Aktuell in den Filmclubs (9.5. – 15.5.2025)
Das TaSKino Feldkirch zeigt diese Woche die deutsche Gesellschaftssatire „Was Marielle weiß“, in der ein Mädchen mit telepathischem Wissen über die Taten der Eltern das harmonische Familienbild zerbröckeln lässt. Im Kunstmuseum Liechtenstein in Vaduz steht dagegen mit Agnès Vardas „Les glaneurs et la glaneuse“ ein meisterhafter Essayfilm über das Sammeln auf dem Programm.
Was Marielle weiß: Alles beginnt mit einer in extremer Zeitlupe gefilmten schallenden Ohrfeige, die eine Schulfreundin der 13-jährigen Marielle verpasst. Von nun an kann der Teenager alles sehen und hören, was ihre Eltern machen.
So durchschaut Marielle die Lügen, die beim Abendessen über den Arbeitstag erzählt werden, weiß genau, dass der als Lektor arbeitende Vater im Büro nicht so überlegen und souverän agiert, wie er das zu Hause darstellt, und dass die Mutter mit einem Arbeitskollegen verbal sexuelle Fantasien austauscht. Sukzessive steigert Hambalek in seinem zweiten Spielfilm, der durch in verschiedene Farben getauchte Großaufnahmen von Marielle in Kapitel gegliedert wird, die Handlung, wenn das Wissen Marielles zur Manipulation genutzt wird und auch die unangenehmen Folgen radikaler Ehrlichkeit und Offenheit sichtbar werden.
Wenn Hambalek vor allem am Beginn auch mit Perspektiven arbeitet, die Überwachungskameras nachahmen, thematisiert diese bestechend aufgebaute Versuchsanordnung auch das zunehmende Verschwinden der Privatsphäre in einer Zeit omnipräsenter Kameras, zeichnet aber gleichzeitig und vor allem ein messerscharfes Bild der Heuchelei und Lügen des gehobenen Bürgertums.
Knappe, treffsichere Dialoge, trockener Erzählton und ein bestens harmonierendes Ensemble sorgen dabei bei dieser Komödie, die an Ruben Östlunds „Höhere Gewalt – Turist" oder auch an die Filme von Yorgos Lanthimos erinnert, für intelligente Unterhaltung, bei der einem immer wieder das Lachen im Hals stecken bleiben kann.
TaSKino Feldkirch im Kino GUK: Do 8.5. bis Sa 10.5.
Les glaneurs et la glaneuse: Ausgehend von den realistischen Gemälden Francois Millets („Die Ährenleserinnen") und Jules Bretons („Die Ährenleserin") spürt Agnès Varda in ihrem im Jahr 2000 entstandenen Essayfilm Sammler:innen in unserer modernen Wegwerfgesellschaft auf. In der Stadt folgt sie den Sperrmüllsammler:innen und den Menschen, die ihre Nahrung aus den Müllcontainern oder den Überresten vom Markt beziehen, und auf dem Land findet sie Roma, die die Überreste der Kartoffelernte sammeln.
Elend und Not sind heute Ursachen des Sammelns, doch gleichzeitig ist in dieser Konsumgesellschaft Müll als Kunstwerk auch salonfähig geworden. Andere wiederum sammeln als Hobby wie ein Gourmetkoch und auch Varda selbst sieht sich als Sammlerin, die mit ihrer DV-Kamera Bilder, Gefühle und Eindrücke sammelt. Aber auch Vergänglichkeit wird im Sammeln von verdorbenen und halbverfaulten Lebensmitteln spürbar und wenn die 70-jährige Regisseurin die Kamera lange ihre alte, faltenreiche Hand betrachten lässt, dann wird dieser persönliche Film auch zu einer Reflexion über das Altern und die Unentrinnbarkeit des eigenen Vergehens.
Quer durch Frankreich ist Varda gereist, sieht den LKW auf den Landstraßen und Autobahnen nach und erkennt doch, dass sie weit mehr als den Müll die Menschen, die dahinter stehen, liebt. Eine Reise durch unsere Kultur ist dieser Film auch, dicht bepackt mit kleinsten Porträts, unglaublich reich an Facetten – ein wunderbares Panoptikum des Sammelns und Wegwerfens und von an den Rand der Gesellschaft gedrängten Menschen.
Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz: Mi 14.5., 17.00 Uhr
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