Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Karlheinz Pichler · 31. Dez 2012 · Ausstellung

Kunst, die so nahe kommen kann, wie etwa Sex

Unter dem Titel „Mo(ve)ment“ führt das Bregenzer Magazin 4 in seiner aktuellen Ausstellung vier Positionen zusammen, deren Werk auf ganz elementaren Gesten aufsetzt. Gezeigt werden Zeichnungen von Silvia Bächli, Gips- und Tonplastiken von Heinz Breloh, Malereien von David Reed und Tanz-Videos von Anna Huber.

Der deutsche Bildhauer und ehemalige Fritz-Wotruba-Schüler Heinz Breloh (1940-2001) konstatierte einmal: „Das ist eigentlich der Wunsch, dass die Plastik einem so nahe kommen kann, wie ein Mensch, wie sagen wir mal Sex, dieses ganz Nahe. Das ist eigentlich so eine Vorstellung, dass die Plastik ein Gegenüber ist, wie es enger nicht vorstellbar ist. Die Arbeit ist dann fertig, wenn zwischen der Arbeit und mir keine Distanz mehr ist“ (Zitat aus „Skulptur als Körperspur - Heinz Breloh“, Katalog zur 2008 und 2009 realisierten Ausstellungsreihe mit Stationen in Bayreuth, Neumünster, Magdeburg, Hilden und Hasselbach). Mit diesem Zitat gibt der vor elf Jahren verstorbene Künstler programmatisch Einblick in sein Anliegen: Er und seine Kunst bedingen sich gegenseitig, bilden ein geschlossenes System. Das Werk ist eine in den Raum gestülpte Körperspur. Breloh, beeinflusst vom Wiener Aktionismus, schafft seine skulpturalen Gebilde denn auch mit reinem Körpereinsatz. Er verzichtet auf technische Hilfsmittel. Die Materialien, bevorzugterweise Gips und Ton, bearbeitet er, indem er sich mit dem Körper an das noch weiche Material presst, schmiegt, reibt. Es mit Armen und Beinen malträtiert, bearbeitet, formt. Auch Kopf und Schwanz setzt er ein, um zwischen Material und Körper eine Übereinstimmung zu schaffen. Manchmal stellen sich zu den entstehenden Gebilden figurale Assoziationen ein, doch grundsätzlich sind es formlose, gestische Gebilde, in denen sich die Körperbewegungen des Künstlers manifestieren. Von Breloh sind im Magazin 4 mehrere Skulpturen im Raum verteilt, die quasi als Archiv solcher „körperlicher Interaktionen“ zu verstehen sind.

Kunst als mediales Selbstgespräch

Auch bei Bächli, Reed und Huber tritt Kunst als absolut elementare Geste in Erscheinung. Die 1956 geborene Silvia Bächli gilt als die bedeutendste Schweizer Zeichnerin der Gegenwart. Bei ihr, deren Werk gerade erst im Frühling dieses Jahres im Kunsthaus St. Gallen im Rahmen einer Einzelschau groß präsentiert wurde, stellt die alltägliche Wahrnehmung den Ausgangspunkt für einen künstlerischen Prozess dar, in dessen Verlauf sich die Dinge zunehmend von sich selbst entfremden und autonome zeichnerische Form erlangen. Ihre Zeichnungen sind wie Lebenslinien. Bächli erkennt sich in einer Assoziationskette der dänischen Lyrikerin Inger Christensen wieder, die da schreibt: „Es währt fort. Bewegt sich. Weiter. Wird. Wird zu dem und dem und dem.“ In der Publikation Kunstforum International heißt es über sie: „Sie arbeitet mit dem naturgegebenen Ein- und Ausatmen der Linien und initiiert damit gleichzeitig so etwas wie ein ständiges mediales Selbstgespräch beim Zeichnen, das sich freilich niemals in den Vordergrund schiebt“ (Zeichnen zur Zeit: Kunstforum International, Bd. 200, 2010).

Unmittelbarkeit und Planung

Der 1946 in San Diego geborene und seit den 1970er-Jahren in New York ansässige David Reed ist bekannt für seine monumentalen Pinselstriche, die er auf monochrome Farbflächen aufträgt. Er modelliert gleichsam den Moment der künstlerischen Geste zum Bild. Reed verbindet in seiner Malerei eine gestalterische Grundlagenforschung mit einer tief greifenden Diskussion dessen, was Gemälde in Konkurrenz zu den neuen, auf digitalen Technologien aufsetzenden Bildmedien wie Fotografie, Film und Video heutzutage überhaupt noch leisten können. Vor allem in den Zeichnungen wird immer wieder augenscheinlich, wie stark sich Sensualismus und konzeptuelle Steuerung des künstlerischen Handelns bei Reed zu einem untrennbaren Paarlauf verbinden. Das Magazin 4 demonstriert sowohl anhand von Gemälden wie auch von Zeichnungen dieses Nebeneinander von Unmittelbarkeit und Planung in der künstlerischen  Entfaltung.

Kunst als elementare Geste

Als vierter Disziplin neben Zeichnung, Malerei und Skulptur bedient sich das Magazin 4 der Sparte Tanz, um Kunst als elementare Geste in Augenschein zu nehmen. Geradezu prädestiniert dazu ist das Schaffen der 1965 in Zürich geborenen, in Bern aufgewachsenen und heute überwiegend in Berlin lebenden und arbeitenden Anna Huber, Trägerin des Hans Reinhart-Ringes. Von Huber sind mehrere Video-Arbeiten subtil in die Räumlichkeiten des Magazins eingepasst, die das Schweizer Bewegungsgenie als eine Raumforscherin, die tanzend die festgefügte Architektur zum Mitschwingen bringt, ausweisen. Huber tanzt mit ihrem Körper Botschaften von sensibler Zartheit und eigenwilliger Kraft in den Raum. Hubers Forschungsobjekt ist der Körper. Im Grenzbereich zwischen Abstraktion und Emotion hat die Choreografin eine ganz persönliche Tanzsprache entwickelt.

Ausstellungsarchitektur forciert die Nähe

Der Ausstellungstitel „Mo(ve)ment“ verweist auf einen Dualismus. Auf die Bewegung und den festgehaltenen Augenblick. Auf die Hand, die den Strich aufs Papier setzt, in den feuchten Ton greift, sich als Spur im Raum oder mit dem Pinsel über die Leinwand bewegt, und den Abdruck, der davon erhalten bleibt. „Mo(ve)ment“ soll, so die Kuratoren der Ausstellung Jörg van den Berg und Wolfgang Fetz, die entscheidenden Grundlagen des Kunstmachens in den Blick nehmen und diese gleichzeitig mit ebensolchen Grundlagen des Kunstsehens verschränken. Die von Heinz Breloh angedachte totale Nähe zwischen Künstler und Kunstwerk soll sich auch auf den Betrachter übertragen. Dazu haben die Kuratoren das Magazin 4 architektonisch verbaut. Eingezogene Wände bewirken, dass die Betrachter wie durch schmale Gänge an den Kunstwerken vorbeigeschleust werden. Die Verbauung bewirkt eine gewisse Intimität des Raumes, die die kommunikativen Verbindungsstränge zwischen Betrachter und Kunstwerk zweifelsohne maßgeblich stärkt.

 

Mo(ve)ment
Silvia Bächli, Heinz Breloh, Anna Huber, David Reed
Magazin 4, Bregenz
Kuratoren: Jörg van den Berg, Wolfgang Fetz
Bis 17.2.2013
Di-So 14-18
www.bregenzerkunstverein.at