Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Karlheinz Pichler · 30. Nov 2014 · Ausstellung

Bilder, in denen sich ganze Erzählungen abspielen - Jeff Wall im Kunsthaus Bregenz

Noch bis 11. Jänner läuft im Kunsthaus Bregenz die Ausstellung "Jeff Wall. Tableaux Pictures Photographs 1996-2013". Gezeigt werden 34 Werke des 1946 im kanadischen Vancouver geborenen Künstler Jeff Wall, in denen sich Bild, Objekt und Fotografie zu einer Einheit verbünden.

Jeff Wall gilt als ein Liebkind von Kunstkennern und Kunsthistorikern, denn in seinen Fotografien bricht sich die gesamte Kunstgeschichte. Vom Tafelbild und Schlachtenpanorama angefangen über das Stillleben bis hin zum klassischen Porträt. Das besondere an seinem Werk ist, dass es sich nicht von anderen Medien abgrenzt, sondern übergreifend wirkt, auch in Richtung Theater und Skulptur. Allerdings nimmt er Partei für die Fotografie gegenüber der Malerei und dem Film und wertet sie dadurch als künstlerisches Medium entsprechend auf. Die mit Anspielungen vollgespickten Fotografien des Kanadiers sind auch eine Art inszenierter Wirklichkeit. Seine Bilder wirken wie fotografische Momentaufnahmen unvorhersehbarer Ereignisse. Erzählt werden Geschichten von Menschen, Vororten, industrialisierten Landschaften oder Straßenszenen. Oft stecken hinter den situativen Arrangements auch persönliche Erlebnisse des Künstlers dahinter, die er mit zeitlichem Abstand rekonstruiert, neu zusammenstellt und technisch perfekt umsetzt. Zumeist steht der Mensch mit seinen Lebensbedingungen und seinem Handeln im Mittepunkt der von Jeff Wall umgesetzten Themen.

Erlesene Werke der letzten 17 Jahre


Die große Ausstellung, die das Kunsthaus Bregenz (KUB) nun dem Künstler aus Vancouver widmet, erstreckt sich zeitlich über die letzten 17 Jahre. Sie setzt bei den großen Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus der Mitte der 1990er-Jahre ein und reicht bis in die Werkphase der unmittelbaren Gegenwart hinein. Auch ganz neue Arbeiten sind zu sehen, die Jeff Wall eigens für diese gemeinsam mit dem Stedelijk Museum in Amsterdam und dem Louisiana Museum of Modern Art im dänischen Humlebæk erarbeitete Werkschau produziert hat. Die Arbeiten, die der Kanadier in Bregenz zeigt, repräsentieren sämtliche wichtigen und wiederkehrenden Themen und Techniken seines Schaffens. Beispielsweise ist eine schöne Auswahl seiner berühmten Leuchtkästen mit Objektcharakter. Laut KUB-Chef Yilmaz Dziewior  ist die Auseinandersetzung mit der jeweiligen Ausstellungsarchitektur für Wall bei der Erarbeitung einer Präsentation von gleicher Bedeutung wie der Dialog seiner Arbeiten untereinander. "So entstehen für Amsterdam, Bregenz und Humlebæk trotz der größtenteils gleichbleibenden Auswahl der Werke Ausstellungen mit jeweils anderen narrativen Strängen", erklärt Dziewior.

Für den KUB-Direktor besetzt Wall durch seine Art der Inszenierung, dem bewussten Einsatz von unterschiedlichen Größen und Formaten sowie dem einfühlsamen Umgang mit Farbe eine einmalige Position. „In seinen Aufnahmen hinterfragt er kritisch die traditionelle Ästhetik der Fotografie und entwickelt gleichzeitig eindrucksvolle Bilder oder ‚Tableaux’, in denen sich mitunter komplexe Geschichten komprimieren“, erläutert Yilmaz Dziewior.

Der Zufall als Kalkül


Jeff Wall, der unter anderem mit dem hochdotierten Roswitha-Haftmann-Preis ausgezeichnet wurde, studierte in Vancouver und in London Kunstgeschichte. In den 1970er-Jahren  wandte er sich voll der Fotografie zu, und heute amtet er auch als Professor an der Kunstakademie von Vancouver.

Die Arbeit des Kanadiers ähnelt in vielen Belangen jenen eines Theaterregisseurs. Gerade seine frühen Arbeiten erinnerten aufgrund der Unschärfen bei Hintergründen und Bewegungsabläufen sowie der Grobkörnigkeit des Bildes an Schnappschüsse. Dies war aber reines Kalkül. Tatsächlich war der vermeintliche Schnappschuss das Ergebnis exakter Inszenierung und ein vom Künstler beabsichtigter Effekt. Die Szenerien waren gestellt, Zufälle waren ausgeschlossen, die Details hindrapiert. Alles wirkte bühnenhaft, wie im Theater eben. Später wurde dieser Eindruck zusätzlich durch kürzeste Belichtungszeiten und extreme Tiefenschärfe, die jede Struktur und jede Materialität genau abbildet, verstärkt.

Erfundene Bilder


Bei all seinem Vorgehen macht sich der studierte Kunsthistoriker sein Wissen um Konstruktion und Ästhetik zunutze. Farben, Perspektive, Proportion und Komposition sind exakt geplant. Das Resultat sind Bilder, die von Wall vollkommen erfunden wurden. Fiktionen, die seiner unumschränkten Kontrolle unterliegen. "Es ist weder Wirklichkeit, noch Abbild der Wirklichkeit, sondern ein fotografisches Kunstwerk, auf dem sich ein Drama abspielt, ein Eindruck, der durch die gestellten requisitenhaften Objekte verstärkt wird. Die bewusste Komposition irritiert die Glaubwürdigkeit des fotografierten Bildes und rückt es somit näher an die Malerei heran. Jeff Wall versucht sein Werk als Gegenstück zur Malerei zu definieren, aber auch als etwas, was weder Malerei noch Fotografie ist.“ (Klinke, Harald: Jeff Wall. Inszenierte Photographie, 2000)

Bis zu zwei Jahren an einem Bild arbeiten


Der Künstler aus Vancouver ist ursprünglich vor allem mit Leuchtkästen bekannt geworden, die mit Großbild-Dias bestückt waren. Eine Zeit lang hat er damit aufgehört. Jeff Wall in einem Spiegel-Interview: „Einstweilen. Nicht für immer. Ich fand es ermüdend, dass sie sich so ähnlich waren. Dazu habe ich in den neunziger Jahren angefangen, Schwarzweißfotos zu machen und zu drucken. Und die Tintenstrahl-Printer wurden so gut, dass ich jetzt auch großformatige, farbige Drucke mache.“ Seine älteren Fotografien sahen im Vergleich zu heute dramatischer und manieristischer aus, dafür wirken die neueren naturalistischer und dokumentarischer. „Ich würde gern wieder eine sehr artifizielle Arbeit machen, wenn der richtige Einfall kommt“, sagt der Künstler.

Jeff Wall arbeitet bis zu zwei Jahren an einem Bild. Jedes Foto wird bis aufs Kleinste vorbereitet, jedes Detail vorher bestimmt. Auf allen Fotografien geschieht etwas, und sie lassen im Kopf des Betrachters Geschichten entstehen.  Wie der Kanadier betont, werden die narrativen Elemente in den Bildern vom Betrachter beigetragen, nicht vom "Regisseur" oder vom "Drehbuchautor". "In dem Augenblick der ästhetischen Erfahrung, der ästhetischen Würdigung des Bilds schreibt der Betrachter das Szenario, er oder sie liest es nicht. Das Schreiben findet augenblicklich statt, in der Schnelligkeit, mit der ein Betrachter am Bild Gefallen findet und auf dessen Qualitäten reagiert", konstatiert Wall in einem Interview mit KUB-Chef Dziewior. Und er will auch nicht, dass seine Fotografie als reine Erinnerungsbilder identifiziert werden. Jeff Wall: "Mir wäre es recht, wenn meine Bilder sich stets so anfühlten, als seien sie gegenwärtig und nicht eine Geste, die auf einen vergangenen Augenblick deutet."

Wer noch nie eine Ausstellung zu Jeff Wall gesehen hat, für den bietet die KUB-Schau einen feinen Einstieg, gibt sie doch einen umfassenden Überblick über das Vorgehen und die Methodiken des Kanadiers. Abgesehen davon, dass seine Werke in der Fotografiegeschichte längst eine bedeutende Rolle einnehmen. Aber auch für Wall-Kenner bietet die Ausstellung einiges. Beispielsweise sind die leinwandgroßen Schwarz-Weiß-Aufnahmen Walls kaum je in einem solch übergreifenden Zusammenhang gezeigt worden, wie jetzt im KUB.

Jeff Walls KUB-Billboards


Parallel zur Personalen im KUB bespielt Jeff Wall auch die sechs KUB-Billboards, die entlang der Bregenzer Seestraße aufgestellt sind. Der kanadische Künstler hat dafür Details aus einigen seiner "Tableaux Pictures Photographs", die zwischen 1996 und 2013 entstanden sind, auf drei mal drei Meter vergrößert. Bei den Ausschnitten wie etwa aus "Summer Afternoons“ (2013) oder "Knife throw“ (2008) handelt es sich um die Köpfe der Protagonisten. Also um Frauen und Männer, die auf seinen Tableaux als kleine Figuren in den komplex arrangierten Kompositionen weniger als Individuen, sondern als Typen wahrgenommen werden. "Als Ausschnitt und in der extremen Vergrößerung werden diese nun zu ‚Porträts’ und werfen einen neuen und überraschenden Blick auf die Individualität der Darstellerinnen und Darsteller“, so Noch-Kunsthausdirektor Dziewior.

 

Jeff Wall:
Tableaux Pictures Photographs 1996 – 2013

Kunsthaus Bregenz
Bis 11.1.2015
Di-So 10-18, Do 10-21
www.kunsthaus-bregenz.at

Jeff Wall: KUB-Billboards
Seestraße Bregenz
6.10.2014-11.1.2015