werk handelt vom Drama der Belanglosigkeit der Existenz. Ob man sich ihr durch Philosophie oder durch eine Diät nähert, am Ende zieht man immer den Kürzeren.“ (Erwin Wurm) Wobei dem Künstler der körperliche Bezug immer wieder wichtig erscheint. „Ein Objekt wird von mir zerstört oder deformiert, und dadurch entsteht etwas Neues – die performative Skulptur. Der Aspekt der Deformation mit Körpereinsatz, das hat fast etwas mit Action Painting zu tun. Und das Performative, das Vorführende, steht dabei im Zentrum.“ (Erwin Wurm)
Häusle und Matt konstatieren zum Schaffen von Erwin Wurm: „Sein bekannt ironischer Zugriff auf Modeartikel, Gebrauchsgegenstände, Lebensmittel, Autos und Häuser lässt die Arbeiten zu signifikanten Statements unseres Konsumverhaltens werden, die humorvoll, hintergründig und streckenweise sarkastisch kommentiert werden. Auf dem Kopf stehende LKWs, gestauchte oder aus der Form platzende Gegenstände und Häuser, überdimensionale Essiggurken – sie alle entspringen der Ideenwelt von Erwin Wurm. Oder seine 'One Minute Sculptures', jene Miniperformances mit überraschend ironischen Handlungsanweisungen, die für eine Minute ausgeführt werden sollen oder zu akrobatischen Verrenkungen anleiten.“ Wer sich auf das Wurm'sche Vexierspiel von Ironisierung und existenzieller Ernsthaftigkeit einlasse, lande beim Hinterfragen von Kunst und Gesellschaft sowie interessanten Diskussionen und Gesprächen.
Aus künstlerischer Sicht ist es das Spiel mit Masse, Volumen und Oberfläche, mit Dekonstruktion und Deformation, aber auch das Misstrauen in die festgelegte Form, die an die Grenzbereiche klassischer Skulptur führen, diese überschreiten lassen und überholte Kategorien aber auch erneut miteinander zum Fusionieren bringen.  

Erwin Wurm: Big     
bis 16.8.      
tägl. v. 10-18 Uhr      
Kunstraum Dornbirn   

www.kunstraumdornbirn.at