Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Karlheinz Pichler · 31. Jul 2017 · Ausstellung

Durch dunkle Räume und dunkle Epochen - Adrián Villar Rojas im Kunsthaus Bregenz

Der 1980 im argentinischen Rosario geborene Künstler Adrián Villar Rojas ist mit spektakulär großen Skulpturen bekannt geworden. Etwa einem Wal, den er 2009 bei der "Bienal del Fin del Mundo" in Patagonien in einem Wald stranden ließ, der das Publikum in Erstaunen versetzte. Auch im Kunsthaus Bregenz (KUB) hat Rojas mit großer Kelle angerührt. Anhand materialintensiver Installationen zieht er einen Bogen durch die menschliche Kulturgeschichte. Mit Blick auf die Besucherzahl scheint sich der gewaltige Aufwand gelohnt zu haben. Wie Kurator Rudolf Sagmeister betont, hätten nicht wenige Kunstinteressierte die Rojas-Schau sogar zwei oder gar drei Mal besucht. Und viele bedauerten, dass die Schau nicht verlängert werde. Bis Ende Juli haben laut Sagmeister bereits mehr als 25.000 Besucher die Ausstellung gesehen, die den Titel “The Theater of Disappearance” trägt.

Adrián Villar Rojas selbst bezeichnet sein Ding in Bregenz als seine gelungenste und umfassendste Ausstellung, die er bislang gemacht habe. Eine Ausstellung, in die er auch die Betrachter stark mit einbezieht. Ihnen will er ihren eigenen Körper stärker bewusst machen und das Empfinden schärfen, wie man einen Raum wahrnehmen kann. Da er die Böden in den düster beleuchteten Räumen mitgestaltet hat, muss man stets darauf achten, wohin man tritt und wie man sich im Raum bewegt.

 

Das Parterre im KUB ist völlig ausgeräumt. Die Kassen- und Büchertresen wurden ins Kellergeschoss verlegt. Der Boden ist mit hölzernen Bodenplatten ausgelegt, auf die die Hilfskräfte Rojas in Handarbeit die „Madonna del Parto“ des Renaissance-Künstlers Piero della Francesca völlig überdimensioniert kopiert haben. Die Madonna, die im Original della Francescas sehr klein ist, ist so riesig, dass es unmöglich ist, das Bild als Ganzes zu erfassen, wenn man darüber hinwegschreitet. Dafür aber registriert man immer wieder neue Details.

Die bunten Glasfenster im Erdgeschoss, die bunt getönt wie Kirchenfenster sind, verweisen auf den Film „2046“ von Wong Kar-Wai, der zu den Lieblingsregisseuren Rojas zählt. Zu sehen ist eine futuristische Stadtansicht von Hongkong. Der rissige, geschundene Holzboden mit der Madonna-Darstellung steht dazu in krassem Gegensatz und macht das Vergehen der Zeit offfenkundig. Es ist das Entree der in vier Abschnitte gegliederten Reise des Argentiniers durch die Kulturgeschichte der Menschheit, Angefangen von den Höhlenmenschen bis hinauf in den Olymp.

 

Von der frühgeschichtlichen Wandzeichnung bis zum Graffiti

Im ersten Stock rückt Rojas der Ur- und Frühgeschichte zu Leibe. Der Raum ist düster ausgelegt mit rötlich-grauen Marmorplatten. Die versteinerten Fossilien in den Platten wurden sorgfältig freigelegt und sichtbar gemacht. Der Künstler hat die Blöcke in Marokko aus dem Fels schneiden, in Quadratform bringen und dann nach Bregenz schaffen lassen. Hier bilden sie nun ein dunkles Panorama, eine urzeitliche Felslandschaft mit prähistorischen Schalentieren, Schnecken, Schildkröten. Die Wandzeichnungen referenzieren die griechische und römische Antike bis herauf zu brasilianischen Graffitis der Gegenwart. In Zusammenspiel mit den geheimnisvollen Farben und dem Schattenspiel des Efeus an der Decke, das das Licht abschirmt, lässt der Argentinier hier ein beklemmendes Szenario erstehen. Der Raum soll wie eine Art Presse auf die Besucher wirken.

Guernica

Im nächsten Stock ist dann die Nachbildung von Picassos Antikriegsbild "Guernica" auszumachen. Davor lodert eine Zeile von Flammen, die fast die gesamte Raumbreite einnimmt. Guernica als Höhlenmalerei sozusagen. Die Feuer mit den dafür erforderlichen Abzugs- und Belüftungsanlagen sollen die Haustechniker bis aufs Letzte gefordert haben, heißt es. Der Raum ist derart dunkel, dass es längere Zeit dauert, bis man sich darin zurechtfindet. Erst dann nimmt man auch den mitten im Raum installierten, versteinerten, 2,6 Tonnen schweren Baumstumpf aus Anatolien war. Um diesen herum sind marmorne Liegesessel, die aus der Designschule von Mies van der Rohe stammen könnten, so wie ein Glastisch angeordnet. Hier könnten sich die Ritter von der Tafelrunde genauso wie die großkopferten Manager von heute ein Stelldichein geben.

 

Man steigt also das KUB hoch, bewegt sich durch dunkle Räume und dunkle Epochen, wie es Rojas ausdrückt, um dann im an „2001: Odyssee im Weltraum“ erinnernden obersten Stockwerk das Licht zu finden, den Olymp, das Irdische hinter sich lassend. Vier Rampen führen in diesem ganz in Weiß getünchten Raum zu den Beinen von Michelangelos "David", die der 35-jährige Künstler mittels CAD-Programm nachgemacht bzw. aus Carrara-Marmor geschnitten hat. Die Installation vermittelt eine Mischung aus Mausoleum und totalitärer Architektur, gebrochen durch zwei marmorne Kätzchen, die zwischen den Beinen Davids spielen. „Es ist eine punkige, gewaltsame Geste gegenüber dem David“, sagt Rojas dazu, für den Museen auch die Funktion von Zufluchtsstätten haben.

 

Nicht alle teilen die Begeisterung für diesen vierteiligen Menschheits-Comic durch die KUB-Räume. Das plakative Herauspicken zentraler Kulturbausteine der Geschichte tun manche als einfältig ab, den immensen Materialaufwand als jugendlichen Größenwahn. Zweifelsohne sind aber die Hallen des Zumthor-Baues noch nie von unten bis oben so dicht und durchgängig bespielt worden. Kurator Rudolf Sagmeister würde dieses monunmentale Kunstwerk Rojas denn auch am liebsten für alle Zeiten so stehen lassen. Genauso übrigens wie auch frühere Ausstellungen, etwa jene von Daniel Buren, Rony Horn oder Olafur Elliason. „Man müsste halt zehn solcher Kunsthäuser haben,“ so Sagmeister.

 

 

Adrián Villar Rojas:
The Theater of Disappearance
Kunsthaus Bregenz
Noch bis 27.8.2017
Mo-So 10-20
www.kunsthaus-bregenz.at