Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Jonas Berkmann · 29. Jän 2017 · Ausstellung

Jeder Augenblick ist Geschichte und Aufbruch in einem“
 - May-Britt Nyberg Chromy im Kunstraum Pettneu

Der Kunstraum Pettneu gibt derzeit einen aktuellen Einblick in das Schaffen der 1965 in Herning in Dänemark geborenen Künstlerin May-Britt Nyberg Chromy, die seit über 20 Jahren im vorarlbergischen Feldkirch lebt. Gezeigt werden Collagen auf Papier, auf Leinwand sowie auf Textil. Weiters farbige und schwarzweiße Linoldrucke sowie drei Objekte.

Der Titel der Ausstellung, „Jeder Augenblick ist Geschichte und Aufbruch in einem“, bezieht sich eigentlich darauf, dass alles dem Strom der Zeit unterliegt. Jedes Wort, das man ausspricht, wird umgehend zur Vergangenheit. Alles verändert sich permanent. Die Jahreszeiten kommen und gehen. Heute verliert man einen Freund, morgen eine Freundin. Beziehungen gehen in Brüche, neue erstehen. Das ganze Leben ist eine Anhäufung von Prozessen. Sind die einen beendet, beginnen neue. Täglich, stündlich, jede Sekunde beginnt etwas von Neuem. 


Linoldrucke

Die neuen schwarzweißen Linoldrucke Nyberg Chromys sind szenisch angelegt. Man sieht zum Beispiel ein Paar, das eine Vernissage besucht, oder einen Mann, der in einer Berliner Dönerbude in den soeben gekauften Döner beisst, oder ein Mädchen, das liegend ein Selfie von sich und ihrem Hund macht. Es sind alltägliche Szenen, die sich hier und dort und überall abspielen können. 

Ein spezieller Aspekt dieser situativen Motive ist die Dialektik des Augenblicks. Situationen, die nur wenige Momente dauern, werden gleichsam mit einer langsamen Technik, dem Linolschnitt, sozusagen festgefroren und langzeitarchiviert.

Klar ist der Linolschnitt im Vergleich zum Holzschnitt oder der Radierung eine relativ neue Drucktechnik. Das hängt mit dem Material zusammen. Linoleum wurde 1860 vom englischen Chemiker Frederick Walton entwickelt. Der Name setzt sich zusammen aus den lateinischen Begriffen linum ‚Lein‘ und oleum ‚Öl‘ und verweist auf das Leinöl, das neben Korkmehl und Jutegewebe der wichtigste Grundstoff für das Linoleum ist. Linol hat gegenüber Holz den Vorteil, dass es absolut glatt ist, sich leicht bearbeiten läßt, sich nicht verzieht und dass man unendlich viele Abdrücke herstellen kann. Der Linolschnittt wurde übrigens unter anderem von den Expressionisten sehr geschätzt. Künstler wie Maurice de Vlaminck, Christian Rohlfs, Henri Matisse oder auch ein Pablo Picasso haben immer wieder in dieser Technik gearbeitet.

May-Britt Nyberg Chromy selber schätzt am Linoschnitt vor allem das prozessuale Schaffen. Man fertigt einen Entwurf an, überträgt und schneidet ihn in Linol und bringt ihn dann in Form eines Ein- oder Mehrfarbendrucks aufs Papier. Das besondere daran sei, dass man zwar die Vorgänge bis zu einem gewissen Grad genau kalkulieren und steuern könne, dass aber sowohl beim Schneiden als auch beim Drucken immer wieder Unvorhergesehenes und Überraschendes passieren könne, so die Künstlerin. Zudem stellt diese Technik, wenn man an den Entwurf, Schnitt und Druck denkt, auch eine gewisse Referenz an ihren ursprünglich erlernten Beruf einer Textildesignerin dar.

Ist die Technik in Bezug zum Holzschnitt also relativ jung, erscheint sie in der Gegenüberstellung etwa zu den heutigen digitalen Medien uralt. Und es ist typisch für das Vorgehen Nyberg Chromys, dass sie szenische Abläufe, alltägliche Situationen aus dem Hier und Jetzt, mit so einer alten, langsamen Technik umsetzt und damit ganz spezielle Spannungsverhältnisse evoziert.

Collagen 



Der Linolschnitt kommt auch bei den Collagen Nyberg Chromys immer wieder zur Anwendung. So kollagiert sie etwa Prints von eigenen Fotografien auf verschiedene Bildträger und überdruckt sie per Linol mit formalen Elementen, die an Vasen, Teller oder sonstiges erinnern.
Ganz neu sind die Textilcollagen. Hier sind es Fragmente unterschiedlichster Kleidungstücke, in deren Taschen sie Dinge eincollagiert, die eigentlich gar nicht dorthin gehören. Oder was hat denn ein Fisch in einem Hosensack verloren, oder eine Pistole in einer Schürze, die von einer Oma getragen werden könnte.
Diese Textilcollagen sind in gewissem Sinne auch als eine Art Hommage an Rosemarie Trockel zu sehen, die den Einsatz dieses Materials, des Textils, in der Kunst erst so richtig populär gemacht hat. Mit solchen Arbeiten verweist  Nyberg Chromy logischerweise ebenfalls auf ihren einstigen Status als Textildesignerin.

Objekte / Assemblagen


Die auf den Drucken dargestellten Personen, Dinge und Umfelder sind übrigens zumeist eng mit der eigenen Geschichte der Künstlerin verwoben. Freunde, Bekannte, Verwandte und ihre Lebensbedingungen, Erinnerungen an Reisen und Tätigkeiten, Phantasie- und Sehnsuchtsvorstellungen sind es häufig, die ihr den inhaltlichen Stoff zu ihren Arbeiten liefern.

Das gilt auch für die Materialien, aus denen die drei Skulpturen respektive Assemblagen zusammengesetzt sind, die wir hier sehen. Es sind Dinge des Alltäglichen, die sich hier zu skulpturalen Objekten formieren. So wird beispielsweise eine Schublade, die schon zwei Generationen von Nyberg-Chromy-Frauen unzählige Male aufgezogen haben, mit einem alten Wasserhahn und mit Kochlöffeln versehen und solcherart zum „Kochlöffelfüssler“ umfunktioniert. 
Eine andere Schublade findet zusammen mit einer Gugelhupfform, einer Mohnmühle, einer Gitarre und einem Besen im Wandobjekt „Haushaltsblues“ Verwendung. Und ein alter Stuhl, auf dem schon die Großmutter Jahrzehnte lang gesessen ist, wird in ein Anlehnobjekt verwandelt.
Den reichen Materialfundus liefern Heim, Haus und Küche. Ihre Auseinandersetzung mit den Dingen ist eine Auseinandersetzung mit dem Vorhandenen, dem Gebrauchten, das seine über Jahre erworbene Geschichte und Patina einbringt, aber auch mit dem achtlos Weggeworfenen.


May-Britt Nyberg Chromy: Neue Arbeiten
Kunstraum Pettneu
bis 13.2.2017
Do, Sa 17-20, So 15-17, u.n.tel. Vereinbarung
http://www.kunstraum-pettneu.at