Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Karlheinz Pichler · 26. Apr 2018 · Ausstellung

Die groteske Warenwelt auf dem sozial-surrealen Seziertisch Mika Rottenbergs im KUB

Nachdem sich Simon Fujiwara in der letzten Ausstellung im Kunsthaus Bregenz (KUB) mit Vermarktungsstrategien im Sinne von Werbung, Branding und Merchandising auseinandergesetzt hat, nimmt nun auch Mika Rottenberg die Wirtschafts- und Warenwelt ins Visier. Sie rückt allerdings die Grundlagen der Arbeit, die Kreisläufe der Produktion und die Zirkulation von Waren ins Zentrum und verbindet anhand farbenprächtiger und ironisch aufgeladener Videos und Installationen beißende Sozialkritik mit schräger Komik und skurrilen Bildern.

Bei den Protagonisten in Mika Rottenbergs tiefgründigen „Working-Worlds“-Panoramas handelt es sich zumeist um Frauen, die Waren in eintöniger Fließbandarbeit verarbeiten. Die Darstellerinnen, die kaum gewöhnlichen Schönheitsidealen entsprechen, werden zu surrealen Figuren mit übernatürlichen Kräften. Auch physisch sind sie auffällig. Sie sind muskulös oder fettleibig, hochgewachsen oder langnasig, sie schwitzen oder niesen. Zugleich Werkzeug und Rohstoff, reichern ihre Körper die Dinge der Herstellung an, veredeln oder verändern sie. Rottenberg stellt die kapitalistische Welt und ihre industrielle Produktion humorvoll und zugleich in sarkastisch-messerscharfer Übertreibung dar.

Als „sozialen Surrealismus“ bezeichnet KUB-Chef Thomas Trummer folgerichtig denn auch das Werk der 1976 in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires geborenen, in Israel aufgewachsenen und heute in New York lebenden und arbeitenden Künstlerin. Rottenberg verzerrt und übertreibt die Gegenwart, entführt in beklemmende Räume, erzählt von skurrilen Begebenheiten mit ernstem Hintergrund und schafft damit auch neue Perspektiven. Sie verdreht, verrenkt und verkehrt alles: den Körper, Ablaufprozesse, den Zufall, das Glück.

In ihrer Bregenzer Werkschau verwebt die argentinisch-israelische Kunstschaffende nicht nur die Exponate miteinander, sondern auch alle Stockwerke des Kunsthauses. Elemente aus den über 20-minütigen Videos von Rottenberg stehen als reale Gegenstände dem Film gegenüber. Das Geschehen in den Videos hingegen ist nur zum Teil real, zum anderen aber auch bunte Kreativität, absurd und skurril. Skulpturen werde bei Rottenberg zum Film, Filme werden zu Skulpturen.

Für Kurator Rudolf Sagmeister ist Mika Rottenbergs Auftritt im KUB eine durch und durch philosophisch-politische Ausstellung. Der Rundgang der Schau beginnt im Erdgeschoss mit der Installation “Cheese” aus dem Jahr 2008, der die wahre Geschichte von sieben amerikanischen Schwestern (“The Seven Sutherland Sisters”) zugrunde liegt. Diese wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit aus Extrakt aus ihren Haaren hergestelltem Haarwasser zu Millionärinnen. In “Cheese” allerdings stehen nicht nur wallende Mähnen im Mittelpunkt, die Frauen im Video stellen in einem völlig schieflagigen Prozess auch Käse her. Die Monitore präsentiert Rottenberg in einem windschief zusammengenagelten Verbau, der einer Alphütte ähnelt, über die eine Lawine hinweggefegt ist, und stellt damit auch den Vorarlbergbezug her. Auch eine eigene Rottenberg-Bergkäs-Edition hat die Künstlerin in Auftrag gegeben.

Nudeln niesen

Mit der Videoinstallation „NoNoseKnows“ sorgte Rottenberg bereits 2015 auf der Biennale in Venedig für Furore. Die zentralen dokumentarischen Szenen dieser Arbeit wurden in einer chinesischen Perlenfarm gedreht. Arbeiterinnen an einer langen Werkbank setzen dort lebenden Muscheln winzige Fremdkörper ein, damit sie diese mit Perlmutt umschließen. Eine andere Frau ist in einem dreckigen Keller zu sehen, wie sie die mit Zuchtperlen gefüllten Weichtiere knackt und samt schleimigem Inhalt leert. Andere Frauen trennen fingerfertig und flink am Fließband perfekt runde, glänzende Perlen von den ovalförmigen, zweitklassigen Perlen. Im nächsten Augenblick schwenkt Rottenberg ins Surreale: Eine Frau mit einer übergroßen Pinocchionase sitzt vor einem Blumenstrauß und muss ständig niesen. Sie niest Nudeln auf Teller und versorgt damit gleichsam die Arbeiterinnen mit Essen.

Kapitalismus kennt keine Grenzen

Mit „Cosmic Generator“ installierte Rottenberg eine ihrer bekanntesten Arbeiten im dritten Obergeschoss des KUB. Will der Betrachter diesen Raum über die Stiege kommend betreten, so muss er sich zunächst durch einen schmalen Tunnel bemühen. Erst dann kann er sich die Filmmontage „Cosmic Generator“ geben, die die Künstlerin vergangenes Jahr an der weltweit vielleicht wichtigsten Skulpturenausstellung „Skulptur Projekte Münster“ zeigte und die eben von einem Tunnelsystem handelt. Zwischen Mexicali und Calexico trennt nämlich ein Zaun Mexiko von den Vereinigten Staaten. Illegal angelegte Tunnel verbinden jedoch die beiden Grenzstädte miteinander. Gerüchte besagen, dass der Zugang zu dem Tunnelsystem über Läden und Lokale in Mexicali erfolgt. In ihrer filmischen Montage verknüpft Rottenberg Aufnahmen vom dortigen Golden Dragon Restaurant mit einem 99 Cents Store im kalifornischen Calexico und dem Yiwu Market in China, dem weltweit größten Markt für Kleinwaren. Diesem Handelsort für Plastikartikel kommt in dem imaginären Netzwerk, das von einer Reihe teils seltsamer Figuren bevölkert wird, eine zentrale Rolle zu. In seiner artifiziellen Farbenpracht wirkt er selbst wie eine gigantische Inszenierung. Das im Studio gefilmte Tunnelsystem, das im Ausstellungsraum des KUB seine skulpturale Entsprechung findet, hebt die geografischen Grenzen auf, so wie auch der Kapitalismus nicht vor den Grenzen halt macht.

Der Wert der Arbeit

Eine der neuesten Arbeiten ist für einmal nicht bunt, sondern erscheint in einem diffusen und fast sakralen Licht. Auf kleinen Podesten mit Wärmeplatten sind Pfannen als Stellvertreter der Frau am Herd im Raum verteilt. Von der Decke fallende Wassertropfen werden rhythmisch erhitzt. Der Dampf, der aufsteigt, wirkt wie Weihrauch, wie eine überirdische Belohnung für das sich immer wiederholende Schicksal der Frau.

In Rottenbergs Schau in Bregenz gibt es unendlich viel zu sehen. Inhaltliche Schwere wird durch skurrilen Witz und kafkaeske Querschläger sowie durch barocke Schnörkel und Farbenpracht aufgemischt. Die Installationen zeugen von Rottenbergs Gespür und Sensibilität für Themen unserer Zeit, wie den sinnlosen Konsum, die Globalisierung oder die Stellung der Frau in unserer Gesellschaft. Aber alles in bildhaften Kaleidoskopen aufgefächert und in prachtvollen Bildsequenzen angeordnet. „Ihre Arbeiten reichen vom Fabelhaften bis zum Parabelhaften“, lässt sich KUB-Direktor Trummer zitieren.

Mika Rottenberg
Kunsthaus Bregenz
Bis 1.7.2018
Eröffnung: 20.4., 19.00
www.kunsthaus-bregenz.at