Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Jonas Berkmann · 22. Jun 2017 · Ausstellung

„ … und so den Raum betrat, auf 47stem Breitengrad ...“ - vom Fundstück zum Kunststück in der Artenne Nenzing

Gegenstände, Objekte, Formen und Strukturen aus dem alltäglichen Umfeld, der Industrie oder der Natur sind es, die den Ausgangspunkt der Ausstellung „ … und so den Raum betrat, auf 47stem Breitengrad ...“ in der Artenne Nenzing bezeichnen. Die teilnehmenden KünstlerInnen zeigen, wie Gefundenes und Gewöhnliches durch künstlerische Eingriffe und Erfindungsgabe aus seiner ursprünglichen Bedeutung herausgelöst und in die Ebene der Kunst transformiert wird.

Die Gruppenschau knüpft an die letztjährige Ausstellung „Stöbern und Stolpern“ an, die sich mit Dachböden und anderen Erinnerungsräumen beschäftigt hat. Setzten sich die KünstlerInnen im vergangenen Jahr mit Dachböden, Archiven oder Bibliotheken, die ja als räumliche Erinnerungsmetaphern gelten, auseinander, um die in einer Art Zwischenzustand befindlichen Dinge aus der Vergessenheit zu erlösen, folgt jetzt die Erweiterung der „Trouvaille“ und deren Bearbeitung auf das allgemeine private und öffentliche Umfeld.
Der Ausstellungstitel „ … und so den Raum betrat, auf 47sten Breitengrad ...“ ist zweifellos kryptisch gewählt. Gleichwohl er kleine Geschichten enthalte. Gemeint ist laut Kurator Karlheinz Pichler, dass eine Form, eine Struktur, ein Objekt gefunden wird, dann durch künstlerische Eingriffe zu einem Kunstwerk transformiert wird und als solches dann den Kunstraum betritt und sich dort repräsentiert. Und dieser Kunstraum, eben die Artenne, liegt auf dem 47. Breitengrad. Genau genommen auf 47 Grad und 11 Minuten nördlicher Breite. Assoziationen zum Parfüm 4711 entstünden rein zufällig, heißt es. Dennoch findet sich in der Schau ein kleines Fläschchen 4711 in einem transparenten Büromäppchen, das Nadine Hirschauer auf einem Flohmarkt gefunden habe. 

Schaltuhr für Steine

Für schräge Objekte, die voller Ironie stecken, ist der Appenzeller Maler, Zeichner und Bildhauer Adalbert Fässler bekannt. In der letzten Kammer im obersten Stock hat er eine Reihe solcher merkwürdiger, zum Schmunzeln verleitende Kunstwerke arrangiert. Darunter mehrere Steine mit eingebauter Zeituhr. Material, das sich in Zigtausenden von Jahren nur um Millimeter bewegt, kann mit dieser Schaltuhr definitiv zum Stillstand gebracht werden. Auch die tragbare Eisenbahnschwelle, die als Handgepäck mitgenommen werden kann, stammt von ihm.

Alois Galehr, den man aus Nenzinger Perspektive als Platzhirsch bezeichnen kann, zeigt unter anderem eine Reihe von Leuchtkästen, die wie Eisschollen übereinander geschichtet sind. Die Kästen stammen aus dem Vaduzer Gemeindebauamt. Galehr hat sie vor 17 Jahren sozusagen vor der Deponie gerettet. 2004 hat er mit diesen Leuchtkörpern - anlässlich 125 Jahre Glühbirne - bereits eine Lichtistallation am Rathausplatz Nenzing realisiert. Vor zwei Jahren zeigte er sie im Engländerbau Vaduz als Teil der Transfer-Ausstellung. Auf ihrere Odyssee legen sie nun wieder einen Zwischenstopp in Nenzing ein.

 

Von Marcus Gossolt aus St. Gallen, den man in der Schweiz als einen Teil des Künstlerduos Com&Com bestens kennt, ist mit der Arbeit „Simulationsmilch“ vertreten. Auf einem Prozessorgehäuse steht eine alte Milchkanne auf der wiederum ein Röhrenmonitor ruht. Schaltet man den Computer ein, „ergießt“ sich das Licht scheinbar wie Milch über die Kanne.

 

Ra'anan Harlap war schon im letzten Sommer zu Gast in der Artenne. Von ihm sieht man weitere Beispiele im Umgang mit Abbruchbalken oder Kisten. Er nimmt das Material auseinander und fügt es dergestalt wieder zusammen, dass die transformierten Ausgangsprodukte wie dreidimensionale Zeichnungen erscheinen.

Analoge Zugzielanzeige wird zu Vita-Parcours

Mit einer alten, analogen Zugzielanzeige der ÖBB nimmt Wolfgang Herburger im Eingangsbereich die vor allem in den 1970er-Jahren populär gewordenen Fitness-Parcours auf die Schippe. Zwar gibt es noch hier und da solche Parcours mit den typischen Anleitungs-Piktogrammen, aber in den letzten Jahren wurden sie immer mehr von Finnenbahnen verdrängt. Den Besuchern der Artenne stehe es laut den Organisatoren frei, solche Parcours-Übungen nachzuturnen. Wenn man die weißen Knöpfe an der herunterhängenden Schnur betätigt, erscheinen jeweils neue Anleitungszeichen.

 

Nadine Hirschauer hat verschiedene Plätze in Nenzing bewandert und nach ephemeren, also kurzlebigen Pflanzen gesucht, aber auch nach historischen Begebenheiten. Von den gefundenen Pflanzen, mitunter handelt es sich dabei um banales Unkraut, fertigte sie Abdrücke auf Papier an. Wie bei einem Herbarium oder Museum ergänzt sie die Abdrucke mit exakten Geodaten und zeitlicher Bestimmung des Fundes. Ergänzt werden diese durch teils poetische Handlungsmöglichkeiten. Beispielsweise steht bei einem Fund dabei: Hier soll die Postkutschenstation Wien-Paris mit 50 Pferdeplätzen gewesen sein. Möglichkeit I: Was wäre, wenn ich hier bleiben würde? Für die nächsten 50 Minuten?

 

Sigrid Hutter hat für eine Oldtimer-Messe am Comer-See im Auftrag von BMW eine Zeitlang alte Motorräder gezeichnet. Dafür erhielt sie von überall auf der Welt teils schlechte, teils bessere Fotos zugesandt, die sie dann in filigraner Arbeit mit Editierstift und Wasserfarben fast fotorealistisch aufs Papier brachte. Einige Beispiele, die auch als Vorlage für den Messekatalog dienten, sind im oberen Geschoss zu sehen.


Sonja Lixl, 1961 aus dem salzburgischen Hallein stammend, geht für ihre Werkserie von einem alten, 60 cm hohen tibetanischen Druckstock aus. Die Künstlerin, die heute in Reichenau an der Rax (NÖ) lebt und arbeitet, hat mit diesem Druckstock früher mehrere Serien ganz spezieller Gebetsfahnen hergestellt. An diese Werke knüpfen die Exponate an, die sie in Nenzing zeigt. Unter dem Titel „Windpferd 1-7“ wartet sie mit sieben Holzdrucken auf handgeschöpftem Papier auf.

Hubert Matt wartet mit einer Installation auf, die aus zwei abgesägten Stühlen besteht, die er vor der Entsorgung gerettet hat. Weiters gehören Schablonen für Tisch- und Stuhlbeine aus der Werkstätte seines Vaters, sowie persönliche Notizen und Fotos dazu. Erstere erinnern an die drei „Musterfäden“ von Marcel Duchamp. Matt platzierte die Stühle rechts und links eines Tisches, dessen Beine analog zu den Stühlen auch gekürzt wurden. Die Installation evoziert den Eindruck, als wäre alles versunken - in die Erinnerung vielleicht.

Von Herbert Meusburger ist im Stall eine Bettflasche aus Hohenemser Muschelkalk zu sehen. Er übersetzt damit nicht nur eine alltägliche Form ins Bildhauerische, sondern karikiert die Leichtigkeit der Ausgangsform mit der Schwere des eingesetzten künstlerischen Materials. In einer zweiten Arbeit, einem Wandbild, hat er eine MDF-Platte mit Gips und Acryl überspachtelt und die dem Holz typischerweise innewohnende Maserung und Struktur mit Hilfe von Kaltnadelwerkzeug wieder freigelegt. Formal erinnern diese „Einschreibungen“ an Blumenwiesen, Heuhaufen, Laubwerk oder Steinkrusten.


An die 500 Nylon-Einkaufstaschen, die die Leute üblicherweise wegwerfen, hat
May-Britt Nyberg Chromy für ihre Arbeit in Streifen geschnitten, miteinander verknüpft und zu Knäueln aufgewickelt. Die Knäuel hat sie dann zu einem vier Meter langen Wandteppich verhäkelt. In der Arbeit steckt Kritik an der Wegwerfgesellschaft, vor allem an der Verschmutzung der Meere durch Plastikmüll, der, in den Meerestieren kontaminiert, in die Nahrungsmittelkette gelangt. Aus der Entfernung betrachtet, wirkt die Arbeit auch wie ein abstraktes Bild, wie erweiterte Malerei.

Makabres Selbstporträt

Oswald Oberhuber ist mit einer sehr persönlichen Arbeit in der Schau vertreten. Auf einer Expedition in die Antarktis sind seine Zehen und der halbe Fuß abgefroren. Aus einem Protesenschuh, einem zeichnerisch stilisierten Kopf von hinten und sonstigen Utensilien hat der Künstler ein makabres Selbstporträt geschaffen. Das Arrangement erinnert an einen miniaturisierten Kartonsarg.

Der Harder Künstler Rainer Schneider spielt bei seiner komplexen Deerhunter-Installation, mit der er auch den gleichnamigen Film referenziert, unter anderem mit der Wahrnehmung. Bei den Aufnahmen von Schleich-Spielzeugfiguren dominiert die Unschärfe. Es ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich, sind die Tiere echt oder nicht. Fotografien unterschiedlichen Formats sowie eine Video-Einspielung im Geäst einer kuriosen Hirschskulptur aus gefundenem Gehölz vereinen sich zu einer sehenswerten Einrichtung.

Von der aus dem indischen Ajmer stammenden und heute in Wien lebende Künstlerin Nita Tandon werden sieben Objekte ihrer Werkserie „Automats“ präsentiert. Dabei handelt es sich um Betonabgüsse von Autofußmatten, also jenen Gummiunterlagen, die wir während des Sitzens und Fahrens im Auto kaum zu Gesicht bekommen. Die Abgüsse sind die Negative dieser Matten. Alle Eindrücke einer Oberfläche, die wir sonst nicht erfühlen, spiegeln sich negativ im Betonabguss. Wie zumeist in ihrem Schaffen, geht es Tandon auch bei diesen „Automats“ um die Umkehrung von Ebenen, um den Aspektwechsel, das Erschaffen von Dingen, die zwei Sichtweisen erlauben.

Von Erwin Wurm ist letztlich eine kleine Arbeit aus den 1980er-Jahren in der Ausstellung, in der aber die Ironie seiner heutigen Arbeiten bereits angelegt ist. Zwei Stuckatur-Kardätschen hat er so zusammengenagelt, dass sie einen stilisierten Kopf ergeben und diesen dann in wilder Manier bemalt.

„ … und so den Raum betrat, auf 47sten Breitengrad ...“
Mit Adalbert Fässler (CH), Alois Galehr (A), Marcus Gossolt (CH), Al Hanson Al (USA, † 1995), Ra'anan Harlap
(IL), Wolfgang Herburger (A), Nadine Hirschauer (A), Sigrid Hutter (A), Sonja Lixl (A), Hubert Matt (A), Herbert Meusburger Herbert (A), May-Britt Nyberg Chromy (DK/A), Oswald Oberhuber (I/A), Rainer Schneider (A), Nita Tandon (IND/A), Erwin Wurm (A)
Artenne Nenzing
Bis 23.7.2017
Mi, So 16-19
www.artenne.at