Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Karlheinz Pichler · 12. Sep 2013 · Ausstellung

Nichts ist wie es scheint – Mona Hatoum im Kunstmuseum St. Gallen

Die palästinensische Künstlerin Mona Hatoum verwendet für ihre Objekte und Installationen Alltagsgegenstände. Betritt man den künstlerischen Kosmos von Hatoum, kehrt sich das Vertraute aber schnell einmal ins Gegenteil. Teppiche bestehen aus bedrohlichem Kabelwerk, Liegemöbel weisen so scharfe Bezüge auf, dass sie nur für Fakire benützbar scheinen, ästhetische Christbaumkugeln aus edlem Muranoglas entpuppen sich beim Nähertreten formal als Nachbildungen von Handgranaten.

Im Rahmen ihrer ersten großen Schweizer Einzelausstellung gibt Mona Hatoum im Kunstmuseum St. Gallen derzeit einen repräsentativen Einblick in ihr Schaffen. Anhand einer Reihe von Schlüsselwerken, die in den letzten Jahren entstanden sind, sowie eigens für St. Gallen produzierten Arbeiten wird evident, dass bei der in England lebenden Palästinenserin nichts so ist, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Ein ambivalenter Grundton zieht sich quer durch das Werk der Documenta- und Biennale-erprobten Künstlerin.  "Ich spiele mit Erwartungen, dann zerstöre ich sie", erläutert Hatoum denn auch selbst.

Das Kuratorenteam, bestehend aus Konrad Bitterli und Nadia Veronese, hat die Schau so angelegt, dass in jedem Saal eine monumentale Installation im Zentrum steht, die durch kleinere Arbeiten, wie etwa Zeichnungen, Abdrucke auf Wachspapier oder Wandobjekte ergänzt werden.

Spiel der Gegensätze


Im ersten Raum etwa erwarten den Betrachter Tausende von glänzenden, durchscheinenden Glasmurmeln. Die kleinen Kugeln dieser mit „Turbulence“ (2012) betitelten Bodenarbeit sind in einer quadratischen Grundfläche arrangiert. Nur von einer dünnen Silch-Schnur, die außen herum gespannt ist, werden sie in dieser geometrischen Form gehalten. Die strenge Außenform steht im Kontrast zur Labilität der Konstruktion. Die Form könnte jederzeit bersten. Ein Spiel der Gegensätze, neben den Verlockungen des Materials. Bitterli und Veronese haben die Murmeln absichtlich in einem Seitensaal eingerichtet, damit sich vom Hof her Bäume, Blätter und Himmelskonstellationen in den Oberflächen der Murmeln spiegeln können.

Im nächsten Saal stößt man auf die sehr bekannte Arbeit „Paravent“ (2008). Hatoum hat hier drei Haushaltsreiben zu einem ironischen Raumteiler vergrößert. In ihrer Monumentalität verströmen die stählernen, aus ihrem alltäglichen Zusammenhang gerissenen Haushaltsgegenstände einen bedrohlichen Grundton.

Metaphern für das Bedrohliche


Als eine Metapher für Krieg, Absperrung oder Gefangenschaft könnte man den schwebenden Kubus aus Stacheldraht im dritten Raum werten. Der Kubus erscheint leicht, transparent, durchscheinend. Dennoch ist es aufgrund der Eisenstacheln unmöglich, ihn zu durchqueren.

Beklemmend auch die Arbeit „Undercurrent“ im großen Saal. Sie besteht aus einem viereckigen Teppich, der aus rot ummanteltem Elektrokabel geflochten wurde. Von dem solcherart roten Viereck aus mäandrieren lange Kabel durch den Raum, von denen jeder Strang in eine 15-Watt Glühbirne mündet. Die Lampen leuchten dem Atemrhythmus entsprechend langsam auf und erlöschen wieder als würden sie auf etwas Bösartiges unter den Füßen verweisen. Mit Hilfe der Elektrizität lässt Hatoum eine unangenehme und irritierende Atmosphäre erstehen und den Teppich unbetretbar erscheinen.

Auf eine Gefängnissituation verweist Hatoum mit „Quartiers“ im nächsten Raum. Die in einer Kreuzform angelegten Stahlbetten erinnern an Notschlafstellen und Exilierungen.

Ein Langzeitprojekt stellt „Twelve Windows“ im letzten Saal dar. Beeindruckende kleine Teppiche, die in traditioneller palästinensicher Manier gewebt wurden, hängen wie Wäschestücke von Drähten. Verstrebungen behindern allerdings die Wege zwischen den Objekten. Hatoum hat die Teppiche zusammen mit Inaash entwickelt. Inaash ist eine Organisation, die versucht, den in palästinensichen Flüchtlingslagern lebenden Frauen ein Einkommen zu verschaffen.

Hatoum kann auch poetisch sein


Mona Hatoum spielt gerne mit Verführung und Ekel, indem sie etwa Unschuldiges, Schönes zeigt, das sich beim Nähertreten ins Gegenteil verkehrt. Macht und Verletzlichkeit sind für die Künstlerin, die in den 1970er-Jahren von Beirut nach London exilierte, die wichtigsten Themen, die sie stets subtil und mit viel Ironie umsetzt. Dass sie auch poetisch sein kann, zeigt die 2004 mit dem hoch dotierten Roswitha-Haftmann-Preis Ausgezeichnete in St. Gallen unter anderem mit dem eigens für St. Gallen geschaffenen Beitrag „Reflections“. Eine Fotografie aus dem Jahre 1948, die ihre Mutter beim Nähen zeigt, hat sie auf drei hintereinandergehängte Tüll-Stoffe drucken lassen. Je nach Perspektive scheint sich die Dargestellte geisterhaft aufzulösen. Beim Passieren kippt die Fotografie wie bei einem Wackelbild.

Es gibt nur wenige Kunstschaffende, deren Werk derart politisch aufgeladen ist, wie dasjenige von Mona Hatoum. Dass die palästinensisch-britische Künstlerin trotz der Inhaltsschwere nie auf eine Portion Ironie vergisst und auch die künstlerische Form immer ein oberstes Anliegen darstellt, macht die Qualität ihres Œuvres aus.

Mona Hatoum
Kunstmuseum St. Gallen
Bis 12. Januar 2014
Di-So 10-17 Uhr, Mi 10-20 Uhr
www.kunstmuseumsg.ch