Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Karlheinz Pichler · 22. Nov 2016 · Ausstellung

Die schaurige Ästhetik des Zerfalls – Neue Fotografien von Manfred Schlatter in der Schrunser MAP Kellergalerie

Was seine Fotografien anbelangt, kennt man Manfred Schlatter eigentlich vor allem aufgrund seiner in Schwarz-Weiß gehaltenen, realistisch-ästhetischen Aufnahmen unberührter Naturlandschaften. Für einmal – oder auch für mehrere Male - hat er nun die Abgeschiedenheit der natürlichen Landschaft mit der städtischen oder dörflichen Landschaft vertauscht und sich auf die Spurensuche architektonischer Leerstände in Schruns und anderen Orten des Montafons begeben.

Bauten wie die Kuranstalt Montafon, das Hotel Taube, den Gasthof Jochum, das Altersheim oder Familienhäuser hat Schlatter kurz vor dem Abriss, Umbau oder während Stillständen besucht und mit einer sehr persönlichen fotografischen Handschrift in Schwarz-Weiß im Bild festgehalten. Bauten, die für Schruns über einen längeren Zeitraum hinweg von wesentlicher Bedeutung waren, hat er gleichsam einer fotografischen Autopsie unterzogen und quasi für das lokale oder überregionale kollektive Gedächtnis bildhaft konserviert.

Leerstände - ein globales Phänomen

Architektonische Leerstände sind ein globales Phänomen. In den USA etwa sterben der Reihe nach riesige Shopping Malls. Sie verkommen zu gigantischen Bauruinen, ja ganze Städte sind vom Zerfall bedroht. Und auch bei uns ist es nicht anders. Der Bau von riesigen Einkaufszentren an den Peripherien der Städte, die Änderung der Lebensgewohnheiten, Abwanderungen, falsch investierte Sanierungsgelder, demografischer Wandel, der Einfluss neuer ökonomischer Entwicklungen, wie sie etwa die Netzkultur mit sich gebracht hat, - dies alles hat den Geschäften, gastronomischen Einrichtungen und Nahversorgungsinfrastrukturen in den Orten immer wieder das Wasser abgegraben und zu Leerständen geführt. Je nachdem, was für Interessen berührt werden, spricht man von konjunkturellen, von strukturellen, von spekulativen oder auch von juristisch begründeten Leerständen. Vielen Altstädten etwa droht dadurch der ökonomische Tod. Die Balance zwischen Zentrum und Rand ist in vielen Orten aus dem Gleichgewicht geraten.

 

Das Thema Leerstand hat sich sogar bis in die Sozialen Medien vorgearbeitet. So gibt es beispielsweise auf Facebook sogenannte „Leerstandsmelder“, mit denen versucht wird, leerstehende Gebäude einer erneuten Nutzung zuzuführen, bevor es zum tatsächlichen Abriss kommt.
Nun, so schlimm ist es in Schruns noch nicht. Aber auch hier hat der ökonomische, sozio-gesellschaftliche und demografische Wandel der Zeit seine Spuren hinterlassen und Bausubstanzen gefährdet. Und dies wiederum hat den fotografischen Jagdinstinkt Manfred Schlatters entfacht.

 

Die Anziehungskraft des Verlassenen, Zefallenden

So wie ihn die Weite und die Einsamkeit, die von unberührten Naturlandschaften ausgehen, faszinieren, üben auf ihn auch verlassene, verfallende oder bereits zerstörte Bauten eine magnetische Anziehungskraft aus. Dabei nähert er sich den Motiven auch hier ohne Pathos. Er nimmt die Situation, wie sie ist, und hält sie im Bild fest, so wie sie sich gerade gibt. Da wird nichts herummanipuliert und inszeniert, sondern das Momentum des Augenblicks wird im Bild festgefroren. Es gibt kein Beschönigen und auch kein kritisches Anprangern. Es gilt ein Stück Schruns oder Montafon, das verlustig gegangen ist oder geht, zu dokumentieren und sozusagen bildhaft zu archivieren. Da einige Objekte, die Schlatter fotografisch erforscht hat, bereits städtebaulich eliminiert worden sind, erhalten seine Bilder ergo nicht nur eine künstlerische, sondern auch eine kultur- und gesellschaftsgeschichtliche Relevanz.

Die von Schlatter bevorzugte Schwarz-Weiß-Technik kommt bei diesen Architekturbildern genauso gut zum Tragen wie bei seinen Landschaftsbildern. Die Art, wie er etwa vergessene oder übrig gebliebene Gegenstände oder Möbel in der Kuranstalt Montafon oder im Hotel Taube frontal ins Bild setzt, evoziert eine unsägliche Einsamkeit, ein Gefühl der Verlassenheit. Von den Fotografien geht eine schaurige, unter die Haut gehende Schönheit aus. Wie die Landschaften sind auch diese architektonishen Aufnahmen des Zerfalls menschenentleert. Nur Relikte sind vorhanden, die darauf verweisen, dass hier einmal Leben stattgefunden hat.
Manfred Schlatter hat eine erlesene Auswahl dieser Fotografien von Orten, die zum Stillstand gekommen sind und die natürlich auch das Vergängliche allen Seins wieder einmal deutlich vor Augen führen, in einem Prachtband zusammengefasst. Herausgegeben wurde er vom Gemeinearzt, Galerist und Kunstförderer Johann Trippolt als Sonderband Nummer 26 der Montafoner Schriftenreihe. Von ihm ist auch ein Text im Buch enthalten, genauso wie auch von Bruno Winkler und Michael Kasper.

 

Gefühl für Raumsituationen

 

Schlatter beginnt seinen Bildteil im Buch mit einer fotografischen Durchleuchtung der ehemaligen Kuranstalt Montafon. Das Haus ist in den vergangenen Jahren mehrfach auch von bildenden Künstlern thematisiert worden. Eine Art Schlusspunkt setzt Schlatter hier nun mit seiner fotografischen Bestandsaufnahme. Er, der Landschaftsfotograf, entwickelt hier und auch bei den anderen Objekten ein großes Gefühl für die Raumsituation. Er nähert sich den Orten mit gefühlvoller Distanz. Und er lässt die Interieurs unangetastet. Dabei legt er offenbar großen Wert auf eine möglichst perfekte Bildkomposition. Er lotet aus, wie er einem Überbleibsel, ewas Liegengebliebenem, einem von Verfall gekennzeichnetem Raum am besten die visuelle Referenz erweisen kann. Er geht auf die Räume zu, lässt sich auf sie ein, und dadurch gelingt es ihm, das Eigentliche, das Innere, die Seele dieses Räumlichen, so noch eine vorhanden ist, nach außen zu stülpen. Der Betrachter kann, so er sich darauf einlässt, die visuellen Abdrücke in sich aufnehmen und durch eigene Bilder, Gedanken und Geschichten im Kopf ergänzen oder erweitern.



Manfred Schlatter: Stillstand
Neue fotografische Arbeiten
MAP Kellergalerie Schruns
Bis 11.12.
Mi, Sa, So 18-20