Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Peter Niedermair · 18. Jul 2018 · Ausstellung

Die 18. Art Bodensee vom 13. bis 15. Juli 2018 ist Geschichte

Die Geschäftsführerin der Dornbirner Messe, Sabine Tichy-Treimel, ist rundum zufrieden, wie sie in der Pressemitteilung vom Sonntag, 15. Juli, um 15:27 Uhr schreibt: „Die Besucher schätzen ebenso wie die Aussteller die entspannte Atmosphäre der Art Bodensee, die Kunstkauf mit Genuss ermöglicht.“ Man sei bereits in den Vorbereitungen auf die 19. im Gymnaestrada-Jahr 2019. Die Zufriedenheit auf Seiten der 6.000 BesucherInnen sei sehr groß gewesen, die der Aussteller ebenfalls. Für die Veranstalter war der Kunstmarktplatz in den Räumlichkeiten der Messe Dornbirn ein voller Erfolg: „Die Messe ist etabliert, hat viele treue Besucher und langjährige Aussteller. Gleichzeitig wissen wir um den wirtschaftlichen Druck vieler Galerien und schärfen deshalb Jahr für Jahr das Profil, um einen optimalen Rahmen für den Kontakt mit Kunden und Interessierten zu schaffen“, so die Messe-Geschäftsführerin. Dabei positioniere sich die Art Bodensee bewusst als Kunstmesse, im Gegensatz zu den vielen designorientierten Veranstaltungen in der Region. Schauen wir uns das ein bisschen näher an.

Zum Format und Umfeld

Maximilian Hutz, einer der jüngsten Galeristen aus Vorarlberg, wird in der Pressemitteilung zitiert: „Die Art Bodensee ist wichtig für Vorarlberg und ein toller Schauplatz, um auch Kunst aus anderen Regionen zu sehen.“ – und Michael Sturm, Galerie Sturm, Stuttgart: „Die Art Bodensee ist ein Kleinod im Bodenseeraum.“ Es war alles wie immer, bis auf ein paar Veränderungen und Neuheiten. Das von Harald Gfader über zehn Jahre hinweg betreute Projekt des „Art Featured Artist“ - „Rookie of Art Bodensee“, gab es nicht mehr. Was es im Detail bedeutet, ist vermutlich mehr als eine symptomatische Erscheinung innerhalb des Kunstbetriebs im Land und darüber hinaus. Vielleicht ist es eh nur a Lifterl, das bald wieder vergeht und vergessen ist. Ich denke, es ist mehr und als solches ein Spiegel für die kulturelle Atmosphäre, die mit einigen Protagonisten hier im Land zu tun. Ein Teil der Konfliktlinien verläuft entlang des Landesstudio Vorarlberg. Bekanntlich hatte die erfahrene und geschätzte Kulturjournalistin Carina Jilg jahrelang die ORF eigenen Ausstellungen im Foyer des Funkhauses kuratiert. Der Intendant hat sie im Frühjahr 2017 mir nichts, dir nichts abserviert. Jilg hatte das 2017er Ausstellungsprogramm mehr oder weniger bereits eingefädelt gehabt. An ihrer statt wurde Harald Gfader fortan mit der Kuratie der Ausstellungen im Funkhaus betraut, von wem genau, das ist bei divergierenden Aussagen der Akteure bis heute nicht offengelegt. Interessenskonflikte an sich wären in einer offenen Gesellschaft das Normale. Doch das Kaltstellen der erfolgreichen Kuratorin ist im ORF Landesstudio längst integraler Teil eines größeren Showdowns in der Kulturabteilung, der sich gewaschen hat. Und es ist mehr, als nur einen Sendeplatz „Kultur nach 6“ auf 20 Uhr zu verschieben. Es ist das systematische Reduzieren der Kulturberichterstattung, die für die KünstlerInnen und Kulturschaffenden jahrezehntelang ein essentieller Begleiter war. Sprechübungen wären angesagt, Sieb’sche Sprechübungen, wie wir sie seinerzeit noch auf der Germanistik hatten. Dabei ginge es nicht um die Streitfrage, ob man nun Bühnenhochdeutsch „König“ oder Könich“ sagt, sondern darum, überhaupt den Mund aufzumachen, Positionen auszusprechen und sich der öffentlichen Debatte zu stellen. Von dieser Situation geht eine partielle Lähmung aus, die dem gesamten Kulturbetrieb im Land schadet.

Rookie of Art Bodensee

Jetzt unmittelbar in den Tagen rund um die Art Bodensee kam ein Kuvert der Kulturabteilung des Landes Vorarlberg ins Haus: „Eine Nachschau zu einem Kunstförderprojekt in Vorarlberg: Zehnmal Rookie of Art Bodensee – Art featured Artist. 2008 – 2017.“ Im Impressum steht: „Nach einer Idee von HGfader. Ein Kunstförderprojekt im Auftrag des Landes Vorarlberg.“ Harald Gfader im Vorwort: „Die Initiierung eines Podiums, auf dem zeitgenössische Kunst an Interessierte und Kunstliebhaber herangeführt werden sollte, war von Beginn an das zentrale Anliegen der Art Bodensee.“ Gfader skizziert die Bedeutung und Rolle der Art Bodensee als einem „Kunstmarktplatz“, mit dem Ziel, „durch qualitätsbekennende, familiär geführte Galerien sowohl junge als auch arrivierte KünstlerInnen zu präsentieren (…)“. Über Gfaders Projekt bekamen die BesucherInnen der Art Bodensee ab 2008 eine ganze Reihe von sehr interessanten und wichtigen KünstlerInnen mit Vorarlberg Bezug zu sehen: Kirsten Helfrich, Bernhard Buhmann, Franz Amann, Christine Lederer, Peter Wehinger, Karl Salzmann, Cäcilia Falk, Christoph Luger, Katherina Olschbaur und Hannes Ludescher. Man mag über dieses Format streiten, dennoch bleibt (unbestritten!): Harald Gfader hat im Rahmen der Art Bodensee ein wichtiges Vermittlungsinstrument zur Förderung junger KünstlerInnen geschaffen.

Wie sieht die aktuelle Situation unmittelbar nach Ende der Art Bodensee aus?

Eine neue Kuratorin ist derzeit noch nicht bestellt. Nach dem Abgang von Isabella Marte, die ans Kunsthaus Liechtenstein wechselte, wird die Stelle neu ausgeschrieben. 2019 wird um diese Zeit im Juli die nächste Gymnaestrada in Dornbirn und im umliegenden Vorarlberg stattfinden, die Messehallen werden als eine zentrale Location für die internationale Sportbegegnung gebraucht. Wie die Art Bodensee um dieses Ereignis herum angelegt wird, sei derzeit noch offen. Die vollständige endgültige Evaluierung der 18. Art Bodensee 2019 ist noch ausständig. Die Verantwortlichen der Dornbirner Messe und der Art Bodensee werden sich in puncto Konzept und Innovationen einiges einfallen lassen müssen. Auch die Stimme der offiziellen Vorarlberger Kulturpolitik ist aufgerufen, Impulse für neue Formate zu unterstützen. Der Bodensee an sich ist schon eine attraktive Marke, die sich durchaus eignet eine Kunstnischenposition zu beziehen, die nicht in Konkurrenz zum internationalen Kunstmarkt und der Vermarktung von Kunst zu gehen braucht. Doch Stillstand bei laufendem Betrieb ist jetzt nicht gerade das Non-plus-Ultra, auch wenn man gerne hingeht, um Bekannte und Freunde zu treffen. Die Architektur hat’s in sich, deren Qualität (Marte-Marte) ist top of the Pops und auch der Ristretto sehr zu empfehlen. Man ist neugierig, wie es 2019 weitergeht. Die Maschen der Vernetzung im insgesamten Institutionen-Kulturbetrieb werden immer stärker. Man holt allerorten neue Schnüre hervor. Konzeptiv sind kühne Ideen gefragt. Eine solche ist bereits in diesem Jahr aufgetaucht. Sie kommt aus einer Kooperation der Art Bodensee mit der Galerie Hollenstein Lustenau.

„Epoca 7“ – Daniela Fetz und Selina Reiterer in einer Sonderschau auf der Art Bodensee

Ein absoluter Hot Spot und Anziehungspunkt auf der diesjährigen Art Bodensee war das Projekt in Halle 11 „EPOCA 7“  von Daniela Fetz und Selina Reiterer. Das Niveau und die Qualität von Stickereien werden mit den heutigen technisch-innovativen Sticksystemen und Maschinen immer besser und interessanter. Die Firma Saurer im benachbarten Arbon am Bodensee ist eines der weltweit führenden Unternehmen für die Entwicklung solcher Systeme. Die Qualität der mit diesen Maschinen hergestellten Produkte, wie gesagt, ist einzigartig, wenngleich die internationale Konkurrenz insbesondere aus Asien immer heftiger wird und die Marktlagen gerade für vorarlbergische Stickereiunternehmen immer herausfordernder werden.

Ausgehend von einem alten Stickmuster, das auf einer EPOCA 7-Maschine gestickt wurde, entwerfen Fetz und Reiterer mit dem Ziel eines Ausbruchs aus gesetzten Prozessen und Normen abgehängte Stoffbahnen inmitten der Halle 11 und präsentieren eine textile Landschaft als begehbaren Bereich; dieser ist in alle Richtungen offen, man geht auf einem weißen Teppichboden, der die Begehbarkeit unmittelbar einladend nahelegt, und spannt keinen romantisierenden Baldachin und keine Wände. „Epoca 7“ ist ein faszinierendes Schauspiel als Kommentar zur Standardisierung kreativer Produktionsprozesse und gleichzeitig auch als eine Reaktion auf die kleinteilige Architektur einer derartigen Messe. Der damit geschaffene Raum korrespondiert mit den umliegenden Kojen der Galeristen und zieht diese gleichsam in eine sinnliche, emotionale Welt. Die Installation von Daniela Fetz und Selina Reiterer reagiert damit spezifisch auf die räumlichen und die institutionellen Gegebenheiten der Kunstmesse Art Bodensee.

Eine Kooperation mit der Lustenauer Galerie Hollenstein

Die Qualität dieser hochkomplexen Saurer Stickmaschine initiiert für die Künstlerinnen den konzeptiven Impuls, nicht alles der Maschine zu überlassen und Bewegungen sowie Veränderungen in eine immer stärker standardisierte Umgebung einzubringen. Im diagonal gesetzten Standort als großes Rechteck in der Halle 11 zeigen die beiden Künstlerinnen, was sie damit meinen. Von der Decke der Halle hängen dünne Metallseile, die Metallgestänge als festgezurrte Halterungen tragen, an denen in einem fröhlichen Farbenspiel geschwungen reale und Spannungsfelder des Dialogischen im übertragenen Sinn aufgebaut werden, die das Raumgefühl am Schauplatz der Präsentation durchlüften. Ausgehend von der digitalen High Performance der Maschine führen die analogen Fahnen in ihren changierenden Farben die Aufmerksamkeit zurück zum eigentlich Handwerklichen. Die Arbeit geht hervor aus einer Kooperation der Art Bodensee mit der Kuratorin der Galerie Hollenstein, Claudia Voit.

Das schwebende Nichts einer textilen Leichtigkeit

Die u.a. an der ETH Zürich beschäftigte Bregenzerin Selina Reiterer geht – wie auch Daniela Fetz – vom Textilen aus, experimentiert mit den Materialien in chemischen Reaktionsverfahren, entwickelt hochbegehrte Textilien, die u.a. auch für medizinische Zwecke Verwendung finden. An den zahlreichen Schnittstellen kooperiert sie mit Künstlerinnen und entwickelt wie in einem Inkubator, textile Techniken, die das traditionelle Milieu weit überschreiten. Künstlerisch gesehen bewegt sich die Installation auf der Art Bodensee um das Thema Geheimnis, das aus einer subtilen Dynamik der Intimität, dem Spiel von Enthüllen und Verhüllen, von Zeigen und Verbergen entsteht. Das wie auf einer Bauhaus Bühne schwebende Nichts einer textilen Leichtigkeit, eine an kurvigen Gestängen balancierende Tänzelei, nimmt ein Grundthema der Kleidung und Bekleidung auf, jenes jahrtausendealte kulturell divergente Spiel um die Schamhaftigkeit des Menschen. Besonders in der Gegenwart sind diese Fragen wieder sehr präsent geworden. Der Blick von außen formatiert die Passagen zwischen Privatheit und Öffentlichkeit zu einem Spiel um das Entborgene. Diesem Blick von außen gegenüber entwickeln wir ein korrespondierendes äußeres Selbst und definieren uns als Person über die soziale Maske, ein Vehikel der Konformität.

Ein leichtes Spiel des schönen Scheins

Die vom leichten Wind in der Halle bewegten Tücher inszenieren in ihren endlosen Variablen das Spiel, das die wesentlichen Fragen der Mode in einem Präludium in ein Panoptikum stellt, das wiederum sehr viel von Musik an sich hat. Für die Künstlerin Selina Reiterer ist diese textile raumbildende Skulptur die erste gemeinsame künstlerische Arbeit mit Daniela Fetz. Für beide bilden die sich daraus ergebenden synästhetischen Spielvarianten eine experimentelle Wundermaschine, in der die Bewegung jene Konstante abgibt, die die Betrachter in eine schaukelnde Bewegung in die Mitte des Alltags hinein mitnimmt. Ein leichtes Spiel des schönen Scheins. Die auf einer Epoca 7 gestickten transparenten und optisch-changierenden textilen Bahnen entsprechen inneren und äußeren Konditionalen, die sich in Schwebe halten. Somit wird die große Halle 11 mit ihrer fast ins Unendliche denk- und vorstellbaren Raumhöhe zu einem weiträumigen Laboratorium. Die scheinbaren Begrenzungen entstehen als imaginierte Denklinien, die sich im Wechselspiel zwischen den außen angrenzenden Kojen der Galeristen auf der Art Bodensee und den bedruckten und gestickten Fahnen ereignen. Sie sind nicht fixiert, vielmehr in choreographierter Balance und ständigem Umgang. Diese Bewegungen voller Poesie haben etwas an sich, dem der Philosoph und Soziologe Georg Simmel einen geläufigen Namen gibt: Das Geheimnis, „eine der größten Errungenschaften des Menschen“. Das Spiel der Spiele, jenes durch bestimmte „Mittel getragene Verbergen von Wirklichkeiten“. Man darf gespannt sein, wie die „EPOCA 7“-Tournee an anderen Standorten weitergeht und auch sich weiter entwickelt.

www.artbodensee.at

www.galerie-hollenstein.at