„Kaffee und Zucker?“ Dokumentartheater im TAK in Liechtenstein © Pablo Hassmann
Peter Niedermair · 05. Apr 2019 · Ausstellung

This is not a shirt. Textile Arbeiten | von Anna Heringer – Ausstellung im vai Dornbirn

Unmittelbar nach der Eröffnung der Ausstellung am Vorarlberger Architekturinstitut (vai) im März dieses Jahres flog Anna Heringer mit ihren liechtensteinischen Architektur-StudentInnen nach Bangladesch. Zum einen ist es für die Studierenden eine Exkursion, auf der sie sich ihren eigenen Bauplatz in Bangladesch anschauen, wo sie ein Gebäude planen sollen, ein Internat, das Mädchen bessere Bildungschancen eröffnet. Danach geht es weiter zur Baustelle, nach Rudrapur, wo sie praktische Erfahrungen machen werden und direkt ins Bauen mit Lehm und Bambus eintauchen; dort bekommen sie auch ein Training mit den Bauarbeitern, um materialgerecht entwerfen zu können. Gleichzeitig gibt es derzeit an der Uni in Liechtenstein im Vorspann der Reise das Thema Upcycling; die StudentInnen werden dazu mit den Schneiderinnen der NGO Dipshikha Projekt arbeiten. Mitgegründet wurde das im vai ausgestellte Textilprojekt Projekt von Anna Heringer, gemeinsam mit Veronika Lang, einer Schneiderin, die in Anna Heringers Heimatstadt in Bayern, in Laufen, arbeitet.

Das Motiv und Selbstverständnis dieses Projekt zu gründen, lag in ganz pragmatischen Überlegungen. Anna Heringer und Veronika Lang sahen, dass die Schneiderinnen in diesem Ort in Bangladesch ohne Arbeit sind, dass zum einen Decken da sind, mit denen sie etwas machen könnten, zum anderen wäre es nicht möglich gewesen, dass diese Schneiderinnen Textilien entwerfen würden, die bei uns getragen werden. Die Ansichten dazu wären zu weit auseinander gelegen. Da brauchte es einen Partner, und Veronika Lang als Schneiderin brachte die perfekten Voraussetzungen dafür mit, während die Schneiderinnen merkten, dass durch die Billiglohnprodukte die Konkurrenz zu mächtig war. Die Kooperation vom Handwerk in Bangladesch mit dem europäischen fand bei den Frauen dort großen Anklang. Peter Niedermair führte mit Anna Heringer das folgende Gespräch:

Peter Niedermair: Welche Folgen zeitigt dieses Projekt dort wie hier? Ich kann mir vorstellen, es hält die Leute im Ort …

Anna Heringer: Ja, die Leute bleiben im Ort. Es ermöglicht den Frauen im Dorf Arbeit zu finden; sie müssen nicht mehr in die Orte, wo es Fabriken gibt, auswandern. Frauen, die dort hin mussten, sind mehr als froh, weil es ein Leben bedeutet, das nicht lebenswert ist. Mit der Arbeit in unserem Projekt können diese Frauen den Lebensunterhalt für ihre Familien vor Ort bestreiten.

Niedermair: Diese Sari Decken sind der Rohstoff, der weiterverarbeitet wird. Beispiele sind auch in der Ausstellung hier am vai in Dornbirn zu sehen. Aus welchen Traditionszusammenhängen stammen diese Decken und wofür werden sie verwendet?

Heringer: Normalerweise sind das abgetragene Baumwoll-Saris, die upgecycelt als Decken verwendet werden. Auf denen schläft man, im Winter nimmt man sie auch zum Zudecken; diese Saris liegen auf Strohsäcken und später dann, irgendwann einmal, würden sie zu Putzlumpen werden.

Niedermair: Wie jede textile Tradition erzählen auch diese Saris Geschichten von Familien und vom Leben im Dorf und den Bewohnerinnen. Was ist auf den hier ausgestellten Saris zu lesen? Und, wie kann man das lesen?

Heringer: Ich selbst habe einen Mantel aus einer Decke von einer Familie, die ich gut kenne. Vorher wurde dieser Sari über zwanzig Jahre lang als Decke und Mantel von einer Frau getragen, seit sie mit dem ersten Kind schwanger war. Auf der Decke sind weitere Hinweise auf wichtige Ereignisse im Dorf zu finden, zum Beispiel wird über die Folgen eines Ernteausfalls erzählt. Daneben gibt es auch andere Erinnerungen, die in den Sari eingearbeitet sind. All das spiegelt sich auch im Label. In jedem Shirt ist entweder der Name der Schneiderin auf Bengali verewigt oder der Name der Familie, aus der die Decke stammt. Bei allen Erzählungen auf den Decken geht es zentral um die persönlichen Geschichten. Diesen Geschichten einen Rahmen zu geben und über das Nähen positive Lebensbedingungen zu vermitteln, ist eine Grundvoraussetzung im Projekt. Alle diese Geschichten werden in der Folge von den BenutzerInnen weiter geschrieben. 

Niedermair: In der Ausstellung zeigst Du auch Decken und Tücher … unter anderem habe ich auf diesen großformatigen Decken auch Baupläne entdeckt …

Heringer: Die Frauen dokumentieren alle unsere Bauprojekte, die wir dort machen. Besonders spannend war für sie aktuell, dass sie die Pläne jenes Gebäudes auf diese Decken sticken, in dem sie jetzt gerade arbeiten, während sie beobachten, wie das Gebäude immer mehr wächst. Sie freuen sich schon sehr darauf, wenn sie dann dort schließlich einziehen dürfen.

Niedermair: Woher kommt der Titel „This is not a shirt“?

Heringer: Wir alle planen Räume im weitesten Sinne, egal ob wir PlanerInnen oder ArchitektInnen sind, schon allein durch die Art und Weise, wie wir konsumieren. Ein T-Shirt ist deshalb nicht nur ein T-Shirt, sondern hat auch eine räumliche Entsprechung oder es gestaltet Räume. Das Projekt schafft Räume, in denen die Frauen Produkte nähen, die wir verkaufen und somit auch einen Freiraum ermöglichen. Deshalb bedeutet der Titel „This is not a shirt – This is a playground, this is a home, this is a garden …“; im Prinzip geht es darum, all das zu benennen, was da drinnen steckt. Aufgeführt werden die positiven Lebensräume im Dorf.

Niedermair: Was ist denn Deine persönliche Perspektive auf das Projekt in Bangladesch und was das Motiv, mit den liechtensteinischen Studentinnen und der Uni zu arbeiten?

Heringer: Lehm ist ein wichtiges Material für die Zukunft des Bauens. So, wie wir jetzt bauen, können wir nicht mehr weiter machen; dass ein Weltbürger pro Jahr einen Kubikmeter Beton verbraucht, ist unglaublich viel. Deshalb müssen wir uns auf Alternativen einstellen. Und dafür braucht es die junge Generation von PlanerInnen. Und je eher die das lernen, desto schneller gelingt eine Umstellung. Es ist mir ein großes Anliegen, nicht nur selber Gebäude hinzustellen; ich selbst habe ein kleines Büro, weil ich ganz bewusst tief in den Projekten involviert sein will und nicht nur Akquise betreiben will. Deshalb ist die Multiplikation in der Lehre, junge Leute auszubilden, ein wichtiger Schritt.

Niedermair: Was für Konflikte, Probleme und Störungen tauchen in dieser Arbeit auf? Die Situation in Bangladesch insgesamt ist schwierig, wie man laufend lesen kann, auch die Nähe zu Myanmar mit den vielen Menschen, die von dort geflohen sind, ist eine große Herausforderung … Wie spielt das alles in Euer Projekt herein? 

Heringer: Mit den Studenten des letzten Semesters war ich in den Flüchtlingslagern und habe mit ihnen dort begonnen, ein Bauprojekt zu planen, das ich mit ihnen realisieren möchte. Es ist an sich schon ein Wahnsinn, wenn man merkt, dass hier 700.000 Leute in ein unglaublich dicht besiedeltes Land kommen, das an sich schon so arm ist, und trotzdem suchen die Menschen dort nach Möglichkeiten, dass die Flüchtlinge bleiben können.

Niedermair: Die aus Myanmar Geflohenen haben, wie ich aus verlässlichen Quellen weiß, überhaupt keine Aussicht auf Rückkehr …

Heringer: … und dazu kommt, dass die Lage dort wegen der vielen Landminen lebensgefährlich ist, was das Land enorm belastet. Auch wenn Landknappheit ganz massiv ist, sind die Bangladescher trotzdem sehr mitfühlend. Es wurden sehr viele Spenden gesammelt, Muslime sind sehr spendenfreudig, das muss man in dem Fall wirklich betonen.

Niedermair: Wie kann man das Projekt unterstützen?

Heringer: Am liebsten ist uns im Moment ein Einkauf im vai in Dornbirn. Das ist eine sehr schöne Form des Spendens, weil es ein Austausch ist, man spendet nicht nur, sondern  bekommt dafür auch etwas sehr Schönes.

Niedermair: Wie kann man diese Textilien, die in Bangladesch handgefertigten Damen-Shirts und Kissenbezüge in verschiedenen Größen, danach weiterhin beziehen, wenn die Ausstellung hier in Dornbirn zu Ende ist?

Heringer: Wir werden einen Online-Shop einrichten, Informationen wird es auf der Homepage geben: www-heringer.com; www.shanti.de ist eine weitere Homepage Adresse, wo man ein Spendenkonto findet.

Niedermair: Herzlichen Dank, gute Reise und viel Erfolg mit dem Projekt in Bangladesch und auch hier in Europa!

Zur Person:
Anna Heringer ist Architektin. Sie wurde mit dem Bau der METI School in Rudrapur, Bangladesch, international bekannt, die sie als Diplomarbeit entworfen hat. Seither hat Heringer durch Bauten hauptsächlich in Asien, Afrika und durch die Architekturlehre in Stuttgart, Linz, Wien und der ETH Zürich ihren mehrfach ausgezeichneten Architekturansatz, der auf lokalen Baumaterialien und Arbeitskräften beruht, weiterentwickelt. Ihr zentrales Anliegen ist es, durch das persönliche Engagement des Architekten soziale und wirtschaftliche Zusammenhänge im Planungs- und Bauprozess schrittweise aufzubauen und deutlich zu machen. Ihre Arbeiten wurden in zahlreichen Museen weltweit ausgestellt, wie beispielsweise im MoMA New York, in der Cité de l’architecture in Paris, dem Museum of Modern Art in Sao Paulo und der Biennale in Venedig. Für ihre Arbeit erhielt sie u.a. den Aga Khan Award for Architecture, AR Emerging Architects Awards und den Global Award for Sustainable Architecture. Die UNESCO verlieh ihr einen Ehrenprofessorinnentitel für „Earthen Architecture, Building Cultures and Sustainable Development“. (Aus der letztjährigen Ausstellung: Anna Heringer | Martin Rauch: Bauen mit Lehm, vai Homepage, 8.5.2018)

Ausstellung bis 20. April 2019 
Di - Fr 14 - 17 Uhr, Do bis 20 Uhr, Sa 11 - 15 Uhr
vai, Vorarlberger Architektur Institut, Dornbirn
www.v-a-i.at