Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Karlheinz Pichler · 02. Feb 2014 · Ausstellung

Seelenstecher voller Würde - "Wahnsinn sammeln" im St. Galler Museum im Lagerhaus

Der legendäre Kurator Harald Szeemann hat 1963 in der Kunsthalle Bern erstmals Arbeiten von Psychiatriepatienten offiziell als Kunst gezeigt. 1972 präsentierte er an der Documenta 5 das Werk von Adolf Wölfli. Und letztes Jahr partizipierten „Outsider“ wie GUO Fengyi und Anna Zemánková an der Biennale Venedig. Selbst das Thema der 55. Biennale von Venedig 2013 basierte auf dem "Palast für die Enzyklopädie der Welt" von Marino Auriti, einem Arbeiter und autodidaktischen Künstler. Längst ist auch ein immenser Sammlermarkt für „Art Brut“ entstanden, und für erlesene Arbeiten von „Outsidern“ müssen stolze Summen hingeblättert werden. Über eine der interessantesten Privatkollektionen verfügt das Thurgauer Sammlerpaar Karin und Gerhard Dammann. Unter dem Titel „Wahnsinn sammeln“ ist in dem auf Art Brut fokussierten St. Galler Museum im Lagerhaus derzeit ein Querschnitt wichtiger Exponate der „Sammlung Dammann“ zu sehen.

Der Titel der Ausstellung „Wahnsinn sammeln“ ist äquivok. Zum einen suggeriert er, dass man Wahnsinn sammeln könne, gleichzeitig verweist er darauf, dass das Sammeln Wahnsinn sei. Nicht umsonst spricht man von Sammeltick oder Sammelwahn. Vielleicht ist es ja gerade dieser „Wahnsinn“, der die Outsider mit den Sammlern verbindet.

Oft sind es Psychiater, die besonders markante Werke von PatientInnen sammeln. Zu den bekannten zählen etwa Walter Morgenthaler, Hermann Rorschach, Gaston Ferdière, Vittorino Andreoli oder Leo Navratil. Letzterer verschaffte ja den Gugging-Künstlern Weltruf. Eine Ausnahme bildet der Kunsthistoriker und Arzt Hans Prinzhorn, der an die Psychiatrische Klinik Heidelberg berufen wurde, eine schon vorhandene „Lehrsammlung“ wissenschaftlich zu bearbeiten, und diese dann ausgebaut hat, ohne jedoch Psychiater zu sein.

Sammelnde Psychiater


Auch Gerhard Dammann ist Psychiater und zusammen mit seiner Ehefrau Karin bekannt als leidenschaftlicher Sammler von Outsider Art. Im Jahre 2006 wurde ihre Sammlung schon einmal unter dem Titel „Wahnsinn sammeln“ öffentlich präsentiert. Damals in der Sammlung Prinzhorn in Heidelberg, und danach in Hamburg und Zürich. Seit damals sind viele neue Werke dazugekommen, und heute ist diese Schweizer Privatsammlung in der Welt der Outsider Art längst bekannt. Das im Thurgau lebende Paar hat mittlerweile eine internationale Kunstsammlung von rund 300 Werken ausgesuchter Qualität zusammengetragen.

Als Privatsammlung, bei der die Freude an der Kunst im Vordergrund steht, ist sie allerdings kaum mehr eine „psychiatrische“ Sammlung zu nennen. Gleichwohl versteht sich Gerhard Dammann in der Nachfolge seiner Sammlerkollegen, wie einem Begleittext zur Ausstellung zu entnehmen ist: „Die Auseinandersetzung mit den Grundkonflikten des Menschen ist sein Lebensthema – sowohl in seiner Arbeit als Psychiater als auch in der Beschäftigung mit Outsider Art.“

Wahnsinn sammeln 2.0


Auch die zweite Auflage von „Wahnsinn sammeln“ zeigt herausragende Werke klassischer Art Brut und Outsider Art. Seit der Erstpräsentation dazugekommen sind beispielsweise etliche Arbeiten von Gugging-Künstlern wie August Walla, Oswald Tschirtner oder Johann Hauser. Oder die Werke berühmter PatientenkünstlerInnen, die ursprünglich aus der Sammlung Prinzhorn stammen, wie etwa Else Blankenhorn, August Klett, Oskar Voll, Heinrich Anton Müller und Paul Goesch.

Auch überraschende Einzelpositionen wie Martin Erhard, der ein bizarres, konzeptuell angelegtes „perverses Universum“ ausbreitet, werden präsentiert. Erhard war im Bergbau tätig und verbrachte in den 1970er-Jahren die meiste Zeit seines Lebens unter Tage. Auf Papierbögen entwarf er unter anderem  topografische Landschaften und architektonische Räume für die "Ausübung von Sexualitäten aller Arten nach Wunsch und Trieblust" oder der "Dressier- und Schamstube". In St. Gallen zu sehen ist etwa das Raumschema für eine „Schinderburg“. Diese ist mit ihren sechs Stockwerken 35 Meter hoch, verfügt aber auch über zehn Kellergeschoße, die weit über 200 Meter ins Erdinnere reichen. So gibt es in dieser Schinderburg einen Raum mit „energischem After- und Darmkitzler“, oder eine Zelle für „Einlauf mit Würmern“. Und während das fünfte Obergeschoß „Seelenstecher für die Würde“ vorbehalten ist, birgt das neunte Kellergeschoß „versteckte Höhlen für Homosexuelle“.

Auch zeitgenössische Werke sind zu erkunden, etwa von Horst Ademeit, GUO Fengyi sowie Michel Nedjar, und natürlich darf auch Franz Huemer, der vor zwei Jahren verstorbene „Komponist und Schnitzer universeller Kunstwerke“, in dieser Ausstellung nicht fehlen.

Laut Sarah Lombardi, die die "Collection de l'Art Brut" in Lausanne leitet, arbeiten Art-Brut-Künstler niemals der Anerkennung oder des Geldes wegen. Deshalb würden sie auch nicht auf Markterwartungen reagieren. Gewisse Gesamtwerke würden manchmal erst entdeckt, wenn deren Urheber bereits tot seien.

Augenscheinlich ist, dass Art Brut immer häufiger auch von sehr renommierten Ausstellungsplätzen, wie etwa eben der Biennale Venedig, thematisiert wird. Indem dabei das Gewicht aber nicht mehr auf die Exzentrizität der Outsider Art, sondern auf die Kreativität gelegt wird, weichen sich die Grenzen zur „Mainstream-Kunst“ immer mehr auf.

 

Wahnsinn sammeln
Outsider Art aus der Sammlung Dammann
Museum im Lagerhaus, St. Gallen
Bis 2.3.2014
Di-Fr  14-18
Sa, So, Fe 12-17
www.museumimlagerhaus.ch