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Karlheinz Pichler · 30. Dez 2021 · Ausstellung

„Sie bleibt so lange sie kann. Und dann geht sie fort“ - Eine famose Ausstellung zum dichten „Spätwerk“ von Gesine Probst-Bösch im Dock 20

Der Lustenauer Kunstraum Dock 20 gibt in Zusammenarbeit mit dem vorarlberg museum bis 6. Februar einen retrospektiven Einblick in die letzten sechs bildnerischen Schaffensjahre der Künstlerin und Literatin Gesine Probst-Bösch (1944-1994). Zur einfühlsam zusammengestellten Ausstellung, die nach einem Bildtitel der Künstlerin poesievoll mit „Zehn Pfeile, ein Herz und eine Seele“ überschrieben ist und die von der Dock 20 Leiterin Claudia Voit kuratiert wird, ist auch ein überaus empfehlenswertes, sehr umfangreiches Katalogbuch mit zahlreichen Bildreproduktionen und einigen Gedichten von Probst-Bösch erschienen.

Basis der Ausstellung bilden sieben Mappen und eine Schachtel mit insgesamt über 600 mit Tusche, Buntstift, Kreide und Öl gesetzten Zeichnungen und Malereien aus dem Nachlass von Gesine Probst-Bösch, die die Gedanken, Alltagsbeobachtungen und Reflexionen der Künstlerin ihrer letzten sechs Lebensjahre visuell festhalten. Nach der Sichtung und Dokumentation dieses Konvolutes haben die Ausstellungsmacher:innen circa 200 Arbeiten für die Repräsentation ausgewählt.     
Das Zitat „Sie bleibt so lange sie kann. Und dann geht sie fort“ legte Probst-Bösch der Protagonisten ihres autobiografischen Romans, der nie erschienen ist, in den Mund. Es ist ein Statement, das vor allem ihr eigenes Schicksal vorwegnimmt. Jedenfalls war die Zeit vor ihrem Freitod ungemein produktiv. Sie brachte - oft mit schneller, direkter Geste, Eindrücke der sie umgebenden Lebenswelt, des täglichen Lebens, der sozialen und gesellschaftlichen Vorgänge - ihre innersten Gedanken, Träume und Ängste mal ernst und hintergründig, auch düster und schwermütig, aber genauso oft auch humorvoll, verspielt und voller Hintersinn zu Papier. Dabei war sie stets bemüht, ihre Ansichten und Einstellungen einerseits präzise darzustellen, andererseits aber auch Mehrdeutigkeiten und Unschärfen zuzulassen.     
Die 1944 in Weimar geborene Gesine Probst-Bösch studierte ab 1967 an der Akademie der bildenden Künste in Wien bei Josef Mikl und Walter Eckert. Dort kam sie auch mit dem Abstrakten Realismus der österreichischen Avantgarde rund um die legendäre Gruppe Galerie nächst St. Stephan in Berührung. Es entstanden stark abstrahierte, in gestischer Farbigkeit aufgelöste Figurationen. An der Akademie lernte sich auch den Hörbranzer Maler Richard Bösch kennen und vermählte sich mit ihm 1968. Nach dem Ende des Studiums ziehen die beiden 1971 nach Hörbranz. Noch im selben Jahr kommt Sohn Florian, 1975 Tochter Barbara zur Welt. In den 1970er Jahren wird es still um die Künstlerin, sie zieht sich aus dem Kunstbetrieb zurück. Erst ab 1980 tritt sie wieder in der Öffentlichkeit in Erscheinung, diesmal jedoch als Literatin mit ungemein eindringlich-lyrischen Texten. In der zweiten Hälfte der 1980er wird sie dann auch wieder als bildnerische Künstlerin wahrnehmbar.     

Umbruch       

Die erste Arbeit der Ausstellung im Dock 20 ist auf den ersten Jänner 1989 datiert und trägt den Titel „Das Empfangende“. Ihre Themen kreisen in den ersten Monaten dieses persönlichen (und auch politischen) Umbruchjahres vor allem um Empfängnis, Geburt und Fürsorge. Dem folgt die Auseinandersetzung mit dem Paarbegriff und der Emanzipation der Frau in einer Partnerbeziehung, wie Werke wie „Verschmelzung und Abgrenzung“ oder „Kampf“ veranschaulichen. Im Herbst trennt sie sich von ihrem Mann und übersiedelt nach München. Sie wendet sich dem erzählerischen Zeichnen zu und und widmet sich auch weiterhin der Literatur. Probst-Bösch gelangt von einer Beobachtung der Außenwelt immer mehr zu einer Innenschau. „Sie findet Chiffren, um ihr psychisches Erleben in unterschiedlichsten Formen auf Papier zu bannen“, schreibt die im vorarlberg museum arbeitende Kunsthistorikerin Kathrin Dünser im Katalog zur Ausstellung (S. 20). Sie zitiert in ihrem Essay auch die Probst-Bösch-Kennerin Susanne Berchtold, die festhält: „Gesine Probst (treibt) in ihren poetischen Werken die Reduktion der Bildsprache voran. Sie nähert sich dem Wesentlichen mit einfachen gestalterischen Mitteln. Piktogramme, zeichenhafte transitive Formen, Gegenstände, die sich in Figuratives wandeln und umgekehrt bestimmen ihre Vorstellungswelt.“ (Susanne Berchtold in: zeichnungsARTen, Zeichnungen Vorarlberger Künstlerinnen und Künstler 1960 – 2001, S. 8)      
Vom formalen Vokabular her gesehen, tauchen im Weiteren immer wieder Hände und Füße als bestimmende Körperteile ins Bild, mit denen die Künstlerin die Figuren durch Treten, Berühren, Tasten oder Trampeln interagieren lässt. Damit stellt sie zudem den Ich-Bezug zur Welt her.

Ab 1990, nach dem Umzug nach München, tummelt sich auf großen Kartons „ein wilder Mix an Motiven: organische Formen, Ranken und Blätter, Köpfe, Extremitäten und Ohren, architektonische Formen und Säulen verbinden sich mit geometrischen und symbolischen Formen, mit Herzen, Strahlen und Pfeilen. In ihrem Tagebuch finden sich Bezeichnungen sowohl für farbliche als auch motivische Überlegungen – vermischen sich 'irdische', wachsende und sich verzweigende Formen und 'kosmische' Sphären.“ (Begleittext zur Ausstellung)     

Drastische Reduktion     

Das letzte Lebensjahr von Probst-Bösch ist künstlerisch geprägt von einer drastischen Einschränkung des Farbeinsatzes. Ihre Arbeiten sind mit einem Mal fast ausschließlich in Schwarz-Weiß gehalten. Zudem tritt mit „Winnie-Maus“ eine neue Figur in den Vordergrund, in der die zwei sehr unterschiedlichen Disney-Kreationen Winnie-the-Pooh und Mickey Mouse zu einem ambivalenten Geschöpf verschmelzen. Nochmals der Begleittext: „Die verniedlichte Bildsprache täuscht nicht darüber hinweg, dass Gesine Probst-Bösch mit diesen Arbeiten die eigene Verwundbarkeit und Fragilität aufs Tablett bringt. Ihre Tagebuchaufzeichnungen aus den ersten Monaten des Jahres 1994 zeugen von einem permanenten Ringen um ein inneres Gleichgewicht: Sie analysiert ihre Kindheit, ihre Ehe, ihre Träume und versucht, Erlebtes, Gedachtes und Geträumtes mithilfe einer therapeutischen Analyse in ein konsistentes Bild von sich selbst einzuordnen.“      
Die Probst-Bösch-Retrospektive ist nach den Ausstellungen zu Anna Oppenheim (2017) und Anne Marie Jehle (2019) die nunmehr bereits dritte Schau, die wichtige, aber bislang zu wenig beachtete feminine Positionen posthum in Räumlichkeiten präsentiert, die auf zeitgenössische Kunst fokussiert sind.      

Das Buch      

Ergänzend zur Ausstellung haben das Dock 20 und das vorarlberg museum unter dem Titel „Gesine Probst-Bösch: Zehn Pfeile, ein Herz und eine Seele“ auch ein grandioses Katalogwerk erarbeitet, das dem Werk von Gesine Probst-Bösch endlich jene Würdigung zukommen lässt, die sie längst verdient. Auf insgesamt 314 Seiten wurden diejenigen rund 200 auserlesenen Arbeiten aus dem Nachlass der Künstlerin, die auch in der Ausstellung zu sehen sind, reproduziert. Ausführliche Essays der Kunsthistorikerinnen Kathrin Dünser, Nina Schedlmayer und Claudia Voit geben einfühlsame Einblicke in das Werk und die Person Gesine Probst-Bösch. Peter Niedermair hat einige markante Texte von Probst-Bösch ausgesucht und diese am Schluss des Buches auch kommentiert. Für das grafische Konzept und die sorgsame gestalterische Umsetzung des Buches zeichnet Daniela Fetz verantwortlich. Das Buch kann um 29 Euro im vorarlberg museum, im Dock 20 in Lustenau sowie im Buchhandel erworben werden.       

Gesine Probst-Bösch: Zehn Pfeile, ein Herz und eine Seele
bis 6.2.2022
Fr, Sa, So, Fe 15-19
Dock 20, Lustenau
https://dock20.lustenau.at