Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Karlheinz Pichler · 26. Mär 2018 · Theater

"Buchenwald, Treblinka, Triest – schöne Zeiten! “ (auch in Klagenfurt und Bregenz) – Ute Liepold inszenierte Werner Koflers „Tanzcafé Treblinka“ im Kunsthaus Bregenz

Die Betonwände des KUB und das nachgebaute Amsterdamer Anne-Frank-Haus bildeten am Samstagabend eine kongeniale Kulisse für die einmalige Aufführung des unter die Haut gehenden Stückes „Tanzcafé Treblinka“ von Werner Kofler (1947-2011). Der in Villach geborene Kofler zählt zu den großen österreichischen Sprach- und Gesellschaftskritikern, dessen Beschimpfungen vielfach auch an Thomas Bernhard erinnern. „Tanzcafé Treblinka“ schrieb er 2001 als Auftragswerk des Klagenfurter Stadttheaters. Die von der aus Bregenz stammenden und heute in Klagenfurt lebenden und arbeitenden Regisseurin Ute Liepold einstudierte, vielgelobte Neuinszenierung hatte vergangenes Jahr in den Kammerlichtspielen Klagenfurts Premiere. Gut zum Begleitprogramm von Simon Fujiwaras Installation „Hope House“ passend, brachte sie das Stück als Produktion des Theaters Wolkenflug nun an die Bodenseestadt.

Zwar war die im zweiten Obergeschoss des KUB vorbereitete Bestuhlung gut besetzt, aber eigentlich hätte das Stück viel mehr Zuschauer verdient. Immerhin haben die Anwesenden das Stück am Ende stark akklamiert. Und viele hätten es auch gerne mit Bravo-Rufen quittiert, hielten dies aber aufgrund der Ernsthaftigkeit des Stückes für fehl am Platz.

Inhaltlich geht es im „Tanzcafé Treblinka“ um die Verklärung und die Verdrängung der Zeit des Nationalsozialismus. Ute Liepold hält sich stark an die Textvorlage Koflers, hat aber das Stück etwa um ein Drittel gekürzt. Vor allem konzentrierte sie sich auf die speziell für Klagenfurt relevanten Textbereiche. Dennoch besitzt der Stoff für ganz Österreich Gültigkeit. Denn verdrängt wird nicht nur in Kärnten, Wien oder Linz, sondern in großem Maße auch in Vorarlberg.

Nichts wissen, oder nichts wissen wollen

Das Stück dreht sich um zwei bekannte Kärntner Persönlichkeiten: Odilo Globocnik wurde nach der Besetzung Polens Ende 1939 von Reichsführer SS Heinrich Himmler zum SS- und Polizeiführer für den Distrikt Lublin im Generalgouvernement ernannt. Im Frühjahr 1942 wurde er Leiter der „Aktion Reinhardt“, die die Vernichtung der Juden zum Ziel hatte. Mit Belzec, Sobibor und Treblinka unterstanden ihm alle drei Vernichtungslager. In diesen sind über zwei Millionen Juden fabriksmäßig ermordert worden. Globocnik entging nach dem Krieg einer Verurteilung, indem er sich kurz nach seiner Festnahme 1945 mit Zyankali vergiftete. Zu seinen engen Mitarbeitern im Stab der Aktion Reinhardt gehörte auch sein ebenso aus Kärnten stammender Adjutant und Stabsführer Ernst Lerch. Lerch, als solcher genauso am Tode von Hunderttausenden von Menschen mitverantwortlich, konnte nach Kriegsende bei zwei Gerichtsverhandlungen die Richter davon überzeugen, dass er nicht an den Massenmorden beteiligt gewesen sei und also ein beschauliches Leben führen. So wurde Lerch in den 1970er-Jahren in Klagenfurt nicht wegen seiner Kriegsverbrechen bekannt, sondern weil er dort das beliebte „Tanzcafé Lerch“ betrieb. Dabei handelte es sich um ein gepflegtes Café für gut gestellte Bürger. Aus dem einstigen Massenmörder wurde jemand, der den Leuten gute Manieren beibringen wollte. Eine absurde Ironie. Ein interessantes Detail am Rande ist, dass auch Udo Jürgens im „Tanzcafé Lerch“ seine ersten Auftritte absolvierte. In der Bevölkerung genoss der allseits bekannte Lerch jedenfalls einen hohen Status und die entscheidende Frage ist laut der Regisseurin, ob denn die Menschen nichts von den Verbrechen Lerchs wussten oder ob sie einfach nichts davon wissen wollten.

Zwei aneinandergereihte Monologe

Das Stück selber besteht aus zwei aneinandergereihten Monologen. Gesprochen werden sie von einem älteren und einem jungen Mann, Kofler benannte die Figuren mit „A“ und „B“. Der 1960 in Wien geborene Schauspieler und Kabarettist Marcus Thill („A“) und der aus dem Thüringischen stammende Andreas Jähnert („B“) beherrschen die beiden Rollen meisterhaft. Und Jähnert, Jahrgang 1985, der übrigens bereits 2013 im Kornmarktheater in Shakespeares „Was ihr wollt“ auf Bregenzer Brettern stand, scheint auch gut durchtrainiert zu sein, joggte er während seines Monologs doch durchgehend am Stand.

Im ersten Teil des Stücks berichtet „A“ von „genussvollen Abenden in entbehrungsreicher Zeit“, vom unvergesslichen „Einsatz im Osten“. Er spricht auf den jüngeren „B“ ein, der erst nicht reagiert auf die grausigen Details aus dem Vernichtungslager Treblinka, der nie etwas gehört haben will von Sonderkommandos, von Reichskristallnacht, von SA und SS, „nichts gewusst haben wird“ von den Heldentaten seiner Vorfahren, wie der Ältere im grausam leiernden Futurum exactum höhnt und im lauten, fast geschrienen Tonfall schon das eine und andere Mal an das Tremolo von Hitlers Rhetorik erinnert. Und immer wieder erinnert „A“ an die „schönen Zeiten“ in Buchenwald, Treblinka und Triest. Denn geboren wurde der Wahlkärntner Globocnik ja in Triest. Erst im zweiten Teil springt der Jüngere auf und schreit dem fahrig gequälten kriegslüsternen Greis seine Verweigerung ins Gesicht, sein trotziges Nicht-wissen-Wollen. Aber seine Rede verrät, dass die Ignoranz nur eine künstliche ist. Mit verbissenem Spaß am Beachvolleyball hält er sich die Gespenster fern, will nichts wissen, „selbst wenn davon gehört'“, von den tödlichen Sportveranstaltungen zum Gaudium der SS-Herren von Treblinka.

Wie von Kofler geplant, verzichtet Liepold großteils auf eine Bühnenausstattung. Nur ein Mikrophon, ein einfacher Tisch, auf denen Zetteln liegen, aus denen „A“ hin und wieder zitiert, sowie der Rucksack von „B“, der im ersten Abschnitt nur entrückt dasteht, sind auszumachen. Und nicht zu vergessen das Bauschekleid, dass sich „B“ überzieht, wenn Liepold Ausschnitte aus Mozarts „Zauberflöte“ ins Stück einfließen lässt, die die Monologe grotesk überlagern. Die „Zauberflöte“ nicht von ungefähr. Denn seinerzeit wurde im Klagenfurter Stadttheater die „Kriegswinterzauberflöte“ gespielt, während draußen der Schrecken und der Horror herrschten. Auch einen Song von Udo Jürgens lässt Regisseurin Liepold „A“ und „B“ im Duett singen, um das Verdrängungsbestreben der Menschen zu untermauern, die glauben, dass man nur schöne Musik auf die Vergangenheit drüber legen müsse und alles sei gut.

Nach Ansicht von Werner Kogler ist die Überdeckung des Horrors später vom Sport übernommen worden. Als er das Stück schrieb, war Jörg Haider Landeshauptmann von Kärnten. Dieser hatte absolut kein Interesse daran, die Vergangenheit aufzuarbeiten. Dafür holte er das internationale Beach-Volleyball-Turnier an den Wörthersee, das 2017 allerdings zum letzten Mal ausgetragen wurde.

Kofler hat selber gesagt, dass es um das Nicht-wissen-Wollen gehe. Die heutige Jugend könne es auch nicht mehr hören, meint Ute Liepold. Die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen habe sie versucht, herauszuarbeiten.

Ute Liepold reagiert auf Werner Bundschuh

„Nichts gewusst, nichts gehört“ ist also eines der zentralen Anklagen in Werner Koflers Stück „Tanzcafe Treblinka“. In einem Leserbrief von Werner Bundschuh, dem Obmann der Johann-August-Malin-Gesellschaft, der in der Samstag-VN abgedruckt war, kritisiert er die Ankündigung des Stückes in den VN. Darin stünde, dass das Stück die Verwicklungen von Kärntnern in die Nazi-Vernichtungsmaschinerie sowie ihre Verdrängungsleistung in der Nachkriegszeit behandle. Zu den Verdrängungsleistungen gehören laut Bundschuh bei so einer Gelegenheit wie jetzt aber auch, „nicht darauf hinzuweisen, dass einer der Hauptmassenmörder der 'T4-Reinhardt-Aktion' aus Bregenz stammt: Dr. Irmfried Eberl (1910-1948), Mitglied der schlagenden Burschenschaft Germania Innsbruck und der einzige Arzt, der es zum KZ-Kommandanten gebracht hat. Er wurde im April 1942 'Aufbaukommandant' des Vernichtungslagers Treblinka. Zuvor mordete er als 'Euthanasie-Arzt' in Brandenburg und Bernburg.“

Ute Liepold wurde von ihrer Mutter auf diesen Leserbrief Bundschuhs aufmerksam gemacht. Man darf es der Regisseurin hoch anrechnen, dass sie spontan darauf reagierte und Marcus Thill nach dem Verklingen des Schlussapplauses noch einmal auf die Bühne kommen und eigens den Text dieser Vorarlberger Komponenten ebenfalls „monologisieren“ ließ. Diesen und aber auch andere Teile habe sie bewusst weggelassen, da ihre Inszenierung ja gezielt auf Klagenfurt ausgerichtet sei.