Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Karlheinz Pichler · 12. Dez 2019 · Ausstellung

Existentielle Rätsel in Aluminium gegossen - Skulpturen von Bruno Gironcoli im Kunstraum Dornbirn

Die bühnenhaft installierten, metallen schimmernden Großskulpturen des 2010 verstorbenen österreichischen Bildhauers Bruno Gironcoli bestechen durch eine ungewöhnlich starke, gleichwohl materielle wie inhaltliche Präsenz. Knapp ein Vierteljahrhundert nach der großen Sommerausstellung im Bregenzer Künstlerhaus ist im Kunstraum Dornbirn als weiterer öffentlichen Einrichtung im Land endlich wieder ein Querschnitt zum eigenwilligen Schaffen des Großmeisters der Plastik zu sehen. Gezeigt werden sechs markante skulpturale Settings aus gegossenem Aluminium.

Zentrales Werk der Dornbirner Ausstellung ist der monumentale Aluminiumguss „Die Ungeborenen“ (1996 bis 2004), der in der Mitte der Halle platziert wurde und um den herum fünf weitere plastischen Arbeiten in teils ebenfalls großem Format in der ehemaligen Montagehalle Stellung beziehen. Markantes Element von „Die Ungeborenen“ sind vier embryoartige Figuren, die, angedockt an ein futuristisches Gebilde mit hornartigen Seitenausläufern, im Raum schweben. In ihrer ausgelieferten Schutzlosigkeit verströmen diese „Ungeborenen“ Beklemmung und Unbehagen.

Aus einer unverwechselbar „veristischen“ Grundhaltung heraus kombiniert Gironcoli in all den gezeigten „fröstelnden“ Ensembles alte und neue Formen modulartig. Immer wiederkehrende Elemente, die teils auf den Alltag verweisen, werden zu rätselhaften Welten verdichtet und zu Apparaturen verschmolzen, die an cyberartige Wesen und Konstellationen erinnern, die in einer fernen Zukunft zu liegen scheinen. Die hybride Mischung aus formal Vegetabilem und streng Geometrischem, aus Anthropomorphem neben Apparativem verleiht den mächtigen Gebilden ihr technoid-biomorphes Aussehen. In der Gegenüberstellung von Zeichen des Lebens und der Fruchtbarkeit mit maschinenartigen, technoiden Strukturen verweisen diese Plastiken auf die starre Unerbittlichkeit sozialer und ökonomischer wie auch naturgegebener Prozesse.

Zum formalen Inventar von Gironcolis skulpturalen Anordnunen zählen florale Bausteine wie Ähren, Trauben, Trompetenblumen oder Enzian und Edelweiss, aber auch Wannen, Teller, Scheiben, engerlings- und hornartige Objekte und vieles mehr. Teils handelt es sich um das Formenrepertoire einer kleinbürgerlichen Lebenswelt. Die Verkoppelung von Mensch und dem Anderen, dem Anorganischen erhält dabei eine unverrückbare Evidenz.

Gironcoli bevölkert seine Objektwelten mit Embryonen, rumpfförmigen, oft verformten gesichtslosen Gestalten, die sich zu futuristisch anmutenden Ambienten ausweiten. Sie suggerieren Isolation und Verstörtheit, verweisen auf die Zwanghaftigkeit mechanischer Abläufe. Der Bildhauer in einer persönlichen Erläuterung zu seinem Schaffen: „Die Skulptur ist Fluchtraum, Tagtraum. Die Arbeitsmethode ist selbst Form, Materialgerechtigkeit zu erfinden, aufgehalten in der Person … die Bildhauerei ist eine Konzentration, in die eingegraben sind: vergangene Formideen und Wunschformen, Tag- und Nachtträume, und sie ist spurenhaftes Zeugnis von Verletzungen durch die zur Erstellung notwendige Veräußerlichung der Person.      

Glücken und Scheitern     

Immer wiederkehrende existentielle Themen in Gironcolis Kunstkosmos sind das Weibliche und Männliche, die Mutter, Zeugung, Geburt und Tod, Werden und Vergehen, das Dem-Triebhaften-Ausgeliefert-Sein, Religion und die Suche nach Glück genauso wie das Scheitern. Die Bildsprache Gironcolis orientiert sich unmittelbar an der Lebenswelt des Betrachters, und er integriert auf überbordende Weise Gebrauchsgegenstände mit kulturellen Symbolen. „Nicht zuletzt sind diese Werke Ausdruck eines kulturellen Allgemeinzustandes, der sich für den Künstler in unterdrückten Leidenschaften, wachsender Entmündigung und Lebensangst manifestiert“, schreibt Peter Peer vom Joanneum Graz über Gironcoli.     

Stationen eines Künstlers, für den der Begriff „Kompromiss“ ein Fremdwort war

Bruno Gironcoli kam 1936 in Villach zur Welt. Von 1951-1956 absolvierte er die Goldschmiedelehre in Innsbruck. Von 1957-1959 und von 1961-1962 studierte er an der Akademie für angewandte Kunst in Wien bei Eduard Bäumer. Dazwischen, von 1960 bis 1961 hielt er sich in Paris auf. Dort kam er mit dem Werk Alberto Giacomettis und der surrealistischen Plastik in Berührung. Er begann sich mit den Schattenseiten der menschlichen Existenz, Gewalt, Unterdrückung bis hin zu den Tabuzonen abgründiger Sexualität zu beschäftigen. Ein Themenkomplex, der auch seinen späten Großplastiken zugrunde liegt. Ab 1961 entwickelte Gironcoli die ersten Objekte aus Holz, Nylon, Aluminium und Draht. Ab 1964 folgen Polyesterarbeiten. 1977 erhielt er eine Professur an der Akademie der bildenden Künste in Wien und wurde damit Nachfolger von Fritz Wotruba als Leiter der Meisterschule für Bildhauerei. 2003 vertrat Gironcoli Österreich bei der Biennale/Venedig. 2004 wurde ein Gironcoli-Museum auf Schloss Herberstein in der Steiermark eröffnet. Gironcoli ist heute in zahlreichen internationalen Sammlungen vertreten. Er lebte und arbeitete bis zu seinem Tod 2010 in Wien.

Gironcolis bildhauerische Praxis war auch von einer kontinuierlichen zeichnerischen und grafischen Produktion begleitet. Diese Arbeiten auf Papier sind weit mehr als Entwürfe für die Bildhauerei. Der Künstler konnte hier seine Ideen in Dimensionen treiben, die über die Arbeit am konkreten Material weit hinausreichen. In Zeichnung und Gouache gehen schablonenhafte Figuren, Tiere, Symbole und Apparaturen hypothetische Verbindungen ein und fügen sich abseits aller physikalischen Begrenzungen zu fantastisch-surrealen Szenen. Die Papierarbeiten sind ganze Welten von Überlegungen, in denen sich Archetypisches und Triviales, Existentielles und scheinbar Banales Stelldicheins geben, die den Betrachter in dessen innerstem Inneren treffen. Erst kürzlich hat die Galerie 60 in Feldkirch eine Auswahl solcher Zeichnungen präsentiert – bereits zum dritten Male übrigens.

Die Gironcoli-Schau im Kunstraum Dornbirn, dessen Montagehalle zur Präsentation der maschinenhaften Skulpturen geradezu prädestiniert scheint, kam in Zusammenarbeit mit der Bruno Gironcoli Werk Verwaltung und der Galerie Elisabeth & Klaus Thoman zustande und wird von Kunstraum Leiter Thomas Häusle und Herta Pümpel kuratiert. Beim Titel der Ausstellung „Casted Enigma“, übersetzt „Gegossene Rätsel“, kommt einem zwangsläufig der Spruch „Nomen est omen“ in den Sinn. Im Rahmen der Ausstellung wird auch ein eindringlicher Dokumentationsfilm von Otto Brusatti gezeigt, der intime Einblicke in das Leben des Bildhauers gewährt, als er bereits von seiner Krankheit gezeichnet war, die letztlich eine Folge seines permanenten Umganges mit giftigen Dämpfen im Zuge seiner Arbeit war.

Bruno Gironcoli: Casted Enigma
bis 2.2.2020
Tägl. 10-18
Kunstraum Dornbirn
www.kunstraumdornbirn.at