Musiker:innen aus Südafrika und Kolumbien prägen den besonderen Charakter des Pforte Kammerorchesters Plus. (Foto: Aron Polcsik)
Karlheinz Pichler · 28. Nov 2014 · Literatur

„Rotzfrech und nachtragend“ - Gerold Hirn schließt Galerie und rechnet mit seinen Gegnern ab

Im Jahre 1989 hat der Feldkircher Rechtsanwalt und Künstler Gerold Hirn in Feldkirch die Galerie Sechzig gegründet. Jetzt, 25 Jahre und 160 Ausstellungen später, zieht er den Schlussstrich. Eine Werkschau der noch sehr jungen, aus Schruns stammenden Künstlerin Katharina Kessler, die am 28. November endete, markierte das letzte Kapitel einer für Vorarlberger Verhältnisse doch sehr langen Galerientätigkeit. Ein interessanter Zufall wollte es, dass die Räumlichkeiten seinerzeit mit einer Ausstellung von Christian Ludwig Attersee eröffnet wurden und jetzt mit einer Präsentation von Werken einer seiner Schülerinnen, eben Katharina Kessler, die Galerientätigkeit ihr Ende gefunden hat. Dazwischen gab es ein abwechslungsreiches Programm, mit dem Hirn, wie er sagt, eine Parität zwischen internationaler, nationaler und regionaler Kunst verfolgte. Als Beispiele für die überregionalen Positionen, die er nach Feldkirch holte, sei beispielsweise auf Gunter Uecker (D), Antoni Tapies (E), Richard Serra (USA), Bruno Gironcoli (A), Hermann Nitsch (A), Oswald Oberhuber (A), Walter Dahn (D), Felix Droese (D) oder Diter Roth (CH) verwiesen. Keine andere Vorarlberger Galerie kann mit solch einer Dichte an bekannten Namen auf der Ausstellungschronologie Schritt halten. Aber auch viele Vorarlberger Statements wurden gezeigt, so etwa Karl-Heinz Ströhle, Willi Kopf, Gottfried Bechtold, Christoph Lissy, FLATZ, Stoph Sauter oder Arno Egger.

Mangelndes Interesse


Die Gründe für die Schließung des kommerziellen Galerienbetriebes sind mannigfach. Zum einen begeht Hirn im Mai nächsten Jahres seinen 70. Geburtstag. Vom Anwaltsberuf hat er sich bereits in den Ruhestand verabschiedet, das Ende der Galerie bedeutet ein weiteres Zurückrudern. Hirn macht aber nicht nur das Alter dafür ausschlaggebend, sondern speziell auch das mangelnde Interesse an den Galerien im Land. In jedem Ort und an jedem Fleck im Land gäbe es mittlerweile bereits Ausstellungsmöglichkeiten, es bedürfe der Galerien nicht mehr. Zudem habe er das ewige Verhandeln mit der Künstlerschaft satt, vor allem, wenn es sich um Pedanten handle, und auch das aufwändige Ein- und Auspacken der Kunstwerke, der Versand, das Ausbessern der Räume nach den Ausstellungen. Auch habe die Galerie eine schlechte Lage, da sie sich außerhalb des Stadtzentrums befände. Es gebe daher kein Laufpublikum. Des Weiteren bekrittelt er die Interesselosigkeit der Kulturpolitiker. Seit den Zeiten von Guntram Lins und Hans-Peter Bischof habe sich nie mehr ein Kulturlandesrat in die Galerie 60 verirrt. Das werfe ein bezeichnendes Licht auf die Kulturpolitiker Vorarlbergs.

Ganz aus dem Blickwinkel der Öffentlichkeit verschwinden sollen die Schauräume in der Backsteinvilla von Gerold und Sabine Hirn aber dennoch nicht. Denn die beiden planen eine Art Kunstsalon, der auf Vereinsbasis geführt werden soll. Ohne Zwänge von außen sollen kulturelle Veranstaltungen jeglicher Art durchgeführt werden. Das können Lesungen genauso sein wie musikalische Aufführungen, Bilderausstellungen oder Vorträge. Auch karitativen Events wollen sich die Hirns nicht verschließen.

Wie Gerold Hirn im Gespräch mit KULTUR betont, will er sich künftig verstärkt dem Reisen widmen. In diesem Jahr standen bereits Besuche in China, in den USA und im Oman auf dem Programm. Und aber auch der eigenen Kunst. Er male derzeit wie ein Besessener. Zu seinem 70. Geburtstag widmet ihm seine Heimatstadt Feldkirch denn auch eine große Ausstellung im Palais Liechtenstein. Auch eine umfassende Monografie soll zu diesem Anlass herauskommen.

Hirnsprünge


Obwohl Gerold Hirn in den letzten Jahren mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte, steckt er nach wie vor voller Energien und Tatendrang. Das beweist auch seine umfangreiche Biografie, an der er die letzten zwei Jahre gearbeitet hat und die unter dem Titel „Hirnsprünge“ ab 1. Dezember im Buchhandel erhältlich sein wird. Biografie ist eigentlich untertrieben. Es ist ein breit angelegtes Sitten- und Gesellschaftsbild, das bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht. Denn Hirn breitet in diesem Buch auch die Geschichte der „Sippe der Hirn“ aus und erzählt sie mit unzähligen Seitenhieben auf gesellschaftliche Vorgänge. Am Beginn dieses Kapitels heißt es: „Wir sind ein uraltes Geschlecht. Urälter als die braven, verarmten Feldkircher Adelsfamilien, deren Namen denkmalgeschützt immer noch heimische Hauswände zieren. Allerdings ist der älteste urkundlich nachgewiesene Agnat unserer Großfamilie erst Thomas Hirn, der 1658 als Sohn von Peter Hirn in Mieming geboren wurde. Davor reicht die Sippschaft sicher noch zwei Jahrhunderte und etliche Generationen zurück.“

Das ganze Buch strotzt durchgängig von Süffisanz, Zynismus und Angriffslust. Es ist gespickt mit Weisheiten, Informationen und kulturellen Einsichten, die Hirn ein großes Wissen und einen großen Erfahrungsschatz bescheinigen. Er schreibt über alltagskulturelle Prozesse wie das „Händewaschen nach dem Pissen“ genauso wie über Hinweise, dass etwa der Impressionismus nur durch die Erfindung der Farbtube möglich wurde.

Insgesamt will Gerold Hirn in seinen Hirnsprüngen „rotzfrech und nachtragend“ sein. Hirn: „Ich trage den Leuten Sachen nach, die schon vor 30 Jahren passiert sind.“ Aufgrund seiner Attacken auf Personen in Politik, Gesellschaft und Kunst rechnet er mit einem „Shitstorm“ und etlichen Anzeigen. Eine Breitseite verpasste er auch der Vorarlberger Berufsvereinigung Bildender Künstler, die ihm die Aufnahme verweigert hat. So heißt es in der Biografie etwa über den Präsidenten der Künstlervereinigung (Willi Meusburger, Anm. d. Red.) untergriffig: „Einige unserer Künstler goutieren das Gehabe des walrossschnäuzigen Präsidenten, dessen Erscheinung ich unerklärlicherweise immer mit ‚Lux’ assoziiere (Seife oder Erleuchtung? Vielleicht eine ‚unwillkürliche Erinnerung’ à la Marcel Proust) und dessen Klüngel nicht. Wer solche Fliegenfänger als Krawatten trägt, sich papageienfarbige Hemden überzieht und seine Anzüge bei den Clowns des Zirkus Roncalli ausgeliehen zu haben scheint, wer also solch unverzeihlichen Geschmacksverirrungen erliegt, hat an der Spitze einer vermeintlich elitären Künstlerschaft keinen Platz. Oder er ist signifikantes Aushängeschild für das, was die Gilde tatsächlich zu bieten hat. Vorwürfe, man würde sich im fein sortierten Vorstand Aufträge zuschanzen und nicht ausschreiben, nehme ich nur mit Vorbehalt zur Kenntnis.“

Aufgestoßen ist Hirn die seinerzeitige Begründung der Ablehnung seiner Aufnahme in die Berufsvereinigung, dass er ja Anwalt und nicht Künstler im Beruf sei. Dem setzt Hirn in der Biografie entgegen: „Ich traue mich zu wetten, dass nicht zehn Prozent der Berufskünstler ihr Brot mit Kunst verdienen. Da gab es einen Autohändler, der im Urlaub toskanischen Sand buddelte, um daraus bedeutsame Kunst zu schaffen (Peter Stefan Fehr, Anm. d. Red.) und da gab es einen Konzipienten, ein Angestellter meiner eigenen Kanzlei wohlgemerkt (Heinrich „Rico“ Concin, Anm. d. Red.), der zu meiner Verwunderung plötzlich zum Berufskünstler wurde; er war offensichtlich Springenschmid Nesthäkchen.“

 

Buchpräsentation am 30.11.2014, 11 Uhr, im Hotel Montfort, Galuragasse 7, Feldkirch

Gerold Hirn, Hirnsprünge, Hardcover Schutzumschlag, 528 Seiten, € 24, ISBN 978-3-99018-268-0, Bucher Verlag, Hohenems 2014