Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Karlheinz Pichler · 01. Aug 2017 · Ausstellung

Alles ist real, auch das Surreale – Christian Ludwig Attersee in der neueröffneten Bregenzer K12-Galerie

Mit Hermann Nitsch, dessen Werk derzeit in der Kunsthalle Arlberg 1800 in St. Christoph gezeigt wird, und Christian Ludwig Attersee, von dem die von Werner Marxx Bosch neueröffnete Bregenzer K12 Galerie einen Querschnitt neuer Werke präsentiert, sind gegenwärtig zwei Künstler in unserem geografischen Raum präsent, deren Namen eng mit der Entwicklung der österreichischen Avantgarde der Nachkriegszeit verknüpft sind. Der eine, Nitsch, ist als Wiener Aktionist weltbekannt geworden, Attersee wiederum als einer der wichtigsten Vertreter der gegenständlichen Malerei nicht nur Österreichs, sondern international.

 

Auch wenn Attersee eine Art Gegenpol zum Aktionismus verkörperte, so waren seine Arbeiten seinerzeit durchaus auch Schautafeln gegen die vorherrschende Spießigkeit. Mit einer eigens herausgegebenen Grafikmappe hatte er sich etwa damals für die Homosexualität eingesetzt. Wenn man bedenkt, wie so mancher heutige österreichische Politiker zur gleichgeschlechtlichen Ehe steht, ist das durchaus bemerkenswert. Und trotz des erwähnten Gegenpols arbeitete Attersse doch auch zeitweise mit den Wiener Aktionisten zusammen. Neben Nitsch etwa auch mit Günter Brus und Gerhard Rühm, an deren Aktionen er sich immer wieder beteiligte.

Aber grundsätzlich verlief der Werdegang Attersee auf anderen Kanälen. Etwa mit seinen ersten sogenannten „Gegenstandserfindungen“ im Bereich der Erotik und des Alltags  machte er sich zwischen 1964 und 1966 einen Namen in der europäischen Pop Art.


Anfangs der Objekt- und Aktionskunst nahestehend, bemühte er sich unter Einbindung von Musik, Sprache, Fotografie, Film etc. eine neue Form des Gesamtkunstwerkes zu entwickeln. Beispiele dieser Objekterfindungen wären etwa „Speisekugel“ und „Speiseblau“, das „Objekt Vagina“, „Prothesenalphabet“, „Attersteck“ oder die „Speicheltönung“. Später wurden für ihn Zeichnungen und Tafelbilder über die Themen Sexualität und Naturerfahrung charakteristisch.

Der Einzelgänger

Er selbst sieht sich als „der große Einzelgänger der österreichischen Kunst der 1960er Jahre, eben als Gegengewicht zum Wiener Aktionismus und in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre als Gründerfigur der „Neuen österreichischen Malerei“ oder auch als Vorläufer der Jungen Wilden, zu denen etwa Sigfried Anzinger gehörte.

Die Werke Attersees sind durch einen figural-symbolischen Stil, leuchtende Farben und dynamischen Pinselstrich gekennzeichnet. Vielfach doppelbödige Assoziationen und Phantasien einer – ebenso individualistischen wie doch auch sehr österreichischen – Sicht der Dinge mit Hang zu sexueller Persiflage. Sein ausschweifender Erfindungsgeist bewegt sich zwischen heterogenen bildnerischen Realtiätsgraden.

Figuren wachsen aus abstrakten Schichten

Am Beginn jeder Arbeit Attersees stehen informelle, abstrakte Schichten, die er auf den Bildträger aufträgt. Solche informellen Farbkomplexe und -eruptionen bilden abstrakte Muster, verdichten und zerstäuben sich zu turbulenten atmosphärischen Erscheinungen. Aus diesem Zwischenbereich heraus entwickelt Attersee dann seine figurativen Zeichen, wie etwa flutende Vegetationen, Tier- und Menschenwesen, Gegenstände, abstrakte Gerätschaften, Landschaftssegmente. Mensch, Tier und Landschaft bilden sozusagen das Dreieck seiner Bilder, wie er selber betont. Wobei den Tieren mitunter die Funktion von Schauplatzbeobachtern zukommt. Sie schauen zu, wie der Mensch die Natur zerstört.

Die verschiedenen Ebenen synthetisiert er letztlich zu pulsierenden Geweben. Wobei es immer wieder zu Übermalungen kommt, so dass letztlich eigentlich bis zu drei oder vier Bilder in einem einzigen Bild enthalten sind.

Vom Ersterlebnis zum Gesamtkörperorgasmus

In jedem Malvorgang sucht er ein ganz bestimmtes Körpergefühl, das nur durch diese prozessuale Tätigkeit entsteht. Und bei jeder Bildfindung will er eine Art Ersterlebnis haben. Im letzten Bildabschnitt bewege er sich in einem Grenzbereich, der zu einer Art Gesamtkörperorgasmus führe, wie er selber sagt.

Werner Marxx Bosch zeigt in seiner neuen K12 Galerie im eindrücklich renovierten Dachgeschoss seines mittlelalterlichen Hauses in der Bregenzer Kirchstraße eine Best-of-Auswahl aus Werken, die in den vergangenen zwei, drei Jahren entstanden sind. Wie bei allen Gemälden Attersees, kommt auch bei diesen den Bildtiteln eine wesentliche Rolle zu. Sie wirken fast wie Ein- oder Zwei-Wort-Gedichte. Für Attersee können solche Bezeichnungen einerseits eine erklärende Bedeutung haben oder sie sollen den Betrachter irritieren. Der Betrachter soll sich selbst im Kopf ein Bedeutungsbild machen. Grundsätzlich ist Attersee ein Anhänger der „bildwerfenden Sprache“, wie er gegenüber KULTUR betont. Entsprechend seien auch seine Titel bildwerfend.

Wie kleine Bühnen

Die in Bregenz präsentierten Bilder enthalten durchwegs komplexe Bildgeschichten. Für Attersee, der auch ein gelernter Bühnenbildner ist, stellen diese Werke kleine Bühnen dar, in die sich der Betrachter gleichsam hineinversetzen kann. Manche Szenen muten surreal an, aber für Attersee ist alles real, auch das, was surreal erscheint.

Einige der ausgestellten Bilder handeln von Bräuten. Sie heißen etwa „Tulpen zur Braut“, „Brautjagd“, die „Kussbitte“ oder „Brautsonne“. Die Frage, ob Attersee sich denn auf Brautschau am Bodensee befinde, wehrt er dahingehend ab, dass es ihm viel mehr um die Erotisierung von Gegenständen gehe. So spricht er etwa von der Tischin als Gegenpart zum Tisch, oder vom Weinglas als Partnerin des Genusses.

Das Bild, das der Ausstellung den Titel gegeben hat und auch auf der Einladungskarte abgebildet ist, Brautjagd eben, handelt von einem Hund, der sich in einen Fisch verliebt. In der Form, in der ihn Attersee gezeichnet hat, kann er jedoch keinesfalls schwimmen, denn er liegt rückwärts im Wasser. Es steckt also, neben einer Reihe von Nebenhandlungen, eine große Tragödie in diesem Werk.

Stationen

Christian Ludwig Attersee wurde am 28. August 1940 als Christian Ludwig in Pressburg (Slowakei) geboren. 1944 flüchtete die Familie nach Österreich, seine Kindheit und Jugend verbrachte er in Aschach an der Donau, in Linz und am Attersee, wo er als Segler große Erfolge feierte und dreimal österreichischer Staatsmeister wurde.

Mit 16 Jahren kam er als hochbegabter und jüngster Student an die Universität für Angewandte Kunst und studierte zunächst Bühnenarchitektur und später Malerei und angewandte Kunst. 1965 hatte er seine erste Ausstellung in Berlin und legte sich danach den Künstlernamen "Attersee" zu. 1984 vertrat er Österreich auf der Biennale in Venedig, von 1990 bis 2009 unterrichtete er eine Meisterklasse an der Universität für Angewandte Kunst.

 

Attersee machte sich auf fast allen Gebieten der Kunst einen Namen, als Musiker, Schriftsteller, Designer, Bühnenbildner. Vor allem aber gilt er als einer der bedeutendsten Vertreter der gegenständlichen Malerei Europas und ist einer der international meistbeachteten Künstlers Österreichs mit weltweit über 600 Einzelausstellungen, davon 80 in bekannten Museen. Auf seine künstlerische Handschrift stößt man immer wieder auch im angewandten Bereich. Ob Weinetiketten, Plattencover oder was auch immer, nichts ist vor seinen künstlerischen Eingriffen sicher.

 

 

Attersee am Bodensee – Brautjagd
Galerie Atelier K12, Bregenz
Bis 26.8.
Mi-Fr 15-17.30, Sa 10-11.30 u.n.tel.V.
www.k12galerie.at