"Rickerl – Musik is höchstens a Hobby" derzeit in den Vorarlberger Kinos (Foto: 2010 Entertainment / Giganten Film)
Karlheinz Pichler · 27. Mai 2021 · Ausstellung

An Filmstreifen orientierte Bildstrukturen - Drago Persic in der Bludenzer Galerie allerArt

Mit fünf neuen, großformatigen Arbeiten, in denen sich die Ideen und Notizen, die über viele Jahre hinweg entstanden sind, malerisch verdichten, präsentiert sich derzeit Drago Persic in der Galerie allerArt. Nach Ausflügen in die Welt der Farben kehrt der Künstler damit wieder in das von ihm immer wieder neue ausgelotete Metier der Schwarz-, Weiß-, und Grautöne zurück. Mit bewährter handwerklicher Meisterschaft und fotorealistischer Manier präsentiert er die Motive wie auf Filmstreifen aneinandergereiht.

Bekannt geworden ist der 1981 in Banja Luka (Bosnien und Herzegowina) geborene und in Vorarlberg aufgewachsene konzeptuell-minimalistische Maler Drago Persic vor allem mit extrem präzis in Grisaille-Technik gemalten, also in Grau-, Weiß- und Schwarztönen ausgeführten Bildern bekannt geworden. Trotz gelegentlicher Ausritte in die Farbwelt ist die Konzentration auf Schwarzweiß bei ihm immer zentral geblieben, um die Bildidee durch die Ausblendung ablenkender Farbigkeit im Mittelpunkt zu halten. In seinen Werken paare sich handwerkliche Meisterschaft mit formaler Experimentierlust und intellektueller Stärke, hieß es in der Jury-Begründung, als Persic vor zwei Jahren der Vorarlberger Kulturpreis verliehen wurde. Mit Drago Persic fügt Kurator Manfred Egender dem Schwerpunkt Malerei in der Galerie allerArt in Bludenz jetzt eine Position hinzu, in der sich die ganze Geschichte der Malerei in einer neuen Form verdichtet.      

Ideen- und Bildarchiv als Ausgangspunkt

Motivischer Ausgangspunkt seiner oft bühnenhaft anmutenden Bildgestaltungen ist sein umfangreiches Foto- und Bildarchiv. Häufig sind es simple Gegenstände wie Stühle, Lampen, Kleiderstücke und leere Bilderrahmen aber auch Körperfragmente, die Persic mit enormer malerischer Konzentration auf die Leinwand zoomt. Mit Hilfe von Spezialeffekten und Techniken, die er sich von Film, Video und Fotografie entlehnt, entstehen trotz der fotorealistischen Umsetzung mit Farbe, Licht und Schatten geheimnisvolle, illusionistische Inszenierungen. Die Bilder wirken oft wie bildhafte Requisiten einer Aufführung, die erst noch stattfinden muss.
Persic unterläuft mit seinen Transferstrategien, mit denen er die Bruchstellen zwischen Malerei, Fotografie, Film und Skulptur abzirkelt, auch die Zeit. Seine Arbeiten wirken genauso altermeisterlich wie modern. Elemente der Klassik werden darin genauso rezipiert wie die Bildkultur respektive Bildersucht der Internet- und Postinternet-Generationen.      

Bezug auf filmische Konventionen      

Die fünf Arbeiten, die Persic in der Galerie allerArt zeigt, sind alle brandneu und resultieren gleichsam aus einer Art Abarbeitung von Notizen, Bildideen, Plänen, Skizzen und Studien des Künstlers, bei denen er sich auf filmische Konventionen bezieht. Von der Bildstruktur her erinnert der Aufbau der neuen Gemälde denn auch konkret an Filmstreifen oder an Comp Cards, also an Bewerbungskarteien, wie man sie etwa von Model-Agenturen her kennt. Unter anderem drängen sich Analogien zum mehrfachen Documenta-Teilnehmer Paul Sharits auf, der, vom Experimentalfilm kommend, in den 1960er Jahren Filmstreifen (Frozen Film Frames) gemalt hat. Zu jedem Motiv hat Drago Persic unzählige Varianten, Ausschnitte und Möglichkeiten entwickelt, die vor dem Auge des Betrachters den Bildträger durchlaufen.
Dabei haben die einzelnen schwarz-weiß-grauen Bildtafeln durchgängig die gleichen rechteckigen Formate (200x150/155cm) sowie die gleiche Technik (Öl, Acryl, Gouache). Formal unterscheiden sich die Gemälde durch die Anzahl vertikal verlaufender Streifen und der seriellen Sequenzierung der mit kulturellen Images gefüllten oder auch leer gebliebenen Einzelkader.
In einem Begleittext, der zur Ausstellung aufliegt, unterzieht die freie Kuratorin und Kunstkritikerin Goschka Gawlik die fünf neuen Arbeiten von Persic einer eingehenden Analyse. Über die Bildtafel „balls, ballons and a start-up“, die aus ihrer Sicht am dichtesten von angeeigneten Sujets gespeist wird, ist etwa zu lesen: „Neben Modalitäten des Sichtbaren wird hier beiläufig auch nach Knotenpunkten der kapitalistischen Körperpolitik zeitgeschichtlich gescoutet. In der Folge kombiniert der Künstler das Abbild von drei Luftballons und jungen Start-up-Gründern mit sich fast monoton wiederholenden Filmszenen aus Pasolinis 'II Decameron' (1971) sowie Agnès Vardas frühem Kurzfilm 'L'Opéra-Mouffe' (1958). In Vardas Film tritt eine Schwangere als Ballon-Frau auf (sie ist in Persics Bild nicht zu sehen) und auf dem Standbild des 'Il Decamerons', den Begattungsakt abbildend, lassen sich Hoden erkennen. Zur Klärung eines solchen an Motiven ausschweifenden ‚Bildatlas‘ eignet sich der Begriff 'preposterous history' (Mieke Bal) d.h., dass für eine Erzählung voller Querverbindungen zwischen ambitionierter Geschäftigkeit und erotischer Lust, wie wir ihr hier begegnen, verschiedene Vor- und Nachgeschichten inszeniert werden, weil sich die aufgeworfenen Fragestellungen nicht in einem einzigen Kontext unterbringen lassen. Als klassisches Beispiel solcher 'preposterous history' gilt Matthew Barneys fünfteiliges monumentales filmisches Meisterwerk 'The Cremaster-Cycle', das nicht zufällig auch einen Hodenmuskel zum Hebel der westlichen Zivilisation apostrophiert. Die Frage, die sich hier und dort stellt, ist, ob sich die Rezipient*innen in die Ideen, welche in den durch den Künstler subjektiv zusammengestellten Bildmotiven zirkulieren, vertiefen oder lieber nur ihrer visuellen op-artigen Halluzination wie beim Filmschauen erliegen sollen.“
Beim Titel der Ausstellung, „Unschuldige Zauberer“, handelt es sich übrigens um einen Rückgriff auf die Ära des Kalten Krieges und den gleichnamigen Film noir von Andrzej Wajda („Niewinni czarodzieje“,1960). Gawlik: „Der polnische Regisseur entlehnte wie Drago Persic im Sinne der Pathosformeln wiederum selbstbewusst seinen Filmtitel dem Nationaldrama 'Dziady' (1822 von Adam Mickiewicz), um anschließend an die eigene Zeitdiagnose über die Wahrnehmung des zunehmend entsolidarisierten, existentialistischen Individuums zu gelangen.“
Mit seiner Art, den eigenen Motiv- und Ideenkosmos in extremen Hell-Dunkelkontrasten, in denen das Rußschwarz einem Titanweiß begegnet, akribisch genau in Malerei zu übersetzen, übt Persic auf den Betrachter eine nahezu hypnotische Anziehungskraft aus. In diesem dramaturgischen Wechselspiel, in dem der Bildraum zur Bühne wächst, wird der Ausstellungstitel „Unschuldige Zauberer“ ebenfalls greifbar.

Drago Persic: Unschuldige Zauberer
Galerie allerArt, Am Raiffeisenplatz 1, A-6700 Bludenz
Bis 14.6.2021
Mi-So, Fe 15-18
www.allerart-bludenz.at