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Karlheinz Pichler · 28. Feb 2016 · Ausstellung

Eine Ausstellung erhören – Zur Sound-Installation von Susan Philipsz im KUB und beim Jüdischen Friedhof Hohenems

Die Sound-Installation der schottischen Klangkünstlerin Susan Philipsz im KUB und beim Jüdischen Friedhof Hohenems ist die erste Ausstellung, die in die Programm-Verantwortung von Thomas D. Trummer fällt, der die Leitung des KUB im Mai vergangenen Jahres übernommen hat. Philipsz verwandelt das KUB mit einer fragmentierten Komposition von Hanns Eisler zu einem akustischen Holocaust-Memorial.

Die Werke von Susan Philipsz sind immateriell, denn das künstlerische Material, aus dem sie gefertigt sind, ist der Klang. Ihr Interesse gilt dem Wechselspiel zwischen Klang und Architektur und der psychologischen Wirkung von Sound. Sie verwandelt Räume gleichsam in Klang-Skulpturen. International bekannt geworden ist die 1965 in Glasgow geborene Künstlerin, als sie 2010 den renommierten britischen Turner-Prize zugesprochen erhielt. Den großen Durchbruch erzielte sie jedoch zwei Jahre später mit ihrem Auftritt an der Kasseler Documenta. Ihre damalige Arbeit erklang im aufgelassenen Hauptbahnhof, an dessen Ende einst die Henschelwerke den Rüstungsexport im Zweiten Weltkrieg betrieben hatten. Aber auch jüdische Opfer wurden von dort aus in die Konzentrationslager verschoben. Sehr subtil, fast beiläufig, brachte die Schottin den Documenta-Besuchern die Geschichte dieses Ortes nahe. Erst beim Suchen nach den Lautsprechern, die fast versteckt über den Bahngleisen hingen, orteten sie die Klangskulpturen von Philipsz und reagierten sehr emotional. Dennoch entschlüsselte sich das Rätsel nicht spontan, sondern wurde im Katalog erklärt. Dort erfuhr der lesende Besucher von den alten Gleisen, den Judentransporten und jenem jüdischen Komponisten Pavel Haas, der 1943 im KZ Theresienstadt eine „Studie für Streichorchester“ komponierte, aber 1944 in Auschwitz ermordet wurde. Die Auseinandersetzung mit dem Krieg, den Nazis, dem Zerstören von Kunst und Musik sowie dem Versuch, aus der Dekonstruktion ein neues Ganzes zu machen, wurde wiederholt zum Thema für Susan Philipsz. Auch der meditative Klang-Teppich, der sich über die verschiedenen Stockwerke des KUB sowie den Jüdischen Friedhof in Hohenems ausbreitet, ist letztlich eine Auseinandersetzung mit diesem dunklen Kapitel der europäischen Geschichte.

Der nebelverhangene See als Inspirationsquelle


Das ursprüngliche musikalische Stück, das Philipsz als Grundlage ihrer Sound-Collage dient und das sie in ihre Einzelstimmen und Einzeltöne zerlegt hat, stammt vom österreichischen Musiktheoretiker und Komponisten Hanns Eisler. Es ist die Musik zu einem Film von Alain Resnais aus dem Jahr 1955, "Nuit et Brouillard", Nacht und Nebel. Der Regisseur nimmt eine Nacht-und-Nebel-Aktion der Nazis im besetzten Frankreich, bei der zahlreiche Personen in die KZs verschleppt wurden, zum Ausgangspunkt für eine Dokumentation zu den deutschen Konzentrationslager. Diese Hintergrundinformation ist unbedingt notwendig, wenn man sich dem Klang aussetzen will.

Inspiriert zu dieser „Nacht-und-Nebel-Aktion“ wurde die Künstlerin aber auch vom See respektive von den Dunstschwaden, die vor allem gegen Ende des Jahres sehr stark werden, wie Philipsz selber betont. Die fragmentarisch aufgelöste Komposition Eislers könnte denn auch die Übersetzung des grauen, verhangenen Bodensees quasi ins Akustische bedeuten. Wobei die Schottin für jedes Stockwerk ein eigenes Instrument vorgesehen hat: eine Klarinette, Geige, Blechblasinstrumente. Der Klang kommt aus vielen Lautsprechern, die,von der Decke hängend, ganz offen im Raum montiert sind. Und man hört kein zusammenhängendes Stück, sondern jeder Ton kommt aus einem anderen Lautsprecher. Und jeder der in einem Berliner Studio aufgenommenen Töne wird extra gespielt. Die derart in ihre Einzelteile demontierte Komposition scheint dem Besucher wie beiläufig aus den unterschiedlichsten Ecken des Raumes entgegenzukommen. Der Großteil des Publikums nimmt die „Materialnot“ der Ausstellung durchaus positiv auf. Viele benützen die Gelegenheit, sich auf den bereit stehenden Ledersofas auszustrecken und sich den Klängen hinzugeben.

Großformatige Prints von FBI-Akten

 

Wie von Philipsz gewohnt, lebt „Night and Fog“ von der Akkustik. Dennoch gibt es nicht nur Nahrung für die Ohren, sondern auch für die Augen. So ist eine Serie von großformatigen Prints zu sehen, die Autographen von Eisler zeigen, über die Akte gedruckt wurden, die vom FBI angelgegt wurden. Vielfach sind Passagen dieser Akte geschwärzt. Hintergrund dafür ist, dass Eisler in den 1930ern Hitler-Deutschland verlassen musste, die Amerikaner ihn aber aufgrund seines Naheverhältnisses zu den Kommunisten scharf beobachteten und auch abhörten. Wie übrigens auch Fritz Lang oder Charly Chaplin, die Eisler gut kannte. Neben diesen Prints sind zudem noch Fotos von im Krieg zerstörten Musikinstrumenten zu sehen.

Flötentöne aus den Bäumen


Das Gefühl, etwas Speziellem beizuwohnen, bleibt den Besuchern auch auf dem Jüdischen Friedhof von Hohenems erhalten. Hier befindet sich die 2. Station von Susan Philipsz Installation „Night and Fog“. Der schön angelegte Friedhof liegt an einem Hang, die einzelnen Gräberzeilen sind nur über steile Treppen zu erreichen, ähnlich steilen, wie diejenigen im KUB. Die schottische Künstlerin hat ihre Lautsprecher hier in den Bäumen montiert, die den Friedhof begrenzen, und so schweben sich wiederholende Flötentöne über die letzte Ruhestätte von Generationen Hohenemser Juden. Eine sehr eindringliche Angelegenheit. "Durch die Platzierung eines der Segmente zwanzig Kilometer vom KUB entfernt, werden Aspekte wie Trennung und Distanz betont", erklärt Philipsz. Gleichzeitig entstehe dadurch aber auch eine unmittelbare Verbindung.

2000 Meter Kabel


Wie auch immer man zur Sound-Installation von Susan Philipsz steht, sie ist die erste Kunstschaffende, die sich in dieser Intensität mit der Akkustik des Kunsthauses Bregenz auseinandergesetzt und die Räume durchgängig beschallt hat. Insgesamt seien 48 Boxen installiert und 2000 Meter Kabel auf den vier Stockwerken des KUB verlegt worden, heißt es. Neben dem ständig wechselnden Licht im KUB sei für sie die Akkustik des Hauses als zweiter wesentlicher Faktor sehr speziell und herausfordernd gewesen, erklärt die Künstlerin aus Glasgow.


Susan Philipsz: „Night and Fog"
Kunsthaus Bregenz und Jüdischer Friedhof Hohenems
Bis 3.4. 2016
Di-So 10-18, Do 10-20
www.kunsthausbregenz.at