Musiker:innen aus Südafrika und Kolumbien prägen den besonderen Charakter des Pforte Kammerorchesters Plus. (Foto: Aron Polcsik)
Karlheinz Pichler · 08. Nov 2011 · Ausstellung

Valie Export: Das Kunsthaus Bregenz präsentiert das Schaffen dieser Jahrhundertkünstlerin erstmals im Kontext zu ihrem Archiv

Vergangenes Jahr wurde Valie Export, die wohl wichtigste österreichische Künstlerin des 20. Jahrhunderts, 70 Jahre alt. Museen wie das Belvedere in Wien, das Lentos in Linz oder das Museion in Bozen widmeten der Künstlerin, die die Entwicklung des experimentellen Kunstfilms und der feministischen Kunst nachhaltig beeinflusst hat, große Werkschauen. Rückten diese aber das „physisch und visuell Greifbare“, die teils bereits zu Ikonen der neuen Kunstgeschichte gewordenen, realisierten Arbeiten ins Zentrum, so konzentriert sich das KUB auch auf bislang Unbekanntes, vor allem aber auf das Archiv der Künstlerin, das der Öffentlichkeit bisher nicht zugänglich war. Was ungleich spannender ist.

Das erste Kunstwerk von Valie Export ist sie selber, als sie nämlich 1967 ihre Identität erfindet und ihren bürgerlichen Namen Waltraud Höllinger, geb. Lehner, an den Nagel hängt. Sie hat keine Lust, den Namen ihres geschiedenen Mannes zu tragen. Und auch nicht den ihres Vaters, eines ehemaligen Nationalsozialisten, der 1942 während des Krieges in Afrika ums Leben kam. So entwickelte sie ihr erstes Objekt aus einer Zigarettenpackung der Sorte Smart Export und gestaltete es zu ihrem Markenzeichen. Gleich im ersten Stock des KUB stößt man auf eine Vitrine, die allerlei Wortverbindungen und Wortspielereien zum Begriff „Export“ dokumentieren, von Export-Rekord, über Export-Leasing bis hin zu „Sexport“. Mit dem Logo „Export“ wollte die radikale Künstlerin letztlich die reaktionären Denkmuster der Nachkriegsjahre aufmischen, «Ideen exportieren» und Weitläufigkeit signalisieren.

Die Idee ist das Wichtigste

«Die Idee ist der wichtigste Teil der künstlerischen Arbeit», verkündet die heutige Kunstprofessorin. Wie unerschöpflich und vielgestaltig die Ideen aus ihr heraussprudelten, kann man anhand von 57 Vitrinen nachvollziehen, die – vollgestopft mit Notizzetteln, Zeitungsausschnitten, Drehbüchern und originalen Skizzen – der Bregenzer Archivschau zugrunde liegen. Selten hat das KUB, das ansonsten eher für spartanische Ausstellungen bekannt ist, mit einer derartigen Fülle an Materialien aufwarten können. Für den Betrachter eröffnet der Blick ins Privatarchiv von Valie Export einen Fundus, aus dem er gar nicht mehr auftauchen möchte.

Busen abtasten

Im ersten Stock ist auch ein Fernsehbeitrag über den Auftritt der jungen Aktionskünstlerin mit dem legendären «Tapp- und Tastkino» in den 1960er Jahren zu sehen. Mit einem Kasten vor der entblößten Brust forderte Export die Leute damals auf, in die Kiste zu greifen und Kino live zu ertasten. Die Aktion wollte die Besucher, die üblicherweise Sex im Dunkeln konsumierten, mit ihrem voyeuristischen Verhalten konfrontieren. Die originale „Busen-Box“ selbst ist ebenfalls als Objekt ausgestellt. Genauso wie auch die geschlitzte Hose, die Export für das wohl schon millionenfach in den Medien abgedruckte Foto „Genitalpanik“ trug.

Der Mittelstock wird dominiert von der Großinstallation "Fragmente der Bilder einer  Berührung" aus dem Jahre 1994, wo von der Decke hängende Glühbirnen mechanisch in schmale Gefäße mit Milch, Altöl oder Wasser getaucht werden. Diese Arbeit, die eine Installation massenhafter Geschlechtsakte oder auch eine konzeptionelle Auseinandersetzung mit Geld (Öl), Sex und Macht darstellen könnte, war beispielsweise auch im Rahmen der Retrospektive im Museion Bozen zu Beginn dieses Jahres zu sehen. Für Bregenz wurde sie aber in eine neue Konstellation gebracht.

Expanded Cinema

Im obersten Stock zeigt das KUB ein Furioso von 30 Filmen, die auf Leinwänden und Monitoren abgespielt werden. Kunstwerke, in denen Export die Gesellschaft anhand ihrer Auffassung von „Expanded Cinema“ erkundet und entblößt. Experimentelle Beiträge Exports zur Weiterentwicklung des Kunstfilms. Beklemmend etwa der 16-mm-Streifen «Remote, remote», in denen die Künstlerin mit einer Rasierklinge unter ihre Nägel fährt und die blutenden Finger in Milch taucht. Die Verletzung der Haut als Abwehr und Überwindung physischer und psychischer Unterdrückung durchbricht gewohnte Sehweisen. Die körperliche Verletzung als künstlerischer Protest und als Sichtbarmachung verborgener gesellschaftlicher Strukturen.

Die Ausstellung im KUB gibt ein überaus komplexes Bild einer Ausnahmekünstlerin. Einer Künstlerin, die auch als Theoretikerin und Organisatorin von Ausstellungen stets für die Emanzipation der Frau eingetreten ist. 1975 etwa organisierte Export in Wien eine Frauenausstellung, die in dieser Form im damaligen Europa einzigartig war.

Als Aktionistin wurde Valie Export in den 1960er und 1970er Jahren vielfach belächelt, nicht ernst genommen. Aus Geldmangel war sie ständig zum Jobben gezwungen. Aber im Unterschied zu vielen männlichen Aktionisten der damaligen Zeit, hat sich Export ständig weiterentwickelt. Während sich etwa Rudolf Schwarzkogler, in der Sackgasse steckend, aus dem Fenster stürzte, und ein Hermann Nitsch heute immer noch dieselben Farben und dasselbe Blut schüttet, stellte sich Valie Export formal, technisch und inhaltlich immer wieder neuen Herausforderungen. Entsprechend vielschichtig ist denn auch ihr Gesamtoeuvre, zu dem die vom KUB ins Scheinwerferlicht gestellten Archivalien eindrückliche Verbindungslinien ziehen.

VALIE EXPORT
Archiv

bis 22.1.2012
Di - So 10 - 18, Do 10 - 21

Kunsthaus Bregenz

www.kunsthaus-bregenz.at