Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Karlheinz Pichler · 03. Sep 2019 · Ausstellung

Der ornamentale Sog "meterlanger" Panoramafotografien - "Panorama" im FLATZ-Museum

Panorama-Bilder, im Englischen allgemein als „ yard-long“ Fotos, also meterlange Fotografien bezeichnet, erlangten in den frühen 1900-er Jahren erstmals eine enorme Popularität und galten auch als "1. Weltkrieg-Wahnsinn". In den 1940-ern und 1950-ern stieg ihre Beliebtheit erneut an und behielt diese bis in die Gegenwart. Auch heute gibt es keine großen internationalen Wirtschafts- oder Politgipfel, Hochzeiten oder sonstigen Zusammenkünfte ohne das obligatorische Gruppenfoto. Im FLATZ-Museum sind derzeit außergewöhnliche Panorama-Bilder aus zwei prominenten Kollektionen, den Wiener Sammlungen Jelitzka und von Mayreck, zu sehen, die imposante Einblicke in US-“Yard-long Photographs“ geben, die zwischen 1910 und 1960 entstanden sind. Speziell daran ist auch, dass Michael Köhlmeier und Monika Helfer Einzelschicksale aus den Gruppenfotos herausgepickt und Geschichten dazu verfasst haben, die ebenfalls im FLATZ-Museum präsentiert werden.

Unter den gezeigten Panoramabildern befinden sich Kuriositäten, wie etwa Aufnahmen der über die Jahre stark schrumpfenden Gemeinde amerikanischer Maschinengewehrproduzenten, am Strand posierende Bikinischönheiten im Wettbewerb um die Miss USA 1946, ein großer Empfang vor dem Weißen Haus (1939) oder auch die „Breitseite“ des stolzen Ozeanriesen "Queen Elisabeth" (New York, 1949). Die im FLATZ Museum gezeigten Arbeiten sind nicht nur wichtige Zeitdokumente historisch-politischer Ereignisse. In ihnen spiegeln sich auch das Selbstverständnis, die Lebenswelten, die sozialen Unterschiede, Moden und Verhaltensweisen der fotografierten Menschen und Gruppen wider.     

Dialektik von Kollektiv und Individualität     


Der Sammler Daniel Jelitzka und Kurator Gerald Matt halten im ansprechenden Katalog, der anlässlich der Ausstellung erschienen ist, die besonderen Merkmale der Panorama-Fotografie fest: „Es ist die Dialektik von Kollektiv und Individualität, Ornament der Masse und individueller Ausstrahlung, Präsenz und Vergänglichkeit der festgehaltenen Szenen und Inszenierungen, die den 'Panoramas' ihre Aura und Anziehungskraft verleihen.“     

Laut Jelitzka und Matt gehörten Panoramabilder vor allem in den USA bis in die 1960-er Jahre zum Alltagsgeschäft von Photographen und Photoateliers, und der Großteil der Bilder wurde von Gebrauchsphotographen erstellt, die ihre Aufnahmen nicht mit ihrem Namen zeichneten, wodurch ihre Urheberschaft anonym blieb. „Heute sind die große Masse der Porträtierten und ihre Photographen vergessen. Geblieben sind Tausende uns entgegenblickende Menschen, deren Namen und Geschichten längst dem Vergessen anheim gefallen sind.“ (Jelitzka und Matt)     

Aus der Anonymität herausgerissen      


Interessant an den Panoramabildern ist auch, dass szenische Panoramas, wie etwa Naturaufnahmen, kaum je groß vermarktet werden konnten. Daher spezialisierten sich praktisch alle kommerziellen Panorama-Photographen auf die Abbildung großer Gruppen. Denn die Leute kauften in der Regel jene Aufnahmen, deren Bestandteil sie waren. Je mehr Leute also ins Bild gesetzt wurden, umso besser ließ sich das Panorama versilbern.      

Da heute kaum mehr nachvollzogen werden kann, wer die einzelnen Leute dieser Massenablichtungen sind, und um die Ausstellung um ein zusätzliches Spannungsmerkmal zu erweitern, haben die Ausstellungsverantwortlichen des FLATZ-Museums das Vorarlberger Schriftstellerpaar Monika Helfer und Michael Köhlmeier eingeladen, einzelne Schicksale aus diesen anonymen Massen herauszugreifen und Geschichten um diese herum zu stricken. Solche Geschichten um herausgepickte Einzelschicksale hängen als Textstücke neben dem jeweiligen Panorama. Beispielsweise heißt es zu einer Person, die auf dem Bild „The Patriotic Demonstration American Steel Foundries, 1918“ zu sehen ist: „T. Philipp Marcus – ganz rechts unten, allein stehend -, geb. 1885 in der kleinen Stadt Fayetteville im Washington County in Arkansas, ohne Vater aufgewachsen, Mutter stirbt, als er neun Jahre alt ist. Er zieht in den Südstaaten herum, schließt sich mit fünzehn einer Gang an, mehrere Gefängnisaufenthalte wegen Diebstahl. An der Demonstration, die auf der Photographie festgehalten ist, hat er nicht teilgenommen, er war zufällig dort. 1928 wird er bei einem Banküberfall erschossen. Er wurde 43 Jahre alt, hatte keine Angehörigen.“      

Zur Geschichte des Panoramas      


Das Wort Panorama stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „Allsicht“. Mit den Panoramabildern wollte man den Blick auf die Welt erweitern. Die Idee des Panoramas bestand bereits ab 20 n. Chr. in der Malerei, besonders in den Wandgemälden. Eine besondere Gewichtung erhielt das "Panorama" dann im späten 18. Jahrhundert durch den englischen Maler Robert Barker, der damit ein von ihm gebautes visuelles Medium beschrieb, das es ermöglichte, eines seiner Bilder auf einer zylindrischen Oberfläche zu zeigen und von innen zu betrachten. Eines der ersten aufgenommenen Patente für eine Panoramakamera wurde 1843 vom Österreicher Joseph Puchberger eingereicht. Ab da entwickelte sich die Panoramaaufnahme ständig weiter, wobei zunächst Panoramen mit silberbeschichteten Kupferplatten zu hochdetaillierten Bildern verarbeitet wurden. Die volle 360-Grad-Panoramafotografie, die den Betrachter in die Lage versetzt, jeden Teil eines Raumes nach oben oder unten, links oder rechts zu sehen, wurde erstmals 1857 bekannt, als eine um die eigene Achse rotierte Kamera patentiert wurde. Heute kann man auch mit Smartphones 360-Grad-Ansichten fotografieren.     

Lesung mit Monika Helfer und Michael Köhlmeier     


Die Ausstellung „Panorama“ im FLATZ Museum läuft noch bis 21. September. Das Finale wird bereits am Vorabend, nämlich am 20. September (19.00 Uhr) mit einer Lesung von Monika Helfer und Michael Köhlmeier eingeläutet. Das Schriftstellerpaar, das die „Stories“ zu Motiven der historischen Panoramaphotographien aus den Wiener Sammlungen geschrieben hat, liest aus noch unveröffentlichten Texten. So wird Köhlmeier Passagen aus seinen im Herbst 2019 bei Hanser erscheinendem „Märchen“ lesen, und Monika Helfer Textausschnitte aus ihrem im Frühjahr 2020 ebenfalls bei Hanser erscheinenden neuen Roman „Die Bagage“ präsentieren.     


Panorama
FLATZ Museum Dornbirn
Bis 21.9.
20.9., 19 Uhr: Lesung Michael Köhlmeier u. Monika Helfer
Fr 15 - 17, Sa 11 - 17 u.n.V.