Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Karlheinz Pichler · 15. Dez 2019 · Ausstellung

Kleine Formate mit großer Wirkung – Kunst Vorarlberg rückt das Kleinformat in den Mittelpunkt

Die letzte Ausstellung des Vereins KunstVorarlberg im laufenden Jahr ist dem „Kleinen Format“ gewidmet. Mit 22 Positionen, konkret zwölf Frauen und zehn Männern, hat sich ein wesentlicher Teil der insgesamt 53 Mitglieder von KunstVorarlberg zum Mitmachen entschlossen. Technisch decken die gezeigten Exponate fast alle Disziplinen ab. Das Repertoire reicht von der Malerei über die Zeichnung und Druckgrafik bis zu Keramikobjekten, Skulpturen aus Stein und Gips sowie bis zur Fotografie und Installation.

Kleine Formate um die Weihnachtszeit herum zu präsentieren, ist sicher kein Zufall, sind sie doch in der Regel relativ günstig zu erstehen und bieten sich entsprechend auch als nichtalltägliche Weihnachtsgeschenke an. Andererseits gehe es aber vor allem auch um die Würdigung des Kleinformats, das vielfach völlig unterschätzt werde, wie die Organisatoren der Ausstellung betonen. Da aktuell überall der Hang zum Großen und Gigantischen dominiere, falle Kleinformatiges zu Unrecht häufig unter den Tisch. Dabei könne grundsätzlich alles, was im Großen vorhanden ist, bereits auch im Kleinen enthalten sein. Denn das Kleine erscheine nur immer in Relation zum Großen als klein.
Weil das Kleine unscheinbar ist, muss man zum Beispiel näher herangehen, um es genau in Augenschein zu nehmen. Oder man muss sich näher darauf einlassen, um es entsprechend würdigen zu können. Das Kleine kann zudem mit dem Intimen und Erlesenen assoziiert werden, ganz im Sine von „klein, aber fein“. Und zur Unscheinbarkeit des Kleinen gehört auch die Bescheidenheit.
Das Kleine ist darüber hinaus beweglich. Es kann leichter transportiert werden, und es findet eher Platz zum Aufhängen oder Aufstellen, als Großes. Dem Beweglichen kann man auch größere Freiheitsgrade attestieren, weil zum Beispiel die Gesetze der Statik eine geringere Rolle spielen, je kleiner ein Objekt ist. Und die Produktionskosten betragen zumeist nur ein Bruchteil derjeniger großer Exponate.
Desweiteren lässt sich ein kleines Bild mit einem Blick erfassen, ein sehr großes Bild hingegen nicht. Außer man tritt weiter weg, - dann könnten allerdings Details verloren gehen.
Wenn man etwa die zeitgenössische Malerei betrachtet, so lassen kleinere Formate grundsätzlich meist eine feinere, detailliertere Darstellung eines Motives zu. Im Gegensatz zum Großformat arbeitet der Künstler häufig facettenreicher und detailverliebter als auf großflächigem Malgrund. So werden zum Beispiel auch Lithografien oder detaillierte Zeichnungen häufig auf einem kleinen Format, meist auf Papier, umgesetzt.
In der Bildenden Kunst stellt die Arbeit am Kleinformat jedenfalls keine qualitative Einschränkung dar. Im Gegenteil. Experimente, Konzeptionen, Notationen, Skizzen, Prozesse wie etwa die Zeichnung als Alltagsgeste und Motor oder einfach die Ästhetik des kleinen Formates per se verschaffen immer wieder Zugänge, Zündungen und Schlüsselfunktionen in der künstlerischen Produktion. Diese für Kunstschaffende oft wichtigen Ergebnisse oder Zwischenergebnisse bleiben leider zu oft im Atelier archiviert, fernab der öffentlichen Wahrnehmung verborgen. Oft werden sie nur einmalig hergestellt und erhalten so eine besondere Originalität und Besonderheit.
Der Kunsthistoriker Andreas Egger hält über das Kleinformat denn auch fest: „In der Schwerelosigkeit einer unkomplizierten Realisierung bleibt der Blick auf das Kunstwollen unverstellt. Gerade auch im Hinblick auf Realisierung mit unterschiedlichsten Materialien und Techniken gibt das kleine Format verstärkt Impulse und stellt die spielerische und sinnliche Passion der Künstlerin oder des Künstlers heraus. Die künstlerische Produktion ist immer eine prozessorientierte, eine alltägliche Tätigkeit, in der scheinbare Nebenprodukte auf kleinen Formaten Essenzen an Werkinhalten und Konzepten annehmen können. Für Bildende Künstler haben diese Werke daher oft größere Bedeutung als ihnen der aktuelle Kunstmarkt – als Phänomen der Show und Massenmedien – zuschreibt.“      

Gugging-Künstler als Anwendungsbeispiel     

Ein interessantes Anwendungsbeispiel für das kleine Format sind die Art-Brut-Künstler von Gugging. Der 2006 verstorbene langjährige Leiter der Nervenheilanstalt Gugging, der Psychiater Leo Navratil, hat die besondere Kreativität vieler Patienten erkannt und diese gefördert. Einige von ihnen, wie etwa Johann Hauser, August Walla, Oswald Tschirtner oder Franz Kamlander sind heute weltberümt und ihre Werke erzielen am Kunstmarkt astronomische Preise. Seit 13 Jahren gibt es auch ein eigenes Museum für die Arbeiten dieser besonderen Künstler, nämlich das Museum Gugging. Und auf der Website dieses Museums ist der Satz zu finden: „Das kleine Format war der Beginn aller Kunst aus Gugging.“ 
Navratil, der auch das „Haus der Künstler“ 1981 unter dem Namen Zentrum für Kunst- und Psychotherapie gegründet hat, hat schon in den 1950er Jahren das Postkartenformat für seinen „Mensch- und Baum-Zeichentest“ eingeführt, „um bei der Fülle seiner Patienten über ein leichtes und schnelles diagnostisches Mittel verfügen zu können.“ Er hat also nicht aus einem ästhetischen Interesse auf postkartengroßes Papier zeichnen lassen, sondern um zu analysieren und diagnostizieren zu können. Diese Zeichnungen im Postkartenformat konnte er wie Karteikarten archivieren und wieder auffinden. Erst im Laufe der Zeit erkannte er die besondere Kreativität einzelner Insassen, und das Postkartenformat wurde eine Art Standardgröße, auf dem die Gugginger Künstler ihre Gedanken- und Ideenwelten visualisierten und mit sehr unterschiedlichen Bildsprachen darauf reagierten.
Johann Feilacher, der 1986 Leo Navratil als Künstlerischer Leiter in Gugging nachfolgte, hat unter dem Titel „small formats“ ein Buch herausgegeben, das rund 300 Werke aus über fünf Jahrzehnten im Originalformat enthält, begleitet von Texten der Gugginger Schriftsteller. Im Vorwort schreibt Feilacher: „In der Enge und im Kleinen kann man nichts verstecken.“ Das Buch belegt, wie unterschiedliche Taktiken sich die Künstler aus Gugging zurechtlegen, um mit dem von außen vorgegebenen kleinen Format umgehen zu können. Fritz Koller etwa zeichnet immer wieder Menschen, deren nach oben breiter werdende Köpfe jeweils knapp über den Augen vom oberen Bildrand abgeschnitten werden. Helmut Hladisch wiederum konzentriert das ganze Geschehen auf das Zentrum des Blattes und vermeidet mit dem Farbstift jeglichen Kontakt mit dem Blattrand. Auch das souveräne Freilassen beinahe der gesamten zur Verfügung stehenden Fläche kommt häufig vor, wenn man etwa an die minimalistischen Darstellungen des sehr bekannten Oswald Tschirtner denkt.      

Von der Druckgrafik bis zur Installation      

Was nun die Ausstellung „Kleine Formate“ in den Räumen der Villa Claudia anbelangt, so belegen die maximal 25 mal 25 Zentimeter großen Werke, dass die Arbeit am kleinen Format eigentlich keinerlei qualitativen und technischen Einschränkungen unterliegt. Von der Malerei über die Zeichnung und Druckgrafik reicht die technische Palette bis zu Keramikobjekten, Skulpturen aus Stein und Gips und bis hin zur Fotografie und Installation. Die vorgegebene Größenformatierung ist rein äußerlich, den inneren Vorstellungen und Ausdrucksformen der Kunstschaffenden sind keine Grenzen gesetzt.
Der Lustenauer Objektkünstler Markus Grabher etwa zeigt winzige Pareidolien aus Gips. Sie entstehen im Zuge seines Brotjobs „en passant“. Wirft er flüssigen Gips an die Wand, spritzt es und Tropfen fallen zu Boden. In diesen lassen sich immer wieder Gesichtchen, Porträts und Fratzen erkennen. Grabher sammelt diese kleinen „Zufälle“ und präsentiert eine Reihe davon auf einer an der Wand montierten Leiste installativ. Gehöht durch Sockel und Steher werden diese Pareidolien zu kleinen großen Kunstwerken.      
Für Alois Galehr bilden gebrauchte Kartons seit 25 Jahren den Rohstoff für Skulpturen, Installationen und Collagen. In der Serie „FarbTaschenWürfel“ (FTW) rücken die farbigen Vertiefungen der Kartons in den Vordergrund, wobei mit zunehmender Helligkeit die jeweilige Farbe auf die gegenüberliegende weiße Seite mehr oder weniger emittiert wird und so ein pastellartiger Farbton sichtbar wird. Hin und wieder verwendet er für das Deckblatt farbig bedruckte Kartons, mit eindeutig zuordenbaren Labels wie etwa Manner, Suchard oder Mozartkugeln.
Die Malerin und Illustratorin Lisa Althaus ist mit Zeichnungen vertreten, die frei und spontan entstanden sind. Im Vordergrund steht der Arbeitsprozess, auch wenn er sich manchmal zu einem konkreten Inhalt verdichtet, wie etwa der Frau, die Gipfele knetet. Bildtitel wurden nachträglich in freier Assoziation hinzugefügt.
Melanie Berlinger versucht sich immer wieder an der alten Drucktechnik der Radierung. Bevor eine Druckplatte endgültig abgedruckt wird, bzw. bevor eine Auflage entsteht, werden immer mehrere Probedrucke hergestellt. Für die Ausstellung in der Villa Claudia bearbeitete die Künstlerin Probedrucke, die sich im Laufe der Jahre angesammelt haben. Gelungene Partien der Probeabzüge wurden ausgeschnitten und mit Blattgold und Aquarellfarbe überarbeitet. Zu einer neuen Komposition zusammengesetzt ergeben die 81Ausschnitte, die sie eng auf eng an die Wand gesetzt hat, einen verlaufsartigen Überblick über ihr Schaffen in den vergangenen vier Jahren.
Die neun auf Holzkörper aufkaschierten neun Collagen von Cornelia Blum-Satler erzählen Geschichten zwischen den Stühlen und Jahren. Situationen, Momente, Ereignisse können Sichtweisen ändern und zu neuen Perspektiven und Modellen führen.
Unter dem Titel „Mindscapes#9687ff“ präsentiert Georg Vith eine Serie von Polaroid-Fotografien die die subjektiven Vorstellungs- und Ideenwelten der Betrachter ankurbeln sollen. Die in den sehr reduzierten und minimalistischen Aufnahmen dargestellten geometrischen und organischen formalen Elemente wirken vielfach vertraut und setzen entsprechende Assoziationen in Gang.
Ebenfalls mit Erinnerungsräumen, aber anhand von Malerei und damit ausgelöst von Farben, setzt sich Roswitha Buhmann in ihren aktuellen Arbeiten auseinander. „Hauch.zart“ sind ihre in Rosa-Farbtönen gehalten Acrylgemälde und sollen Erlebtes verstärken.
Neben Sandbildern, die zu Vierergruppen angeordnet sind, ist die Feldkircher Künstlerin Ursula Doriga mit Tierdarstellungen mit dabei, zu denen sie sich durch steinzeitliche Felsritzzeichnungen im portugiesischen Dourotal anregen ließ. 
Von Harald Gmeiner wiederum sind sechs Zeichnungen zu sehen, alle ohne Titel, die von sechs Paradoxien handeln respektive der Suche nach dem Unerwarteten und was der erwarteten Erscheinung und Meinung zuwiderläuft.
Und der 1973 im niederländischen Groningen geborene und heute in Dornbirn lebende und arbeitenden Künstler Egmont Hartwig präsent kleinformatige Gemälde auf Holz, in denen sich abstrakte Elemente zu räumlichen Konstellationen verbinden. „Jeder Pinselstrich schafft eine neue Realität“, konstatiert der Künstler.
Nicht minder interessant sind die zahlreichen anderen Positionen, die in lockeren Anordnungen vor Augen geführt werden. Offenbar stoßen die „Kleinen Formate“ auch auf ein großes Besucherecho, denn Kunst Vorarlberg hat die Ausstellung bis 12. Jänner verlängert.

Kleine Formate
von Lisa Althaus, Melanie Berlinger, Cornelia Blum-Satler, Bettina Bohne, Roswitha Buhmann, Ursula Dorigo, Cäcilie Falk, Alois Galehr,
Harald Gmeiner, Markus Grabher, Egmont Hartwig, Ewald Hotz,
Hilda Keemink, Guntram König, Edgar Leissing, Renate Ludescher-Krapez, Hanno Metzler, May-Britt Nyberg Chromy, Dorothea Rosenstock, Wolfgang Schwarzmann, Franziska Stiegholzer, Georg Vith

KunstVorarlberg, Villa Claudia, Feldkirch
bis 12.1.2020
Fr 16-18, Sa 15-18, So 10-12 u. 15-18
www.kunstvorarlberg.at