Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Karlheinz Pichler · 10. Mai 2022 · Ausstellung

In die Zukunft schauen, um die Gegenwart zu verstehen – Nachlese zum Symposium „Zukunft. Welche Zukunft?“ des Forums Kunst Achse

Welche Arten von Zukunft für die Kunst, die Kunstschaffenden, die Institutionen, die Vermittlung und den Kunstmarkt wünschenswert wären und welche Rolle der Kunst in der Gesellschaft künftig zukommen soll, waren Themen, die im Rahmen des Symposiums „Zukunft. Welche Zukunft?“ vergangenen Samstag in der Lokremise St. Gallen diskutiert wurden. Organisiert wurde die Veranstaltung vom Forum Kunst Achse, hinter dem wiederum die Kunstachse bestehend aus den vier Institutionen Bündner Kunstmuseum Chur, Kunsthaus Bregenz, Kunstmuseum Liechtenstein und Kunstmuseum St. Gallen steckt. Und um es vorwegzunehmen: Konkrete Lösungsrezepte für die Zukunft der Kunst und den Kunstbetrieb konnten keine gefunden werden, aber dem recht zahlreich erschienenen Publikum ergaben sich interessante Einblicke in die Arbeit von Museumsleitern und Kuratoren und die Anforderungen an Kunstinstitutionen hinsichtlich Vermittlung, Themenschwerpunkten und Aufgabenwandel.

In einer ersten Gesprächsrunde saßen Martina Morger, Annette Schönholzer und Felix Lehner am Podium und stellten sich den Fragen des Moderators Roman Griesfelder, dem Direktor Betrieb und Finanzen des Kunstmuseums St.Gallen. Die Künstlerin Martina Morger ist Trägerin des Manor Kunstpreises St.Gallen 2021. Als Performance- und Multimediakünstlerin hinterfragt sie ziemlich kompromisslos gesellschaftliche wie ökonomische Arbeits- und Lebensbedingungen. Schönholzer ist seit 2014 als Beraterin mit Schwerpunkt Kulturinstitutionen tätig. Davor war sie unter anderem Co-Direktorin und Director of New Initiatives Art Basel sowie Managing Director des Kunstmuseums Basel. Und Felix Lehner ist Gründer der Kunstgießerei St.Gallen und Mitgründer der Stiftung Sitterwerk. Die Kunstgießerei bietet zusammen mit der Stiftung Sitterwerk und dem Kesselhaus Josephsohn einen Forschungsort für alle, die sich konzentriert dem Entstehungsprozess von Kunstwerken widmen wollen.
Schönholzer machte gleich zu Beginn der Diskussion darauf aufmerksam, dass die Gegenwart so komplex sei, dass es notwendig wäre, in die Zukunft zu schauen, um die Gegenwart überhaupt bewältigen zu können. Sie erinnerte auch daran, dass das Icom (International Council of Museums) an einer neuen Museumsdefinition arbeite. Sie findet es dabei bedenklich, dass bei Umfragen über die Kernelemente und Aufgaben eines Museums von den Fachleuten noch immer das Sammeln und Bewahren zuoberst gereiht wird, während Aspekte, inwiefern etwa Museen Orte der Verhandlung von politischen Fragen, Gender-Problematiken etc. sein sollen, hartnäckig ganz zuunterst gelistet werden. Es sei aber entscheidend, darüber nachzudenken, wie sich Museen in Richtung solcher Themen ändern könnten.
Das Thema Nachhaltigkeit brachte Felix Lehner ins Spiel. Für die Kunstgießerei und die Stiftung Sitterwerk gibt er vor, innerhalb der nächsten acht Jahre den Energieverbrauch zu halbieren. Die von ihm geleiteten Einrichtungen seien seit drei Jahren auf dem Weg zur Klimaneutralität. Man kenne die Problematik des Klimawandels bereits seit den 1970er Jahren, und er erinnerte an den autofreien Tag und die Gründung des Club of Rome 1972/73. Jetzt dränge es. Lehner: „Wir haben ein echtes Problem. Wir wissen, was wir tun müssen. Wir haben schon viele Konzepte entwickelt, aber es ist immer schlechter geworden. Nun haben wir Dringlichkeit. Wir sind gefordert. Es ist eine spannende Zeit.“ Und jeder müsse seine Energie mit voller Kraft dort einsetzen, wo er am meisten Einfluss habe.
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass das 17. Internationale Bodensee-Symposium, das vom 12. bis 14. Mai im vorarlberg museum in Bregenz stattfindet, genau diesem Thema gewidmet ist und den Titel trägt: „Inspiration Museum: Strategien für eine nachhaltige Zukunft“. In der Programmschrift dazu heißt es etwa: „In der Klimakrise wird zu Recht auch auf die große gesellschaftspolitische Verantwortung der Museen hingewiesen. Museen sind aufgrund der ihnen zugeschriebenen Glaubwürdigkeit besonders starke Werteproduzenten, die wesentlich zur Orientierung an Demokratie, Menschenrechten, sozialer Gerechtigkeit und ökologischem Bewusstsein beitragen. So müssen wir, um Veränderung zu erreichen, auch nachhaltige Perspektiven der Ausstellungs- und Vermittlungsarbeit in unseren Museen fördern. Partizipation, Mehrperspektivität und Inklusion sind gesellschaftliche Ziele, zu deren Erreichung die 17 SDGs (Sustainable Development Goals) der UN auf ökonomischer, sozialer und ökologischer Ebene beitragen sollen.“
Felix Lehner hebt des Weiteren hervor, dass die Entscheidung, Künstlerin oder Künstler zu werden, eine sehr politische Entscheidung sei. Ihm zufolge ist der Kunstbereich ein Raum, der gesellschaftlich von größter Relevanz ist, er sei aber auch „wild, unplanbar und schrecklich“.
Dieser Aspekt wird von Martina Morger bestätigt. Sie habe an sich selbst feststellen können, dass Künstlerin zu werden ein durch und durch politischer Akt sei. Und es sei auch in jeder Hinsicht ein großes Risiko, ein ganzes Leben lang Künstlerin zu sein. Sie stimmt auch einer Stimme aus dem Publikum zu, die hervorhebt, dass Kunst nicht „elitär“, sondern „exklusiv“ sei.
Allgemein herrscht die Auffassung, dass Wandel nicht organisierbar sei. Aber die Museen müssten Muster durchbrechen und künftig auch neue Felder zulassen. Sie müssten gleichsam in einen „Modus des Verändernwollens“ schalten, um für die Zukunft gerüstet zu sein.

The Incoming Director

Nach dieser ersten Podiumsdiskussion hatte Gianni Jetzer, der designierte neue Direktor des Kunstmuseums St.Gallen, seinen Auftritt. Jetzer leitete in den 1990er Jahren die Kunsthalle St.Gallen, danach das Swiss Institut in New York. Im Anschluss danach war er für das Hirshhorn Museum in Washington und für die Art Basel Unlimited tätig. Ganz nach US-Manier stellte er sich als „The Incoming Director“ vor und setzte auch gleich das Statement, dass wir momentan „mehr no future als future“ hätten. Er plädierte dafür, dass die Institution Museum breiter abgestützt wird und dass mit den Museen Identitäten geschaffen werden. „Menschen kommen ins Museum, wenn sie sich mit ihm identifizieren können“, so Jetzer. Ein zentraler Punkt sei es, offen zu sein. Anstatt eine ausschweifenden Rede zu schwingen, brachte er eine Literaturliste mit. Darauf Bücher wie etwa „The Future of the Museum“ von András Szántó, das 28 Dialoge mit Museumsleuten und Kurator:innen über die Zukunft der Museen enthält, oder „Diversity, Equity, Accessibility, and Inclusion in Museums“ von Johnnetta Besch Cole und Laura L. Lott.       

Die Kunstachsen-Vertreter im Austausch       

In der abschließenden Diskussion tauschten sich, wiederum unter der Moderation von Roman Griesfelder, die Kunstachse-Vertreter Stephan Kunz (künstlerischer Direktor Bündner Kunstmuseum Chur), Letizia Ragaglia (Direktorin Kunstmuseum Liechtenstein), Thomas D. Trummer (Direktor Kunsthaus Bregenz) und Roland Wäspe (der im Herbst in den Ruhestand tretende Direktor des Kunstmuseums St.Gallen) auf dem Podium aus.
Roland Wäspe wies dabei gleich zu Beginn darauf hin, dass die hyperregionale Zusammenarbeit der vier Institutionen ein sehr wichtiges Forum sei, um Zukunftsfragen zu bearbeiten. Stephan Kunz machte im Hinblick auf Gianni Jetzer die Anmerkung, dass man gerade dann ein Museum neu denken könne, wenn man neu in eine Museumsverantwortung komme. Er sieht das Museum als Ort, wo viele zusammenkommen, ein Ort, wo Diversifikation und Demokratisierung stattfinde.
Thomas D. Trummer konstatierte zunächst ironisch, dass Kunsthausleiter zu sein ein toller Job sei, da es immer irgend jemanden gebe, der einem sagt, wo es hingeht. Das vorgegebene Thema „Zukunft. Welche Zukunft?“ impliziere eigentliche zwei „Zukünfte“. Die zweite Zukunft oder auch Vorzukunft sei die Überlegung, ob er die richtigen Positionen ausgestellt haben werde, oder ob er die richtige Kunst angekauft haben werde. Das sei dann im Grunde genommen dann aber reines Aktionärsdenken.
Auf die Frage von Moderator Griesfelder, welche Themen denn in den nächsten Jahren im Vordergrund stehen würden, meinte Kunz, dass die gesellschaftlichen Funktionen der Museen eine immer stärkere Bedeutung erhalten würden. Wäspe wiederum betonte das Übergreifende. So hätte das Kunstmuseum St.Gallen etwa mit der Lokremise eine ideale Außenstelle, um riskante Sachen zu zeigen und auszutesten. Für Letizia Ragaglia wird die Arbeit mit der Sammlung immer wichtiger. In die Zukunft zu schauen beginne damit, in die Vergangenheit zu blicken. Es gehe darum, Geschichten zu bewahren und immer wieder neu zu erzählen.
Für Trummer hat das Foyer des Kunsthauses Bregenz eine zentrale Funktion. Die Zumthor-Architektur habe eine enorme Wirkung auf die Besucherschaft. Beim Betreten des Foyers würden die Besucher:innen verstummen. Termine, Kalender etc. hätten plötzlich keine Bedeutung mehr, blieben außen vor.    
Die Frage der Vermittlung und wie man diese umsetzt, um das Publikum zu erreichen, steht bei allen ganz oben.
In der Frage, wie man Künstler:innen für Ausstellungen auswählt, sind sich alle einig. Wesentliches Kriterium sei die Qualität. Nur wer und wie man darüber entscheidet, was gute Qualität ist und was nicht, das blieb letztlich offen.      

Roadmovie: Von Museum zu Museum       

Das Symposium dauerte exakt drei Stunden. Genauso lange dauert auch eine Autofahrt von Museum zu Museum über die Dörfer. Roman Griesfelder ist die Strecke abgefahren und hat sie per Video im Bild festgehalten. Die auf Großbildschirm übertragene Fahrt vom Kunstmuseum Chur zum Kunstmuseum Liechtenstein, von dort nach Bregenz zum Zumthorbau, und dann als letzte Etappe von Bregenz nach St.Gallen zur Lokremise zog immer wieder die Blicke des Publikums auf sich. Es war vielleicht der interessanteste Beitrag des Symposiums.

www.kunsthaus-bregenz.at
www.lokremise.ch
www.kunstmuseum.li
www.kunstmuseum.gr.ch
www.kunstmuseumsg.ch