Konzert der Stella Sinfonietta unter der Leitung von Benjamin Lack (Foto: Victor Marin)
Peter Niedermair · 23. Apr 2015 · Aktuell

Tage der Utopie 2015: Niels Pfläging - Das Ende des Managements - Wenn alle führen, alle verantworten

Niels Pfläging, Unternehmer, Beeinflusser und Autor u.a. von „Führen mit flexiblen Zielen“ und ausgezeichnet mit dem Wirtschaftsbuchpreis 2006 der Financial Times, ist der Meinung, dass die Welt- und Menschenbilder, die unserer Wirtschaft zugrunde liegen, nicht mehr auf der Höhe der Zeit sind und ein neuer Kodex für Führung nur auf Handlungsfreiheit, Selbstverantwortung, Teilhabe und Ergebniskultur basieren könne. Wissenschaftstheoretisch bezieht er sich auf die Systemtheorie kommunikativen Handelns, wie wir sie von Niklas Luhmann kennen. Luhmanns Axiome der Systemtheorie gründen auf Konzepten der Selbstreferenz, der Autopoiesie und der Differenz, entlang derer die Voraussetzungen für Soziales entstehen. Soziale Systeme entstehen durch Kommunikation. Weitere wichtige Forschungsbereiche, aus denen Pfläging seine Erkenntnisse generiert, sind die moderne Hirnforschung, wie sie in diesem Land schon mehrfach von Protagonisten wie Bauer, Spitzer und anderen präsentiert wurde.

„Verantwortung und Gemeinsamkeit“

Anhand zahlreicher Beispiele hat der leidenschaftlich, in ständiger Interaktion mit dem Publikum interagierende Niels Pfläging mit den praktischen Theorien, vor allem auf deren historischer Folie, ein hochinteressantes Organisationsmodell vorgestellt. Er zeigt auf, übrigens sehr plausibel und gut argumentiert auch auf den Nebenschauplätzen, welche Änderungen bei Einzelnen wie auch ganzen Unternehmen sich einstellen, wenn Freiheit, Verantwortung und Gemeinsamkeit praktiziert werden. Pfläging, wenn man so will, ist der Antipode zu Fredmund Malik, vgl. Vorarlberger Nachrichten vom 23. 4. 2015, heute, im Marktteil D1 - indem er mit der These operiert, dass Menschen und Märkte gar nicht „gemanagt“ werden können. Sein Credo für einen Kodex der Führung heißt: Handlungsfreiheit, Selbstverantwortung, Teilhabe und Ergebniskultur sind nicht mehr die Ausnahme, sondern Gesetz, und setzen sich mehr und mehr durch. Organisationen können allenthalben auf diese Weise schnell, anpassungsfähig und überdurchschnittlich leistungsfähig werden, wenn sie sich vom „Management“, einer der maßgeblichen Sozialtechnologien abwenden.

Arbeit an den Zwischenräumen

„Management ist eine Optimierungsideologie, deren einziges und erklärtes Ziel die Steigerung von Effizienz ist.“ Einer der maßgeblichen „Effizienzfanatiker“ war Ingenieur Frederick Winslow Taylor, dem das Verdienst gebührt, Management als Sozialtechnologie zur Organisation kollektiver Wertschöpfung im Industriezeitalter konzeptionell verortet zu haben. In seinen 1911 erschienenen „Principles of Scientific Management“ beschreibt er die Grundlagen des Taylorismus, der eine durchschlagende Verbreitung fand. In der vertiefenden Auseinandersetzung mit den Schriften des Wirtschafts-Superstars Taylor wird bald auch nachvollziehbar, dass die heutige Krise der Unternehmungsführung als Systempraxis ziemlich in der Krise steckt. Das Kernprinzip des tayloristischen Prinzips ist die strikte Trennung zwischen Denkenden und Handelnden. Eine der bekanntesten kritischen Stimmen zum Taylorismus ist Charles Chaplins Film „Modern Times“.

„Modern Times“

In diesem macht sich Chaplin über die Entfremdung des Arbeiters im Industriezeitalter von seiner Arbeit lustig und stellt diesen als eigentlich dummes Rädchen in der Maschine dar. Mit u.a. diesem Filmwerk wurde ein Stück weit die Einsicht produziert, welch große Inhumanität tayloristisches Management und dessen Unvereinbarkeit mit den Idealen der Aufklärung und der aufkommenden demokratischen Bewegung existierte. Mary Parker Follett, eine Zeitgenossin Taylors, forderte, dass Wertschöpfung viel stärker aus Teamstrukturen hervorgehen müsse und plädierte für eine hierarchiefreie Arbeitsorganisation (vgl. Niels Pfläging: Kaputtoptimieren und Totverbessern. Eine kurze Geschichte des Managements als Scharlatanerie, in: Tage der Utopie 2015, hrsg. von Hans-Joachim Gögl und Josef Kittinger, S. 42-71) Parker, die Philosophin des Antitaylorismus, betonte auch, dass die Organisation als Platz zwischen den Menschen existiere, d.h. die Frage der Führung spielt sich immer in den Zwischenräumen von Menschen ab, als in einem komplexen, lebendigen System. Ähnlich auch Kurt Levin, der in Berlin Sozialpsychologie forschte und lehrte; er macht ein neues Feld der Organisationswissenschaften auf und plädierte schon sehr früh für eine radikale Dezentralisierung in die Peripherien.

Pfirsiche und Pyramiden

Vom traditionellen Pyramiden-Denken weg zeichnet Pfläging die Geschichte hin zu einer Unternehmenskultur, die er unter dem symbolhaft-metaphorischen Begriff des Pfirsichs fasst. Systeme seien lebendig, zielten integriert auf die Arbeit an der Arbeit und erfolge Team-basiert. Ausgehend auch von der Überlegung „The business of business is people“ verweist der Referent - rhetorisch wie Geier Sturzflug - auf eine Reihe von Firmen, die sich gewandelt haben, Firmen, in denen Führung Arbeit zwischen den Menschen ist, und betont die Bedeutung des lebendigen Gedächtnisses der Organisation. Viele dieser Betriebe sind bekannt, alle werden sie aufgezählt und im oben genannten Band kurz beschrieben. „Pfirsich“ bedeutet letzten Endes Dezentralisierung, Verlagerung der Entscheidungsprozesse hinaus aus den Zentren an die Peripherien.

Wu Wei – Die Sprache der Musik

Zukunftsmusik kombiniert mit Zukunftsbildern gehört seit 2003 zur wesentlichen Grundausstattung der Arbogaster Tage der Utopie. Wu Wei ist derzeit „artist in residence“. Die Veranstalter haben ihn eingeladen, für jeden Abend jeweils zwei Stücke zu komponieren und selbst zur Uraufführung zu bringen. Während der Woche werden alle für das Festival geschaffenen Stücke eingespielt, die parallel zur Buchreihe als CD publiziert werden. Musik wird in diesem Zusammenhang wie eine Sprache gesehen, die im Augenblick des hic et nunc das Zukünftige in die naheliegende Gegenwart holt. Wu Wei ist ein Virtuose unter den chinesischen Sheng-Spielern. Die Sheng, sein Instrument, ist aus der chinesischen Mundorgel heraus entwickelt und zählt zu den ältesten chinesischen Musikinstrumenten überhaupt. Eine Bekannte hat mich heute angerufen und gefragt,  was denn das für ein Instrument sei, mit dem sie den Künstler auf dem Foto auf der Homepage der Kulturzeitschrift sieht. Die Sheng besteht aus 30 Bambuspfeifen, die in einem kleinen Metalltopf stecken.

Wu Wei ist Mitglied des Asian Art Ensemble und damit auch in der Neue Musik-Szene zu Hause. Es gibt zahlreiche CD Einspielungen, auf denen seine Virtuosität aufblitzt. Konzertreisen durch Japan, die USA und Europa haben ihm den Zugang zu außerchinesischen Musiktraditionen geöffnet. Er spielt Free Jazz, freie Improvisationen ebenso wie traditionelle chinesische Musik. Seine bisherigen Auftritte an den ersten beiden Abenden machen neugierig, was er als nächstes spielt. Ich liebe diese Ruhe vor seinem Spiel, diese Stille, die in der Luft liegt. Als Zuhörer fühlt man sich im Zustand neugieriger Erwartung. Ein Freund, der die meisten seit 2003 stattfindenden Tage der Utopie besucht hat und gestern Abend vor mir saß, meinte, die Sheng-Töne, die Wu Wei aus seinem Instrument hervorzaubert, seien musikalisch gesehen utopische Statements.

In der bisherigen Utopie-Edition sind erschienen: Peter Madsen, Solo-Piano; Carol Robinson, Klarinette, Peter Madsen/Mario Pavone, Piano/Bass; Garth Knox/Magali Imbert, Viola/Flöten; Sylvie Courvoisier/Mark Feldman, Piano/Geige; Frances-Narie Uitti, Solo-Cello; Pascal Contet, Solo-Akkordeon. Neu hinzu kommt „utopia 15, Wu Wei.

Ein buntes Mosaik

Ein Generalthema gibt es auch bei den diesjährigen Tagen der Utopie nicht, vielmehr handelt es sich traditionell um ein buntes Mosaik experimenteller Baustellen. „Was als ‚Roter Faden‘ des heurigen Programms fungieren könnte, ist die Tatsache, dass heute eine Forschergeneration an der Arbeit ist, die traditionelle Dogmen und Abwertungen des Wissenschaftsbetriebs neugierig durchbricht und Begriffe wie Präsenz, Mitgefühl oder Stille – jahrhundertealte mystische Kompetenz und Praxis – mittlerweile zum Gegenstand globaler Spitzenforschung am MIT oder am Max-Planck-Institut geworden sind“, erklären die Kuratoren Hans-Joachim Gögl und Josef Kittinger.