Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Michael Löbl · 19. Nov 2022 · Aktuell

Vieles neu und alles gut – Programmpräsentation Bregenzer Festspiele 2023

So viele gute Nachrichten auf einmal ist man schon gar nicht mehr gewohnt in Zeiten wie diesen. Bei der Präsentation des Jahresprogrammes durch (von links nach rechts auf der Festspielhausbühne) Pressesprecher Axel Renner, Regisseur Andreas Homoki, Intendantin Elisabeth Sobotka, Präsident Hans-Peter Metzler und Finanzchef Michael Diem gab es zahlreiche Superlative und einige tiefgreifende Neuerungen zu bestaunen.

Die für alle wahrscheinlich sichtbarste Neuerung wird die komplette Neugestaltung des Publikumsbereiches der Seebühne sein. Alle Reihen werden neu angeordnet, es gibt mehr Beinfreiheit, die Aufgänge werden barrierefrei und die Zahl der Rollstuhlplätze drastisch erhöht. Michael Diem: „All diese Maßnahmen ergeben zusammen ein Minus von 200 Sitzplätzen, das tut ein bisschen weh." Über eine ganze Festspielsaison gerechnet ist das fast eine komplette Seebühnenaufführung. Und ein neuer Sponsor wurde präsentiert: METRO ist ab 2023 mit im Boot.
Die Bewerbungsfrist für die Nachfolge von Elisabeth Sobotka ist abgelaufen, derzeit gibt es 22 Bewerbungen. Hans-Peter Metzler: „Es sind – diese Frage wird leider immer als erstes gestellt – 15 Männer und 7 Frauen. Wir werden jetzt eine Vorauswahl treffen und ich bin zuversichtlich, dass wir zu Jahresbeginn zu einem Ergebnis kommen und die Kandidaten zu Hearings einladen können".
Im Mittelpunkt der Festspiele 2023 stehen sechs Musiktheaterproduktionen: Seebühne, Hausoper, Opernstudio im Kornmarkt, zwei zeitgenössische Werke auf der Werkstattbühne und – neu! – eine Zauberflöte für Kinder im Festspielhaus.

Kaum Änderungen

Andreas Homokis Inszenierung von Giacomo Puccinis Madame Butterfly auf dem See 2022 hat scheinbar das unmögliche geschafft. Ohne großes Spektakel, alleine durch eine durchdachte und berührende Personenregie, hat sie sowohl das Publikum als auch die internationale Presse in ihren Bann gezogen. Auslastung, Kartenvorverkauf, Kritiken – die Maßeinheit für Madame Butterfly ist ausschließlich der Superlativ. Viel wird sich laut Andreas Homoki gegenüber dem Vorjahr nicht ändern, eventuell gibt es noch zwei kleine Kürzungen und von den letztjährigen drei Hauptrollen-Teams Butterfly/Pinkerton/Suzuki wird im kommenden Jahr eines komplett neu besetzt.
Giuseppe Verdis „Ernani" wird 2023 die Oper im Haus sein. Nach den doch eher exotischen Bühnenwerken Hamlet, Nero oder Sibirien nun wieder ein früher Verdi, der wegen seiner abstrusen Handlung nicht ganz so oft auf den Spielplänen zu finden ist wie „Rigoletto“, „La Traviata“ oder „Aida“. An der Musik liegt es auf keinen Fall, das ist praller Verdi mit allem was dazugehört. Elisabeth Sobotka: „Der Mann, der mich auf dieses Stück aufmerksam gemacht hat, ist gerade 80 Jahre alt geworden, Werner Herzog. Sein berühmter Film „Fitzcarraldo" beginnt mit der Schlussszene aus „Ernani“; ich war sofort überwältigt von der melodischen und dramatischen Kraft dieser Szene. Seither verfolgt mich dieses Stück und jetzt war der richtige Zeitpunkt, um das in die Tat umzusetzen." Die Inszenierung hat man Lotte de Beer anvertraut. Sie ist seit dieser Saison neue Direktorin an der Wiener Volksoper und hat bereits 2017 Rossinis „Moses in Ägypten" bei den Festspielen, mit sehr unterschiedlichen Reaktionen, inszeniert. Enrique Mazzola, inzwischen Conductor-in-residence, scheint ein Arbeitstier zu sein, warum sonst würde er sich beide Eröffnungspremieren am See und im Haus aufhalsen? Das ist zwar ungewöhnlich, gab es aber vor ein paar Jahren schon einmal und hat scheinbar funktioniert.
Die dritte nicht zeitgenössische Musiktheaterproduktion ist das Opernstudio im Theater am Kornmarkt, bei dem junge Sänger:innen am Beginn ihrer Karriere ein großes Bühnenwerk erarbeiten. Nach Mozart, Rossini und Haydn fiel die Wahl diesmal auf Jules Massenets „Werther"– eine große romantische Oper mit entsprechender Orchesterbesetzung. Die Sänger:innen arbeiten bereits im Frühjahr in der Meisterklasse mit Brigitte Fassbaender, am 7. März kann auch die Öffentlichkeit einen Einblick in diese Arbeit nehmen.

Zeitgenössisches in der Werkstattbühne

Die beiden Produktionen zeitgenössischer Musik sind nicht ganz so einfach zu erklären. In „The Faggots and their Friends between Revolutions" geht es um ein Kultbuch der queeren Community, auf dessen Basis eine neue Sicht der Weltgeschichte musiktheatralisch präsentiert wird. Das klingt schon einmal nach unterhaltsam-respektlosem Humor.
Das zweite Projekt auf der Werkstattbühne, „Die Judith von Shimoda", ist eine Uraufführung einer Oper des argentinischen Komponisten Fabian Panisello. Bertold Brecht hat einen japanischen Text bearbeitet und diese Bearbeitung bildet die Grundlage zu dieser Oper. Der Text hat verblüffende Ähnlichkeit mit dem Butterfly-Stoff; die Produktion ist eine erneute Zusammenarbeit mit der Neuen Oper Wien und ihrem Leiter Walter Kobéra.
Für beide Produktionen gilt: da sind absolute Könner am Werk, auch wenn die Namen beim breiten Publikum noch nicht so bekannt sein dürften. Das Leading team von „Faggots" Ted Huffmann (Libretto und Regie), Philip Venables (Komposition) und die Musikalische Leiterin Yshani Perinpanayagam sind nicht nur in der englischsprachigen Musikwelt sehr aktiv. Huffmanns letzte Inszenierungen in London, Zürich, Brüssel und Aix-en-Provence haben namhafte Preise gewonnen und der englische Komponist Philip Venables hat zwei wirklich erfolgreiche Opern geschrieben – die Zeitschrift Musical America sprach von einem "eindringlichen Triumph". Fabian Panisello, der Komponist von "Judith", hat u. a. in Salzburg studiert und ist Professor für Komposition in Madrid und Peking.  

Konzerte, Sprechtheater, Jugendprogramm

Aber auch das Nicht-Musiktheater Programm kann sich sehen lassen: Ein Gastspiel des Burgtheaters am Osterwochenende mit Ferdinand Raimunds „Die gefesselte Phantasie" (Regie Herbert Fritsch) und Heinrich von Kleists Komödie „Der zerbrochene Krug" mit Ulrich Matthes in einer Produktion des Deutschen Theaters Berlin Ende Juli im Kornmarkttheater sind die Highlights im Sprechtheaterbereich.
Dirigenten der Orchesterkonzerte werden Omer Meir Wellber, Dirk Kaftan und Marie Jacquot (Wiener Symphoniker) sowie Leo McFall (Symphonieorchester Vorarlberg) sein, Solisten u. a. der Cellist Kian Soltani, der Geiger Benjamin Schmid und die Sopranistin Marlis Petersen.
Franz Schuberts Schöne Müllerin kann man in einer Neuinterpretation durch Florian Boesch, der Musicbanda Franui und dem Puppenspieler Nikolaus Habjan erleben, das südafrikanische Bochabela String Orchestra wird gemeinsam mit dem Landesjugendchor Voices Mozarts Requiem mit südafrikanischen Beerdigungsgesängen kombinieren.
Das weitere Programm bietet Kammerkonzerte, das bereits traditionelle Blechbläsercamp, die Reihe Musik & Poesie unter anderem mit Michael Köhlmeier und noch einiges mehr.
Das Jugendprogramm wurde unter dem Titel Junge Festspiele zusammengefasst; neu darin ist eine Zauberflöte für Kinder im Festspielhaus Ende Mai unter Einbeziehung von Vorarlberger Schulen.
Kann es sein, dass die Bregenzer Festspiele dem Zeitgeist huldigen und ihr Programm deutlich in Richtung Gender/LGBT/feministisch einfärben? Bei Kleists „Der Zerbrochene Krug", steht jetzt „die Dreistigkeit, mit der vom Patriarchat Macht ausgeübt wird" im Mittelpunkt. Der Gerichtsrat Walter ist nun eine Gerichtsrätin. In der Pressekonferenz bezichtigt die Intendantin den Dorfrichter Adam gar der Vergewaltigung. „The Faggots" macht genau das zum Thema, ist aber Gott sei Dank eine amerikanisch-britisch dominierte Produktion mit der Chance auf einen parodistisch-geschmacklosen Abend. Das Motto der Orchesterkonzerte ist „Annäherung – Anverwandlung – Aneignung". Ah ja, die Regisseurin der Oper Werther „eröffnet dem Publikum eine weibliche Perspektive auf den männlichen Subjektivismus". Und es gäbe noch weitere Beispiele ...

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