"Rickerl – Musik is höchstens a Hobby" derzeit in den Vorarlberger Kinos (Foto: 2010 Entertainment / Giganten Film)
Fritz Jurmann · 30. Nov 2014 ·

„Irish Christmas“ bei den Bregenzer Meisterkonzerten – Mit feinsinniger Pianokultur in die Zeit der stillen Erwartung

In Bregenz konnte man es heuer wieder mal nicht erwarten mit dem Start des lange ersehnten Weihnachtsgeschäftes. Schon zehn Tage vor dem ersten Adventssonntag hat man als vermutlich erste Gemeinde des Landes den Christbaum am Leutbühel feierlich illuminiert und damit den Weihnachtsmarkt eröffnet. Da lob ich mir die städtische Kulturabteilung, die im Rahmen ihrer Meisterkonzerte einen Abend unter dem Motto „Irish Christmas“ genau auf das erste Advent-Wochenende ansetzte und dort mit einem exquisiten musikalischen Weihnachts-Special begeistern konnte – weit entfernt von allen gängigen Kitschorgien, wie sie uns dieser Tage auf Schritt und Tritt verfolgen.

Ganz ohne Dirigenten


Allein die Verpflichtung des exzellenten „Irish Chamber Orchestra“ bringt dem Publikum im ausverkauften Festspielhaus weihnachtliche Vorfreude, wie man sie in dieser besonderen Art nicht vermutet hätte. Mit einem Programm auch, das in vielem genau dieser Zeit der stillen Erwartung entspricht – dem eigentlichen adventlichen Urgedanken nämlich, wie er in unserer Gesellschaft fast gänzlich verloren gegangen ist. Denn gerade die fast meditative, feinsinnige Pianokultur ihres Spiels ist eine der hervorstechendsten Eigenschaften dieser 18-köpfigen Streichertruppe samt Cembalo, die ganz ohne Dirigenten auskommt und dennoch ein Höchstmaß an verblüffender Präzision, gemeinsamem Atmen und verlöschenden Schlüssen vorexerziert.

Verantwortlich dafür ist die fabulöse Konzertmeisterin Katherine Hunka. Sie hat ihre Leute längst zu einer hoch musikalischen Gemeinschaft eingeschworen, die sich elegant zwischen Barock, Klassik und Romantik bewegt und dabei jedem Stil die besondere Prägung in Spielart, Vibrato, Artikulation verleiht. Die Musiker spielen stehend, mit Ausnahme von Celli und Cembalo, signalisieren damit größte Konzentration und Wachheit in jeder Phase. Dazu kommen eine Geschlossenheit, Qualität und feine Abstimmung des Streicher-Wohlklanges, wie man sie selten erlebt. Die Aufstellung vor dem Eisernen Vorhang bringt neben der optischen Präsenz auch akustisch Vorteile.

Barockes als Basis des Programms


Das stabile Gerüst in der für manchen Geschmack etwas zu heterogenen Programmierung des Abends liegt in der Barockmusik, die man als Zuhörer immer als irgendwie weihnachtlich empfindet. Prächtig auftrumpfend in pompöser höfischer Klanglichkeit der Auftakt mit einem fünfsätzigen Concerto grosso von Georg Friedrich Händel, der danach den Vielschreiber Antonio Vivaldi doch einigermaßen blass aussehen lässt. Von ihm muss es bei einem solchen Anlass auch nicht ausgerechnet das ausgelutschte Weihnachtskonzert sein, sondern das als „Pariser Konzert“ unter seinen rund 400 Concerti grossi deklarierte – wenn man eines gehört hat, kennt man ohnedies alle anderen.

Besonders kostbar zelebriert schließlich wird aus diesem Bereich Johann Sebastian Bachs bekanntes Doppelkonzert für Oboe, Violine und Streicher BVW 1060, bei dem sich zu der nun auch solistisch überlegenen Konzertmeisterin Katherine Hunka der eloquente Oboist Dan Bates gesellt. Wunderbar aufeinander abgestimmt entstehen so die virtuosen Dialoge untereinander und mit dem Orchester in den Ecksätzen und als Kernstück des Werkes der intensiv-intime Zwiegesang der beiden Instrumente im dicht ineinander verflochtenen Adagio, einem der schönsten langsamen Sätze Bachs. Das Orchester gelangt über ein heiteres, wunderbar gegen den Strich gebürstetes Mozart-Divertimento bis herauf ins 20. Jahrhundert, mit einem durchschimmernd zarten „Adagio for Strings“ von Samuel Barber und dem Andante festivo von Jean Sibelius.

Tolle Vokaleinlagen


Einen wesentlichen Anteil am Erfolg dieses Abends hat die bei uns unbekannte irische Sopranistin Ailish Tynan, die als Opern- und Liedsängerin durch ihre Bühnenpräsenz ebenso überrascht wie mit ihrer stimmlichen und gestalterischen Vielseitigkeit. Schlicht und fein zurückgenommen stellt sie sich mit der Arie „Ich weiß, dass mein Erlöser lebet“, natürlich im englischen Original, aus Händels „Messias“ und dem „Ave Maria“ der Desdemona aus Giuseppe Verdis „Othello“ vor – eine in allen Registern perfekt ansprechende, gut ausgebildete, kostbare Stimme von vielfältigen Farben und Ausdrucksmöglichkeiten, die bei Bedarf auch den großen Raum des Festspielhauses spielend zu füllen versteht. Eine andere, besonders authentische Spielart ihres Könnens zeigt Tynan in zwei alten, original irischen Weihnachtsliedern, die ihr in der Wärme und im urtümlichen Klangcharakter der Volksmusik von der britischen Insel ganz besonders liegen.

Und dann sollte am Schluss, laut dem ursprünglichen Programm der Meisterkonzerte, eigentlich das Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“ folgen. Doch da hat der Veranstalter Stil und Geschmack bewiesen, rechtzeitig die Reißleine gezogen und dieses Lied durch das bei uns in der Version von Joan Baez unvergesslich gewordene „O Holy Night“ von Adolphe Adam ersetzen lassen. Ein „Stille Nacht“ gute drei Wochen vor dem Heiligen Abend wäre fast so schlimm gewesen wie der verfrühte Bregenzer Weihnachtsmarkt.

 

Nächstes Bregenzer Meisterkonzert: So, 25. Jänner 2015, 19.30 Uhr, Festspielhaus
Wiener Symphoniker, Dirigent Jukka-Pekka Saraste, Marina Piccinini, Flöte
Werke von Jean Sibelius, Carl August Nielsen, Peter Iljitsch Tschaikowsky