„Tancredi“ begeistert als Hausoper der Bregenzer Festspiele in glänzender Besetzung. (Foto: Bregenzer Festspiele/Karl Forster)
Karlheinz Pichler · 19. Apr 2012 · Ausstellung

Linien, die wie schlichte Lebewesen übers Blatt kriechen: Silvia Bächli im Kunstmuseum St. Gallen

Unter dem Titel „Far apart – close together“ ist mit Silvia Bächli derzeit eine Schweizer Künstlerin im Kunstmuseum St. Gallen zu sehen, die im Bereich Zeichnung zweifelsohne zum Besten zählt, was aktuell international zu sehen ist. Anhand der sechs Räume, die sie bespielt, gibt das Kunstmuseum St. Gallen einen faszinierenden Einblick in die leisen, schlichten, aber gleichwohl energiegeladenen Linienwelten dieser sensiblen Künstlerin.

Die früheren Werke der 1956 geborenen Zeichnerin waren viel gegenständlicher und auch expressiver, als es die heutigen sind. Vielfach ging sie von Dingen aus, die sie erlebt und gesehen hat. Mittlerweile entwickeln sich die Arbeiten direkt auf dem Papier. Es sind Prozesse, die aus dem Zusammenspiel zwischen Kopf, Hand und Feder oder Pinsel geleitet werden. Sie geht von Halbvorstellungen aus, die dann auf dem Blatt konkretisiert werden. In einem Gespräch mit der Kunstexpertin und Publizistin Claudia Spinelli anlässlich ihrer Teilnahme an der Biennale von Venedig 2009 meinte Bächli: „Das Tolle an diesem Medium ist ja, dass du so vor dich hin fabulieren kannst. Nachher, mit etwas Distanz, kannst du es dann noch einmal sichten und entscheiden, ob es stimmt. Sind das bloß Linien oder entwickelt sich daraus etwas Anderes und Neues? Oft stimmt nichts. Ich werfe viel fort.“

„Das“ da

Das an der Biennale 2009 gezeigte vielteilige Ensemble „Das“ ist nun auch in St. Gallen zu bewundern. Es nimmt den gesamten Oberlichtsaal ein. In unregelmäßigen Abständen sind Zeichnungen unterschiedlichen Formats und Fotografien mit Präzision gehängt. Schlichte, in sich verschlungene Liniengebilde, Pinselspuren, die sich gegenseitig zart überlagern, und vage Andeutungen stehen neben klar erkennbaren Körperfragmenten, Menschen und Landschaften. „Das“ ist ein Tribut an die 2009 verstorbene dänische Schriftstellerin Inger Christensen und bezieht sich auf das gleichnamige Gedicht, auf Dänisch „det“. In der darin beschriebenen Assoziationskette erkennt sich Bächli wieder: „Das. Das war es. Jetzt hat es begonnen. Es ist. Es währt fort. Bewegt sich. Weiter. Wird. Wird zu dem und dem und dem.“

Einzug der Farbe

Die Komplexe „Rotes Zimmer“ (Raum 1) und „Farbiges Zimmer“ hat Bächli eigens für St. Gallen geschaffen. Baute das bisherige Werk der Künstlerin insbesondere auf schwarzen, weißen und grauen Tönen auf, hat nun plötzlich die Farbe Einzug gehalten. Auslöser dafür sei ein Aufenthalt in Island gewesen, so die Schweizer Zeichnerin, die das Prinzip der Reduktion liebt. „Umrahmt vom Weiß des Schnees erhielten die Dinge Kontur, erschienen fast linear, fast abstrakt, während ihre Farben klar und intensiv hervortraten und nun als zarte, verdünnte Farbspuren auf den weißen Blättern leuchten“, wird im Begleittext zu der von Konrad Bitterli kuratierten Ausstellung erklärt.

Mit „Hafnagarta“ gibt es im Seitensaal Nord aber weitere fotografische Arbeiten Bächlis zu sehen. Entstanden sind diese während ihres Aufenthaltes 2008 in Island. Sie realisierte diese Serie an der Ostküste der Insel gemeinsam mit ihrem Partner Eric Hattan. Präsentiert wird sie auf einer zaunartigen Holzkonstruktion, die sich wie eine schmale Zickzacklinie durch den Raum entwickelt.

Auch Älteres

Im Rahmen der Werkschau sind auch ältere, schon bekannte Arbeiten zu sehen. Arbeiten, die bis ins Jahr 1994 zurückdatieren. So etwa der aus 48 Teilen bestehende Zyklus „Tibet“. Dieses Ensemble ist gleich gehängt wie bei der Erstpräsentation. Nach längerem Ruhen lassen sich solche Ensembles ganz neu lesen, betont Bächli.

Obwohl die fließenden Linien im gesamten zeichnerischen OEuvre der Schweizerin farblich stark reduziert sind, pulsieren sie wie eine bunte Welt voller Leben. Die Lineatur, unter der die Pinselstriche permanent ein- und auszuatmen scheinen, beherrscht in dieser Vollkommenheit nur Bächli.

 

Silvia Bächli:
„Far apart – close together“

Kunstmuseum St. Gallen  
Bis 13. Mai 2012
www.kunstmuseumsg.ch