"Old White Clowns" derzeit am Vorarlberger Landestheater (Foto: Jos Schmid)
Karlheinz Pichler · 21. Dez 2016 · Ausstellung

Die Betonwand als Schnittstelle poetischer Sprachskulpturen – Lawrence Weiner im Kunsthaus Bregenz

Der 74-jährige US-Künstler Lawrence Weiner gilt als Vater der Konzeptkunst. Mit ihm, der mit seinem Rauschebart und der ausgedünnten Haarmähne optisch einem alten Hippie ähnelt, hat das Kunsthaus Bregenz (KUB) derzeit einen der höchstdotierten Gegenwartskünstler mit Werken zu Gast in seinen Räumlichkeiten. Laut einer Mitteilung des KUB hat die noch laufende Schau Weiners „WHEREWITHAL / WAS ES BRAUCHT“ bei den Medien und KünstlerInnen bereits für so viel Aufmerksamkeit gesorgt, wie kaum eine andere Ausstellung bisher. Daher wird sie nun auch bis 22. Jänner verlängert.

Lawrence Weiners Arbeitsmaterial sind Wörter und Buchstaben. Dabei gehe es ihm, wie er selbst sagt, nicht um das Objekt, sondern um die Aussage. Die in Bregenz gezeigten Textbilder thematisieren die Architektur und ihre Zerbrechlichkeit, aber auch den Stein und den Fels und damit den Stoff, aus dem die Berge der für Vorarlberg typischen Landschaft gebaut sind. Die poetischen Sprachbilder sind jeweils zweisprachig angelegt, nämlich in Deutsch und Englisch. So steht an den kalten Betonwänden des KUB etwa über- und untereinander zu lesen: „BUILT UP WITH STONES FALLEN FROM THE SKY / AUFGEBAUT MIT VOM HIMMEL GEFALLENEN STEINEN“. Oder: „THE BOULDERS ON TOP RENT & SPLIT / DIE BROCKEN OBENAUF ZERRISSEN UND GESPALTEN“. Oder einfach: „HINAUF / UP“. Die poetischen Sprachbilder prangen in großen orangen, blauen und weißen Lettern von den Sichtbetonmauern und spiegeln sich im Glanz der Fußböden wieder. Die Krumbacher Malermeisterin Gabriele Raid hat die Satzfragmente Buchstabe für Buchstabe in mühevoller Handarbeit und mit höchster Präzision direkt auf das „heilige“ Gemäuer des KUB affichiert. Und es sind lauter Großbuchstaben. Aus Gründen der Lesbarkeit und der Kommunikation, so Weiner. Denn Kunst soll dabei helfen, die Welt zu verstehen.

 

Gral der Kunst

 

Der 1942 in der New Yorker South Bronx geborene Weiner ist nicht nur Pionier, sondern er zählt auch gleichzeitig zu den radikalsten Vertretern der Conceptual Art. Seine kompromisslosen Ideen über Kunst verkörpern eine Art Gral in seiner Zunft. Aus seiner Feder stammt beispielsweise das 1969 erstmals veröffentlichte „Statement of Intent“, wonach ein Kunstwerk unabhängig von seiner künstlerischen Realisierung existiert – geschrieben natürlich - so wie seine Sprachskulpturen – ebenfalls in Versalien: "1. DER KÜNSTLER KANN DAS WERK BAUEN 2. DAS WERK KANN ANGEFERTIGT WERDEN 3. DAS WERK MUSS NICHT GEBAUT WERDEN JEDE MÖGLICHKEIT IST GLEICHWERTIG UND JEDE ENTSPRICHT DER ABSICHT DES KÜNSTLERS DIE ENTSCHEIDUNG ÜBER DEN ZUSTAND LIEGT BEI DEM EMPFÄNGER IM MOMENT DER ÜBERNAHME"

Die Ausführung des sprachlich definierten Werkes ist in der Konsequenz der Weinerschen Überlegung nicht mehr notwendig. Im Vordergrund stehen das Konzept und die Idee, und nicht unbedingt das fertige Kunstwerk. Das neue Schlagwort der Zeit damals lautete „Entmaterialisierte“ Kunst. Weiner machte schließlich die Bildhaftigkeit der Sprache zum Zentrum seines Schaffens. Sprache hat für ihn dasselbe Gewicht wie ein Stein, den Bildhauer bearbeiten. Er hat denn auch nichts dagegen, wenn man seine Sprachbilder als Skulpturen bezeichnet.

Kunst sprudelt wie ein Geysir

Für das Kunsthaus Bregenz ist Lawrence Weiner gemäß Direktor Thomas D. Trummer nicht nur wegen seines künstlerischen Rangs bedeutend, sondern vor allem aufgrund seines Raumdenkens. Vorbild für die Anordnung seiner Schriftwerke in den vier Geschossen sei ein Geysir, so Weiner. Geysire seien Ventile für Überdruck. Aus kleinen Öffnungen sprudle, was unterirdisch koche. Weiner benutzt das Bild, um die Funktion der Kunst deutlich werden zu lassen. Kunst ist der spontane Ausweg aus vermeintlich ausweglosen tektonischen Krusten. Sie findet den Ausgang aus blockierten Reibeflächen. Das sei „idealistisch“, räumt er ein, aber dies sei ja eine Aufgabe der Kunst. Für Weiner stellt die Kunst den letzten Ort ohne Hierarchie und Regeln dar.

Der Titel der Ausstellung, „WHEREWITHAL / WAS ES BRAUCHT“ verweist auf das Notwendige, auf die Basis, die nötig ist, um im Leben oder sonstwo bestehen zu können. Die Dominanz und Härte der KUB'schen Betonstrukturen hebelt Weiner mit dem federleichten „Gewicht“ seiner Buchstaben aus.

 

Für KUB-Chef Trummere ist Weiner bereits zu Lebzeiten zu einer Legende der Kunstgeschichte geworden. „Wir möchten noch mehr Menschen die Möglichkeit geben, sich mit dem Werk dieses weltbekannten Künstlers auseinanderzusetzen“, begründet er die Verlängerung der Laufzeit bis einschließlich 22. Jänner. Am 3. Februar 2017 dann wird mit der Amerikanerin Rachel Rose die erste Ausstellung im neuen Jahr eröffnet.