Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Karlheinz Pichler · 30. Nov 2013 · Ausstellung

Die Störung gewöhnlicher Verhältnisse - Matthias Bildstein u. Philippe Glatz in der Dornbirner Galerie c.art

Das Künstlerduo Bildstein/Glatz alias Matthias Bildstein (A) und Philippe Glatz (CH) ist mit einem Teil ihres ständig sprudelnden Ideenreservoirs in der Dornbirner Galerie „c.art“ gelandet. Neben einer großen Installation im Eingangsbereich zeigen sie unter dem Titel „Landing“ neben großformatigen Gemälden hauptsächlich handgemachte und überarbeitete Drucke.

Bildstein/Glatz empfangen den Galerienbesucher im Eingangsbereich mit einer Rampe, deren Zweck auf Anhieb nicht ersichtlich ist. Handelt es sich bei diesem architektonischen Einbau aus Holz um eine Lande- oder Auffahrtsrampe für irgendetwas? Oder könnte man die Rampe vielleicht gar als Rutschbahn verwenden? Dann würde der Benutzer garantiert als Abzugsbild an der bruchsicheren Fensterscheibe der Galerie enden. Die Rampe gibt also Hinweise für einen möglichen Gebrauch, macht aber hier an diesem Ort überhaupt keinen Sinn. Sie ist einzig ein Vehikel, um den klassischen Skulpturenbegriff auf ironische Art und Weise zu umkreisen und zu hinterfragen.

Architektonische Ungetüme


Mit solchen architektonischen Verbauungen und Interventionen haben Bildstein/Glatz in der Vergangenheit immer wieder für immenses Aufsehen gesorgt. Zuletzt etwa versetzte ein 17 Meter langes, 14 Meter hohes und 11 Meter breites Ungetüm auf der Schnepfegg im Bregenzerwald Touristen, Bergsteiger und Einheimische in schieres Erstaunen. Formal hatte dieses Ungetüm Ähnlichkeiten mit der Rampe in der „c.art“. Es trug den Namen „Der Umlenker“ auf sich und bestand aus halbkreisartig angeordneten Hartfaserplatten, die von einem chaotischen Gerüst und Geflecht aus zusammengeschraubten Holzlatten getragen werden. Die Öffnung des Halbkreises war dem mächtigen Massiv der Kanisfluh zugewendet. Man hätte dieses monumentale, riesige Unding vielleicht als Schutzbauwerk vor Blitzen oder kosmischer Strahlung interpretieren können. Aber bei einer simplen Holzkonstruktion ist diese Annahme natürlich absurd. Eine Bedeutung vortäuschend, stand der Umlenker einfach als sinnloses Objekt an einem magischen Platz.

Oder ein anderes Beispiel: Im Jahre 2009 zimmerte das Künstlerduo am Arboner Bodenseeufer unter dem Titel „Soweit das Budget reicht“ ein Teilstück einer Brücke. Eine Brücke ohne Auf- und ohne Abfahrt, ein „Brückenschlag“, nach Lindau hin gerichtet, ohne Möglichkeit, jemals eine Verbindung dorthin herzustellen. Die Kunsthistorikerin Brigitte Schmid-Gugler meinte zu diesem Brückenstummel, dass er die Utopie vom Denk- und Machbaren einer einzigen Welt, im Sinne von kultureller Toleranz, Ressourcen und Gleichberechtigung,  persifliere.

Auf den ersten Blick hin erinnern diese architektonischen Holzkonstruktionen an die Baugerüste japanischer Baustellen. Es scheint ihnen eine reelle Sinnhaftigkeit, ein logisch verständliches Bauvorhaben zu Grunde zu liegen. Erst der zweite Blick enthüllt die Tragweite des Irrtums. Die Gebilde sind weit davon entfernt, funktional genutzt werden zu können. Es sind mühevoll konstruierte Sinnlosigkeiten. Humoreske Plattformen, die zwar symbolisch auf die Ungereimtheiten und Unzulänglichkeiten der Welt den Finger richten, letztlich aber auf nichts verweisen, als auf sich selbst.

In der Regel gehen Bildstein/Glatz bei solchen Konstruktionen von relativ genauen Plänen aus, die sie selber entwerfen. Beim Bau selber jedoch dominiert dann das Bauchgefühl. Die Basis des Holznetzwerkes soll möglichst chaotisch sein. Aus diesem Chaos heraus wird die Figur dann gleichsam „modelliert“. Die Latten und Platten werden derart miteinander verbunden, dass sich die „Skulptur“ immer mehr dem ursprünglichen Bauplan annähert. Durch ständiges Hinzufügen und Wegnehmen formiert sich ein architektonisches Wesen, das, obwohl immer Fragment bleibend, letztlich als fertig erklärt wird.

Ein weiteres Charakteristikum dieser Architekturen ist, dass sie nur eine temporäre Gültigkeit haben.

Vieles ist anders wie es scheint


Aufgrund des Spektakulären assoziiert man mit Bildstein/Glatz in letzter Zeit also immer wieder solche unorthodoxen, schrägen, nichtsnutzigen Installationen. Dabei gehörte die Zeichnung, die Malerei, die Collage, die Fotografie und das Video immer auch schon zum Repertoire dieses Künstlerduos. Durch den Umstand, dass Matthias Bildstein in Wien bei Erwin Wurm Multimedia und Bildhauerei studiert hat und Philippe Glatz ein ausgebildeter Offsetdrucker ist, der dann Malerei in Dublin, Wien und Zürich studiert hat, sind sie praktisch in allen technischen Metiers zuhause.

Mit so einer Dichte an zweidimensionalen Arbeiten, wie sie nun hier in der Galerie c.art versammelt sind, sind sie allerdings noch nie an die Öffentlichkeit getreten. Rund 100 Arbeiten sind in Dornbirn versammelt, das Ergebnis eines ganzen Jahres intensiver Zusammenarbeit. Darunter eine Serie von großformatigen Öl-, Acryl- und Lackarbeiten im oberen Stock, für die auf einen Umhang eines Priors aus dem 16. Jahrhundert drapierte Wappen den Ausgangspunkt darstellen und die sie auf ihre suberversiv-schräge Manier in die Gegenwart verformt haben. Oder sechs Serien mit jeweils 12 Arbeiten auf Papier, die in Handoffsetdruck hergestellt wurden. In einer dieser Serien bearbeiten sie etwa eine Getränkekarte der legendären Mondscheinbar in Turin, deren Drinks bekannten Künstlerperönlichkeiten wie Martin Kippenberger, Caravaggio oder etwa Albert Oehlen gewidmet waren.

Wie bei Bildstein/Glatz üblich, ist auch bei diesen zweidimensionalen Werken nicht alles so, wie es scheint, und vieles läuft aus dem Ufer. Das beginnt schon bei der Einladungskarte zu dieser Ausstellung, die wie ein billig gestaltetes, schludriges Werbeplakat für eine neue Extremsportart daher kommt und im Unklaren lässt, wofür eigentlich genau geworben wird. Spontan kommt einem Red Bull in den Sinn, ein Konzern der alle Sportarten aufgreift und zu Geld macht, sofern sie nur den Nimbus des Spektakulären auf sich tragen. Und eigentlich könnte auch die Holzrampe beim Entree ein Relikt einer Red-Bull-Weltmeisterschaft sein.

Weiter, höher größer


Spektakel- und Unterhaltungskultur, Rekorde, Tricks, die neu und noch nie dagewesen sind – mit dem weiter, höher, größer in ihrer Generation aufgewachsen, verfolgen die beiden Künstler die aktuelle Entwicklung indes eher als Beobachter denn als vehemente Kritiker und versuchen den Status quo auch auf ihr Medium zu übertragen.

Dass das Duo selber auch eine Art Extremsportler verkörpert, aber eben im Metier der Kunst, wird wohl mit der Präsentation in der „c.art“ evident. Sie selber bezeichnen die Bilder, die zu sehen sind, denn auch unverblümt als „bunt, laut, plakativ und die sich selber feiern sowie den Genius, der sie hervorbrachte.“ Woraus abzuleiten wäre, dass Bescheidenheit nicht zu den Stärken von Bildstein/Glatz zählt. Was aber bei Künstlern ja aber auch nicht eingefordert wird.

Schrei nach Hoffnung


Und in dieser Unbescheidenheit haben sie – natürlich augenzwinkernd - auch gleich einen Autor beauftragt, eine mögliche Rezension und Einschätzung der Marke Bildstein/Glatz aufzusetzen. Wobei - vielleicht haben sie den Text auch selber verfasst, um ein weiteres subversives Element in ihre Arbeit einfließen zu lassen. Ein Zitat aus so einer „Auftragsrezension“: „Bildstein/Glatz bilden die Speerspitze einer neuen Malergeneration, welche immer mehr ins Licht der internationalen Kunstwelt tritt. Es bahnt sich ein Umbruch in der Königsdisziplin der Künste an, der nur mit dem Siegeszug der Abstraktion oder den Jungen Wilden der 1980er-Jahre vergleichbar ist. Die Künstlerfreundschaft von Bildstein und Glatz, deren Wurzeln in der wilden Vergangenheit als Graffitisprüher in Zürich liegen, treibt sie zu einem immerwährenden gegenseitigen kreativen Wettstreit. Auf dem Bildträger amalgamieren pastose Neonfarben, das expressive Handling der Spraydose, dystopische Schattenrisse und flüchtiger Kitsch zu einem Panoptikum des Lebens. Bildstein und Glatz betreiben in ihrem Werk eine Archäologie der Gegenwart, welche die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen manifestiert... usw.“  Und vielleicht aus dieser programmatischen Rezension, die letztlich doch auch prägnant einen Teil des technischen Vokabulars des Künstlerduos benennt, noch der Schlusssatz, weil dieser die allgemeine Befindlichkeit der Gesellschaft und der Kunst der Gegenwart anschaulich beschreibt: „Die Hoffnung auf ein Paradies hat man aufgegeben. Nur eine durchtanzte Nacht auf ‚Ecstasy’ oder ein ‚Bungeesprung’ lassen die Kinder dieser Jahre noch für einige Momente das reale Leben spüren. Die Sehnsucht nach Emotionen, die Suche nach der wahren Schönheit und den Schrei nach Hoffnung vernehmen wir als Betrachter der eindrucksvollen Arbeiten von Bildstein und Glatz“.

Bildstein/Glatz: Landing
Galerie c.art, Dornbirn
Bis 17.12.2013
Di-Fr 9-12 u. 15-18, Sa 10–12
od. nach tel. Vereinbarung
www.c-art.at