Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Karlheinz Pichler · 10. Okt 2012 · Ausstellung

Die Welt als Cluster digitaler Farben und Formen - Fractalmalerei von Werner Marxx Bosch in der Bregenzer K12 Galerie

Die Bregenzer K12 Galerie zeigt derzeit einen neuen Werkzyklus des Lustenauer Kunstschaffenden und Galeristen Marxx Bosch. Unter dem Titel „Fractalmalerei" sind 25 digital generierte Werke experimenteller Malerei zu sehen. Die Ausstellung dauert bis 30.11.2012.

Der 1958 in Lustenau geborene Künstler Werner „Marxx“ Bosch, der in den 1980er-Jahren an der Universität für Angewandte Kunst in Wien bei Peter Weibel, Oswald Oberhuber und Wilhelm Cermak studiert hat, ist in der breiten Öffentlichkeit vor allem mit großformatigen Gemälden bekannt geworden. In den vergangenen Jahren ist es in seinen programmatischen Statements immer wieder um „die Entmachtung des Kunstwerks" gegangen, wie dies durch den Vormarsch der Digitalisierung möglich ist, wie er selber sagt. In den letzten fünf, sechs Jahren hat er sich experimentell mit dem Phänomen der Fraktalkunst auseinandergesetzt, mit deren Hilfe er fulminante Farb-Cluster erzeugt, die Assoziationen an „LSD-Farbräusche“ erwecken und wie eine Entführung in eine „Schöne neue Welt” anmuten.

Kunst oder nicht Kunst

Die Frage, ob ein computergeneriertes Fraktal Kunst ist, wird nicht nur im Internet kontrovers diskutiert. Generell sollte man aber grundsätzlich zwischen den tatsächlich computergenerierten Fraktalen unterscheiden, die ausschliesslich dazu bestimmt sind, die Lösungsmenge eines konkreten mathematischen Problems grafisch darzustellen und jenen Fraktalen, deren Gestaltung individuell bestimmt wird und deren Ergebnisse isoliert von mathematischen Fragestellungen zu betrachten sind. Bosch wählt seine abstrakten Fraktale mit leidenschaftlicher Sorgfalt aus und entwickelt diese künstlerisch weiter. Der Computer und die in grosser Zahl verfügbaren Fraktal-Programme sind ihm dabei nur Hilfsmittel, um seine Expeditionen ins Reich der Farben und Formen in immer neuen Variationen austesten zu können.

Am Beginn steht das Apfelmännchen

Der Begriff „Fraktal" (lat. fractus: gebrochen) wurde 1975 von dem Computerwissenschaftler und Mathematiker Benoit Mandelbrot geprägt. Seinen Namen trägt auch das „Ur-Fraktal", das manchmal auch als „Apfelmännchen" bezeichnet wird. Mandelbrot wurde 1924 in Polen geboren und starb vor zwei Jahren in Cambridge im US-Bundesstaat Massachusetts. Durch sich immerwährend wiederholende mathematische Formeln mit komplexen Zahlen entstehen charakteristische Muster, die endlose Details aufweisen. Es erfolgt also eine ständige Iteration der Gleichung, bis der Wert mit einem vorangegangenen bzw. vorgegebenen Wert in irgendeiner Hinsicht identisch ist. Gute Beispiele für die Eigenarten von Fraktalen lassen sich überall in der Natur wiederfinden. Ringsherum in unserer Umwelt finden wir Wiederholungen einer bestimmten Struktur in sich selbst. Die Zweige an den Ästen von Bäumen, die vielfachen Verzweigungen innerhalb unseres Blutkreislaufes, die einzelnen Röschen eines Blumenkohls, die Blätter von Farnen oder die Formen der Küstenlinie. Diese fortlaufenden Wiederholungen werden auch als „Selbstähnlichkeit" bezeichnet.

Mandelbrot schrieb in seinem Standardwerk „Die fraktale Geometrie der Natur": „Wolken sind keine Kugeln, Berge keine Kegel, Küstenlinien keine Kreise. Die Rinde ist nicht glatt – und auch der Blitz bahnt sich seinen Weg nicht gerade... Die Existenz solcher Formen fordert uns zum Studium dessen heraus, was Euklid als formlos beiseite lässt, führt uns zur Morphologie des Amorphen. Bisher sind die Mathematiker jedoch dieser Herausforderung ausgewichen. Durch die Entwicklung von Theorien, die keine Beziehung mehr zu sichtbaren Dingen aufweisen, haben sie sich von der Natur entfernt. Als Antwort darauf werden wir eine neue Geometrie der Natur entwickeln und ihren Nutzen auf verschiedenen Gebieten nachweisen. Diese neue Geometrie beschreibt viele der unregelmäßigen und zersplitterten Formen um uns herum – und zwar mit einer Familie von Figuren, die wir Fraktale nennen werden.“

Das geregelte" Chaos

Das Fraktal spielt auch in der Chaostheorie eine zentrale Rolle. Zahlreiche Phänomene der Naturwissenschaften sind trotz strengem naturwissenschaftlichem Determinismus prinzipiell nicht prognostizierbar. Es gibt jedoch Struktur im Chaos, die sich bildlich in den phantastischen komplexen Mustern – eben den Fraktalen – ausdrückt. Die fraktale Geometrie liefert also eine Palette von Begriffen und Messverfahren, die Komplexität des Chaos aufzudecken. Meist leben Chaos und Ordnung nebeneinander und der Übergang von Ordnung ins Chaos folgt strengen Fahrplänen.

Die Chaostheorie ist ein Ansatz, mit dem man offenbar weite Bereiche der natürlichen und vielleicht auch der gesellschaftlichen Realität beschreiben kann. Sie tritt ja als allgemeine Beschreibung von komplexen Systemen auf. Und Komplexität gibt es in ganz vielen Verkleidungen und in ganz vielen Variationen. Komplexität ist beispielsweise dann gegeben, wenn sehr viele Agenten in Wechselwirkung stehen. Die Börse könnte hier als eines von vielen Beispielen gelten. „Der Kurs einer Aktie ergibt sich aus der Interaktion von sehr, sehr vielen ökonomischen Faktoren. Das ist natürlich ein komplexes System. Oder eine Nahrungskette in einem ökologischen System. Der große Fisch frisst den mittelgroßen Fisch, und der mittelgroße Fisch frisst den kleinen Fisch, und der ganz kleine Fisch frisst Plankton. Dabei spielen auch die Meeresströmung, die Temperatur, die Schadstoffbelastung und vieles andere noch eine Rolle. Das ist auch ein komplexes System“ (Heinz-Otto Peitgen: „Das neue Bild der Welt“. In: Kunstforum, Bd. 124, 1993). Die Chaostheorie und die Fraktallehre liefern das Instrumentarium, solche Komplexitäten darzustellen und zu berechnen.

Die Welt als Bezugssystem von Zahlen

Die Welt lässt sich also als ein Bezugssystem von Zahlen erklären. Das erkannte bereits Augustinus: „Betrachte Himmel, Erde, Meer und alles, was da glänzt und kreicht und fliegt und schwimmt: alles hat Formen, weil es Zahlen hat; nimm sie fort und alles wird zunichte ... und frage, was im Tanz ergötzt, antworten wird die Zahl: Siehe, ich bin's. Betrachte die Schönheit des geformten Körpers: Zahlen sind im Räumlichen festgehalten. Betrachte die Schönheit der Bewegung im Körper: Zahlen gewinnen Leben im Zeitlichen.“

Die neuen Kunstwerke von Bosch, die er als Einzelbilder, Diptychen oder auch Triptychen präsentiert, sind also in gewissem Sinne Überführungen von natürlichen und gesellschaftlichen Phänomenen in die digitale Welt von Formen und Farben. Seine von der Chaostheorie abgeleiteten und sich in die Unendlichkeit verlierenden Farb-Muster fluten die Räume gleichsam eruptiv und mit prägnanter Intensität. Bosch übersetzt Formen der Natur und Welt in digitale, zahlenbasierte Malerei. Ist Bosch ein digitaler Landschaftsmaler im Gefolge eines Caspar David Friedrich? Eine Frage, die logisch betrachtet durchaus berechtigt scheint.

 

Marxx Bosch: Fractalmalerei 2012"
K12 Galerie, Bregenz
Bis 30.11.2012
Mi bis Fr 15 - 17.30
Sa 10 - 11.30
www.k12galerie.at