Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Karlheinz Pichler · 28. Feb 2018 · Ausstellung

Die Kopie von der Kopie einer Kopie – Simon Fujiwaras Nachbau des Anne Frank Hauses im Kunsthaus Bregenz

Die Kommerzialisierung schreckt heute vor nichts mehr zurück. Echtes, Authentisches ist kaum noch zu haben. Selbst in die Tabus der Geschichte sowie in unsere ureigensten Erinnerungen und Erinnerungsräume schleichen sich fremde Interessen ein und versuchen, daraus Kapital zu schlagen. Der englische Künstler Simon Fujiwara führt dies am Beispiel des Amsterdamer Anne-Frank-Hauses vor. Mit der aufwendigen, scheibchenweisen Rekonstruktion dieses heute als Museum in der Prinsengracht betriebenen Gebäudes über drei Stockwerke im Kunsthaus Bregenz (KUB) hinweg zieht der Künstler auch die Leute in Massen an. Nach einem Monat haben bereits über 6.000 Besucher die Ausstellung gesehen. Das „Hope House“ rege zu Diskussionen und zum Nachdenken an und lasse eigentlich niemand kalt, heißt es seitens der KUB-Verantwortlichen.

Der 1982 im Londoner Stadtteil Harrow als Sohn einer britischen Mutter und eines japanischen Vaters geborene Künstler besuchte im vergangen Jahr das Haus in Amsterdam, in dem Anne Frank und ihre Familie während der Nazi-Herrschaft mehr als zwei Jahre lang versteckt lebten, zum ersten Mal. Fujiwara kaufte vor Ort praktisch den gesamten Souvenirladen leer. Darunter war auch ein kleinformatiger Bastelsatz des Hauses, mit dem jeder, der will, das Gebäude modellhaft nachbauen kann. Bei diesem Modell handelt es sich um einen Entwurf des niederländischen Designers Wouter Biegelaar. Das Interessante an der Sache aber ist, dass im Grunde genommen auch das echte Anne-Frank-Haus in der Prinsengracht eine Rekonstruktion ist. Es wurde für den Museumsbetrieb vielfach umgebaut und saniert, und nur wenige Ausstellungsstücke sind wirklich original.

Das historische Anne-Frank-Haus nun in Originalgröße in das kühle, minimalistische Bregenzer Kunsthaus hineinbauen zu lassen ist ein mutiges Unterfangen. Im Grunde ist es eine Kopie von der Kopie der Kopie. Und trotzdem symbolisiert der Nachbau etwas ganz Spezielles, wie Fujiwara nahebringen will: „Das Anne-Frank-Haus – es verkörpert die Idee der Hoffnung, der Jugend, Unschuld, Genialität – manche denken das über Anne Frank, Empathie, - aber auch Terror und Furcht.“

Während seines Rundgangs in Amsterdam habe er mitbekommen, dass nur sehr wenige persönliche Spuren der Familie Frank verblieben sind und ein Großteil des heutigen Hauses auf einer Nachbildung beruht, die einen möglichst echten historischen Eindruck erzeugen soll. So hatten zum Beispiel die Architekten Tapeten aus einem alten unverkäuflichen Lagerbestand der ehemaligen DDR erworben, da diese den gelben Originaltapeten am nächsten kamen. Absurderweise wurden für die Rekonstruktion des Hauses also Materialien genau in jenem Land gekauft, das für den Untergang Anne Franks verantwortlich zeichnete. Millionen von Menschen besuchen also das Anne Frank Haus in Amsterdam und besichtigen dort eine gelbe deutsche Tapete. Millionen Menschen werden durch ein Haus geschleust, das dereinst für eine Familie als einfaches Versteck diente.

Fujiwara untersucht in seinem Schaffen immer wieder Fragen nach der Konstruktion und Repräsentation von Identität und Geschichte(n).

Nur wenige originale Dinge

In dem realen, von Touristen überfluteten Museum in Amsterdam gibt es also nur wenige persönliche und originale Dinge der Franks zu sehen. Zu erwähnen ist vielleicht Anne Franks Sammlung von Fotos berühmter Filmstars wie Greta Garbo oder Ginger Rogers. Im Großen und Ganzen steht es jedoch leer. Im Gegensatz dazu ist das
„Hope House“ im KUB mit Kunstwerken, Objekten, Möbelstücken und vom Künstler gefertigten oder gefundenen Artefakten angefüllt. Etwa Bilder von Filmstars von heute, die auch die Gedenkstätte in Amsterdam persönlich besucht haben.

Fujiwara bedient sich auch eines gewissen Eigennutzes, wenn er das „Hope House“ etwa auch als Repräsentationsraum für eigene Werke verwendet. Mit diesen sollen offenbar heutige Erfahrungen von Unterdrückung und Entfremdung mit der Zeit der Anne Frank in Verbindung gebracht werden, was allerdings kaum gelingt. Einige Projekte stechen aus dem Parcour von Fujiwara-Werken heraus. Etwa der Videofilm über die englische Lehrerin Joan Sally, die nach Veröffentlichung kompromittierender Fotos öffentlich gemobbt und aus dem Schuldienst entlassen wurde. Oder der kunstvoll arrangierte Haufen eines High-Definition-Make-ups, das von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel verwendet wird. Merkel legt mit dieser Schminke sozusagen eine Schicht zwischen sich und die Außenwelt. Fujiwara malt mit diesem Material auch Merkels Gesicht ins Tausendfache vergrößert, sodass von ihr als Person nur noch ein abstraktes Bild übrig bleibt. Oder eine Leinwand, auf die der Künstler einen Pelzmantel aufgezogen hat, dem er, mit Verweis auf den Tierschutz, die Haare entfernt hat.

Darüber hinaus ließ Fujiwara auch viele Möbel, Bilder, Lampen und sonstige Einrichtungsgegenstände aus den 1940er-Jahren aus dem Dornbirner Brockenhaus „Ventilator“ anschleppen. All diese Dinge sollen uns in der Intention Fujiwaras einen Spiegel unserer Lebensweise vorhalten. Das Leben unter dem Regime einer neuen Weltordnung, dem beschleunigten Kapitalismus, das ohne Rücksicht auf Verluste die Weltressourcen verbraucht. Mit Anne Frank hat dies wiederum nur indirekt zu tun. Auch sie ist heute eine vielfach gebrochene Medienfigur. Die Rekonstruktion des Anne-Frank-Hauses im Bregenzer Kunsthaus ist ein monströses Abenteuer, das auch die Widersprüche des Kunstbetriebs sarkastisch auf die Spitze treibt.

Nicht zum erstem Mal

Simon Fujiwara zeigt dieses „Hope House“ allerdings nicht zum ersten Mal. Bereits im vergangenen Herbst sorgte er für großes mediales Aufsehen, als er den Nachbau des Anne Frank Hauses in der Galerie Dvir in Tel Aviv präsentierte. Von KULTUR auf den Sinn dieser Wiederholung befragt, entgegnete er, dass er in Tel Aviv auf drei Stockwerke verteilt nur gerade 30 Prozent des Gebäudes zeigen konnte, während es sich im KUB um eine Rekonstruktion des kompletten Gebäudes handle, die sich über alle Geschosse hinziehe. Zudem wolle er, dass dieses Haus herumreise und zu den Leuten komme, die nicht die Möglichkeiten hätten, nach Amsterdam zu fahren, um das „Original“ zu besichtigen. Als „Ready Made“ könne dieses „Hope House“, ganz dem Gedanken der heute überall gehuldigten Mobilität und Globalisierung entsprechend, praktisch überall verfügbar sein. Er will denn auch, dass das Haus von Bregenz aus weiter zieht. Wohin ist allerdings noch offen, denn die Räumlichkeiten für solche Großprojekte sind dünn gesät.

Auf die Frage, wie denn die Leute in Tel Aviv darauf reagiert hätten, dass er zur Offenlegung von Vermarktungsstrategien ausgerechnet ein so sensibles Holocaust-Projekt herangezogen habe, verweist Fujiwara darauf, dass er zwar im Vorfeld bei Künstlerkollegen und Freunden auf große Skepsis gestoßen sei, sich die Israelis ihm und ihrer Geschichte gegenüber jedoch als sehr offen erwiesen hätten. Bei der Ausstellungseröffnung in Tel Aviv hätten etliche gemeint, das sei aber ein „Funny House“ und aus Unkenntnis heraus gefragt, ob es denn in Belgien stehe. Die Besucher der begehbaren Installation hätten durchwegs positiv reagiert und das Haus als „erfrischendes Update“ zu ihrer Geschichte empfunden.

Architektur und Ideologie

Bevor Simon Fujiwara die Hochschule für Bildende Künste in Frankfurt am Main (Städelschule) besuchte, studierte er an der britischen Cambridge University Architektur. Anhand des „Hope House“ will er zeigen, wie Architektur und Ideologie transportiert werden können. Dabei wollte er das Anne Frank Museum vor allem als physikalische Materie ansehen und herausfinden, wie etwa die Türen, die Frauen- oder Männertoiletten angelegt sind, oder wie die Besitzer des Hauses, die im Laufe der Zeit mehrfach gewechselt haben, mit dem Gebäude umgegangen sind, respektive es verändert hatten. Oder zu untersuchen, um am Beispiel „gelbe Tapete“ zu bleiben, ob es den Leuten gelingt, entsprechend zu empfinden, Empathie zu entwickeln, wenn sie gewahr werden, woher das Material stammt. Man gehe ja nicht in so ein Gebäude hinein und befinde sich in einer Zeitkapsel, sondern es überlappten sich zusätzlich immer mehr und neue Geschichten.

Simon Fujiwara: „Hope House“
Kunsthaus Bregenz
Bis 2.4.2018
Di-So 10-18, Do 10-20
7.3., 20 Uhr: Kino: „Am Ende kommen Touristen“
8.3., 18.30: Kunstsalon für Frauen
15.3., 18 Uhr: Direktorführung mit Thomas Trummer
2.4., 16 Uhr: finale Führung
www.kunsthaus-bregenz.at