Uraufführung des Stückes „Stromberger oder Bilder von allem“ im Vorarlberger Landestheater (Foto: Anja Köhler)
Manuela Schwaerzler · 22. Apr 2020 · Aktuell

„Mit dem Publikum steht und fällt Zweck und Sinn einer Kulturinitiative“ – Interview mit Sabine Benzer (Theater am Saumarkt)

Da die gesamte Kunst- und Kulturszene auch weiterhin von der Corona-Krise überschattet wird, beinhaltet unsere Mai-Ausgabe einen umfangreichen Schwerpunkt dazu. Artikel, Interviews und Statements auf rund 20 Seiten lassen die Verantwortlichen zu Wort kommen und geben Einblick in die Situation der einzelnen Sparten. Dabei werden etliche Gemeinsamkeiten sichtbar, aber auch Unterschiede. Auf unsere Nachfrage bei den Kulturveranstaltern, wie sie die Situation meistern, hat uns Sabine Benzer, Geschäftsführerin des Theaters am Saumarkt, ausführlich geantwortet. Wir möchten Ihnen dieses Interview, das in der Print-Ausgabe nur in kleinen Teilen Platz gefunden hat, nicht vorenthalten:

Manuela Schwärzler: Wie geht es Euch? Arbeitet Ihr in Homeoffice oder in Kurzarbeit? Wie ist die Stimmung im Team?
Sabine Benzer: Wir sehen die Aufgabe des Saumarkts als Kulturvermittler in der Region: KuratorInnen programmieren inspirierende, zeitgenössische Kulturerlebnisse von Lesungen über Konzerte bis zu Ausstellungen, Kulturschaffende zeigen ihre aktuellen Projekte und Produktionen, kulturinteressierte Menschen, die Lust auf Kulturarbeit haben, engagieren sich hier, Schulen und Kindergärten der Umgebung proben und führen ihre Stücke bei uns auf und nicht zuletzt unsere Saumarkt TheaterKinder und unsere SeniorInnentheatergruppe, die während des Jahres proben und dann jeweils ihre aktuellen Theaterstücke im Saumarkt präsentieren.
Die wesentlichste Phase all dieser Aktivitäten, die Begegnung mit dem Publikum, ist derzeit nicht möglich. Das fühlt sich für uns alle schon beelendend an. Aber diese Situation ist für alle Kulturinitiativen dieselbe.
Die Entwicklung von Ideen für zukünftige Projekte, die Erstellung von Konzepten, die Suche nach spannenden KooperationspartnerInnen, das Andenken und Ausprobieren neuer (digitaler) Wege der Vermittlung, das alles kann diese Krise aber nicht verhindern … Und was ebenfalls positiv ist: Es steht uns derzeit mehr Zeit zur Verfügung, sich Inspirationen zu holen, sich mit Themen intensiver zu beschäftigen, zu recherchieren und zu lesen …
Die KuratorInnen und die Programmgruppen arbeiten zuhause, unsere Techniker sind ab und zu einzeln im Saumarktsaal, um Sachen zu reparieren, Kabel zu verlegen, neue Technikbestandteile einzurichten oder zu adaptieren. Meine KollegInnen an der Bar haben auch schon jeweils einzeln, die Zeit genützt, Keller oder Bar auszumisten, zuhause neue Getränkekarten zu gestalten usw. Und ich arbeite im Saumarkt-Büro, wo ich derzeit ebenfalls ganz alleine sitze, wo sich aber die ganzen Unterlagen zum Beispiel für die Subventionsabrechnungen befinden und ich gut erreichbar bin, wenn Kulturschaffende wegen Verschiebungen anrufen oder Leute ihre Karten zurückgeben wollen.

„Vieles ist jetzt umsonst gewesen“

Schwärzler: Wie viele Veranstaltungen sind bei Euch betroffen? Und wie seid Ihr damit umgegangen, habt Ihr abgesagt, verschoben oder neu konzipiert?
Benzer: Alle unsere Veranstaltungen sind davon betroffen, im Saumarkt selbst und auch das TaSKino im Kino Rio. Gleich nach dem Veranstaltungsverbot im März haben wir damit begonnen, die Veranstaltungen zu verschieben, zum Teil in den Mai und in den Juni, zum Teil in den Herbst, der jetzt sehr voll ist, zum Teil schon auf 2021. Wir haben überlegt, auch den Juli, ein Monat, in dem wir eigentlich sonst schon Sommerpause haben, zu bespielen, und planen derzeit Outdoor-Veranstaltungen am Mühletorplatz wie kleine Konzerte, eventuell Lesungen. Wir hatten lange noch die Hoffnung, dass der „Spuk“ bald vorbei sein wird. Wir konnten uns einfach nicht vorstellen, was es für uns als „öffentlichen“ Ort bedeutet, wenn da ein Virus ist, für den es keine Impfung gibt.
Nach der Pressekonferenz von Vizekanzler Kogler und Kulturstaatssekretärin Lunacek steht nun fest, dass wir auch nach dem 30. Juni mit einem Meter Mindestabstand, Desinfektionsmittel und Maske Maßnahmen umzusetzen haben, die einer fruchtbaren Atmosphäre für einen entsprechenden Kulturgenuss ziemlich entgegenstehen. Die Vorgabe von 20m2 pro Person aber würde dem Saumarkt Veranstaltungen überhaupt unmöglich machen. Es könnten dann noch 6 Menschen im Saal sitzen. Wir hoffen hier wirklich auf eine Lösung, die unsere Arbeit nicht so unmöglich macht.
Und noch ein weiterer Aspekt trifft uns jetzt: Proben sind für den Amateurtheaterbereich noch nicht möglich. Unsere Theatergruppen dürfen daher ihre Proben noch nicht wieder aufnehmen. Wie hält man die Saumarkt TheaterKinder da bei der Stange? Wie soll das SeniorInnentheater im Oktober ihre Aufführungstermine einhalten?
Viel Konzeptarbeit, Kommunikation, Verträge für geplante Schwerpunkte wie zum Beispiel die Feldkircher Literaturtage ist jetzt umsonst gewesen. Und in diesen Fällen ist auch nicht klar, ob es sich terminlich noch ausgeht, vielleicht wenigstens Teile davon irgendwann noch umzusetzen. Theaterschaffende im Kindertheaterbereich, die aus Berlin oder Hamburg im März und Anfang April zu uns kommen wollten, zum Teil sehr mühsam Tourneen organisiert hatten, damit sich diese Reise überhaupt lohnt, waren verzweifelt, alle Termine sind ihnen weggebrochen. Es hat ihnen auch nichts genützt, dass wir Ersatztermine im Herbst anbieten wollten, denn sie müssen ja quasi nochmal die Tournee mit all den anderen Veranstaltern rekonstruieren können, was nun erst im Frühjahr 2021 möglich ist. Kulturschaffende aus der Region, die eine ganze Auftrittsserie absagen mussten, haben uns aber Ersatztermine im Rahmen ihrer neuen Planung für den Herbst angeboten.

Finanzielle Verluste

Schwärzler: Könnt Ihr schon Angaben zum finanziellen Schaden machen? Wie kann oder könnte dieser ausgeglichen werden?
Benzer: Bei einer Kulturinitiative spielt das Publikum, das interessierte Gegenüber, das sich mit Kunst und Kultur auseinandersetzen will und begeistern lässt, die Schlüsselrolle. Natürlich kann die Qualität der Kulturarbeit nicht nur an der Quote gemessen werden, weil Aspekte wie Engagement, Begeisterung, Inspiration, Innovation bei Kulturschaffenden, KuratorInnen, Programmgruppen auch eine bedeutende Rolle spielen. Aber mit dem Publikum steht und fällt Zweck und Sinn einer Kulturinitiative. Und die Eintrittsgelder sind ein wichtiger Bestandteil unserer finanziellen Mittel. Die sind aber derzeit nicht vorhanden. Wir hatten zwar im Jänner und Februar dieses Jahres viele sehr gute und gut besuchte Veranstaltungen, aber wir merken natürlich den Einnahmenentgang seit Mitte März trotzdem schon jetzt.
Wir haben an der Bar viel Bier verkauft. Und jetzt laufen gerade die Bierfässchen ab, die wir Ende Februar noch bestellt haben und die die Brauerei nicht zurücknehmen kann, weil sie selbst im Lager noch so viele davon haben, sie aber ohne Zapfanlage in den Haushalten nicht verwendet werden können. Die Einnahmen an der Bar fallen also ebenfalls weg.
Üblicherweise versuchen wir mit den Einnahmen aus den Kartenverkäufen die Honorare der Kulturschaffenden zu bestreiten, was nicht immer möglich ist, wie zum Beispiel bei Lesungen oder Kinderveranstaltungen, wo die Künstlergagen aufgrund von niedrigen und sozialverträglichen Eintrittspreisen die Einnahmen oft bei weitem übersteigen.
Die Kosten für den Betrieb des Hauses mit Infrastruktur und Personal werden durch  Subventionen der Stadt Feldkirch, von Land Vorarlberg und Bund sowie mit Sponsorengeldern von Raiffeisenbank Feldkirch und Sparkasse Feldkirch abgedeckt. Wir können also derweil den Saumarkt erhalten, jedenfalls in einer rudimentären Form. Prinzipiell aber funktioniert der Saumarkt in dieser Größe und Veranstaltungsintensität nur, weil MitarbeiterInnen entweder ehrenamtlich agieren, wie die KuratorInnen und die Vorstandsmitglieder, oder geringfügig beschäftigt sind, wie die Techniker oder die KollegInnen an der Bar und an der Abendkassa. Unsere geringfügig Beschäftigten sind meist seit Jahren im Saumarkt tätig, kennen den Betrieb, engagieren sich weit über „Dienst nach Vorschrift“. Nun brechen da wesentliche Stunden und damit Einkünfte weg, die auch im Rahmen des „Kurzarbeitsmodells“ nicht abzudecken sind.

Die sozialen Aspekte von Kunst und Kultur nicht unterschätzen

Schwärzler: Gibt es auch auf anderen Ebenen negative Auswirkungen? (Oder gar positive?)
Benzer: Man merkt in dieser Zeit die Qualität der unmittelbaren Begegnung mit Kunst und Kultur und welche Bedeutung ihre sozialen Aspekte für eine funktionierende Gesellschaft hat. Das ist nicht nur in den Medien nachzulesen oder wird in Statements von Intellektuellen formuliert, sondern wird uns derzeit auch unmittelbar von ganz unterschiedlichen Menschen kommuniziert. Selbst der Biochemiker Norbert Bischofsberger, der als Experte die vorherrschende bedrohliche Situation einer Pandemie entsprechend einschätzen kann, warnt vor dem gesellschaftlichen „Shutdown“, weil er die soziale Komponente von menschlicher Begegnung und Austausch als so wesentlich einschätzt. Welche Folgen aber das eingeübte „Social Distancing“ auf unser Publikum haben wird, ob ein ungezwungenes gemeinsames Kulturerlebnis in naher Zukunft möglich sein wird bzw. wie sich das wieder umkehren lässt, das sind für uns noch ganz offene Fragen.
Positive Seiten habe ich schon erwähnt, sie liegen tatsächlich darin, dass der bisher übervolle Alltag sich nun entschleunigt und etwas Zeit ist, um über den Status Quo zu reflektieren, neue Ideen zu entwickeln, Konzepte zu schreiben und im Team zu diskutieren, die Schnittstellen zum Digitalen ausbauen usw. – Inhalte, die die Kulturarbeit eigentlich erst so richtig attraktiv machen, aber oft im Tagesgeschäft viel zu kurz kommen.

Direkte Reaktion auf die Corona-Krise

Schwärzler: Wie geht es bei Euch weiter? Wird es durch die Corona-Krise längerfristige Veränderungen geben?
Benzer: Wir haben ein sehr heterogenes Publikum, von Kindern bis SeniorInnen, die Veranstaltungen besuchen, aber auch hier selbst Kulturprojekte umsetzen. Wir werden sicher mit aller Kraft versuchen, diesen Ort in der bisherigen Form der Zugänglichkeit und Verfügbarkeit für die Menschen in der Region zu erhalten und auszubauen. Besonders unseren KuratorInnen aus den Bereichen „Tangenten-Fragen der Zeit“, aus der Literaturgruppe oder den FilmprogrammiererInnen wird es ein Anliegen sein, in ihren Programmen ab Herbst diese Corona Krise in ihrer Auswirkung auf die Gesellschaft auch vielfältig zu reflektieren: AutorInnen, TheoretikerInnen, KünstlerInnen, WissenschafterInnen werden um ihre Beiträge, Statements und Einschätzungen gebeten, die dann im Saumarkt zur Diskussion gestellt werden.
Prinzipiell gilt wohl: Wir werden jetzt noch mehr schätzen, in einem Staat zu leben, der Kunst und Kultur fördert, der zeitgenössisches künstlerisches Schaffen schätzt und finanziert, der den Zugang zu kulturellem Erbe für wichtig erachtet und dem „Kultur für alle“ ein Auftrag ist. Und er wird – so unsere Vision – diesen Auftrag auch in Zukunft mit aller Kraft umsetzen und verteidigen, gegen alle neoliberalen Ansinnen, die aufgrund notwendiger Sparprogramme ganz sicher auf uns zukommen werden.