"Rickerl – Musik is höchstens a Hobby" derzeit in den Vorarlberger Kinos (Foto: 2010 Entertainment / Giganten Film)
Willibald Feinig · 16. Sep 2015 · Literatur

Der Geschmack von Fabriksarbeit - „Unsere Fabrik – Our Factory“ – Ein Fotoband von Petra Rainer

In elf Vorarlberger Fabriken, die Textilien, Nahrungs-, Genuss- und Leuchtmittel herstellen, hat die Fotografin Petra Rainer (aus Saalfelden am Steinernen Meer, jetzt in Hard lebend) 108 Arbeiterinnen und Arbeiter fotografiert. Auch ihre Werkzeuge, Trinkbecher, Maschinen und Arbeitsplätze, Materialien, Produkte. Dazu manches Mal ihre Füße auf Linoleum oder Terrazzo: Des Menschen Fuß, noch in Pantoffel und Sportschuh ein Wunder, ein Werkzeug der Werkzeuge, entstanden durch das Streben, Mobilität des Tieres und pflanzliches Emporwachsen zu verbinden, aus dem Drang zur Sonne, zur Freiheit. Lebt er auch in den Millionen und Abermillionen unter dem Neonlicht der Maschinenhallen? Denn es gibt sie weiter, selbst wenn seit Langem das Ende des Industriezeitalters verkündet wird, so wie es trotz iPad das Buch weiter gibt, die Ehe, die Druckgrafik, Harke und Haue.

Das Wunder par excellence jedoch, von dem Petra Rainers postindustrielle Monografie Zeugnis ablegt, sind die Hände der arbeitenden Menschen (fast die Hälfte von ihnen tragen türkische Namen), ob sie Frauen gehören oder Männern. Aus ihnen spricht eine Intelligenz, eine Ergebenheit und Geschicktheit zur Arbeit, die ergreift. Mit eigener Hand etwas Nützliches und Nahrhaftes produzieren, selbst in äußerster Arbeitsteilung und Mechanisierung – was für ein Segen! Wie gut, wenn man darin Sinn, daran Geschmack findet.

Verzichtet auf die Klischees


Der 160 Seiten starke Band verzichtet auf die Klischees, die seit Langem um das Stichwort „Fabrik“ herumgeistern. Kein Foto mit Fließband, kaum ein Staubkorn in diesen Hallen zwischen Bludenz und Hard. Die Abgebildeten – ein Anhang erlaubt, sie mit Namen und Arbeitgeber zu identifizieren, Izmeta, scheint mir, habe ich schon einmal getroffen – konnten laut Einführung (aus der Feder der Wirtschafts- und Sozialhistorikerin Barbara Motter) selbst wählen, wie und wo sie in ihrer Fabrik aufgenommen werden wollten: Keine(r) bei einem mechanischen Handgriff oder an der „assembly line“. Bei allen ohne Ausnahme sind die Hände wesentlicher Teil des Portraits. Es sind Ikonen Arbeitender, Marx hätte große Freude daran. Arbeitssuchende würden solche Fotos wohl zu Tränen rühren.

„Unsere Fabrik“ enthält auch Texte von meist jungen Vorarlberger Autorinnen und zwei Autoren, epische Ergänzungen zu den Industriestillleben zwar in Farbe, aber ohne jede Spur von Natur (vom Menschen abgesehen). In ihnen kommen die Wünsche zu Wort, die Nacht, in der Schichtarbeit geleistet wird, die Familie. Das Private, das an der Spindwand und auf dem Tixoroller klebt, beginnt zu sprechen. Manches an den zwölf literarischen Beiträgen mag Bildbeschreibung sein, nicht alles ist ausgereift. Für Muhammet Ali Bas, Jahrgang 1990, wird der Gastarbeiter – der Großvater – zum Lastarbeiter. Die Kartonröllchen bleiben im Gedächtnis, die Käthi in der Stickerei für die Nachbarkinder sammelt (Nina Hofstädter, Lustenauer Idylle), die Essiggurken, von der Ferialerin unter Aufsicht in Gläser gezwängt (Erika Kronabitter), oder die Golatschen aus einem experimentellen Gedicht von Günter Vallaster über „Hülle und Fülle“ bzw. die Herstellung der Topfentascherln bei Ölz, Meisterbäcker, Dornbirn. Hätte ich bei der Firma etwas zu sagen, würde ich das Papier damit bedrucken, in dem die Golatschen verpackt werden.

Einander berühren


Derartiges lässt sich nur schwer übersetzen. Trotzdem hat es Marie-Rose Rodewald-Cerha übernommen, nicht ohne Glück; der volle Titel des Buches lautet, wie es sich in Zeiten globalisierten Wirtschaftens gehört, „Unsere Fabrik – Our Factory“. Dennoch ist es ein Vorarlberger (pardon „mitteleuropäisches“) Buch, würdig der Tradition, wie sie die Industrie- und Gastarbeiterfotografie etwa eines Nikolaus Walter vorgibt, aber deutlich verschieden davon. Nicht zuletzt wegen des Layouts von Nina Fischer und Angelika Mathis. Sie taten mit vielen der digitalen Farbfotos von Petra Rainer das, was aus Prosa Lyrik macht: Sie lassen sie einander berühren und haben sie gebrochen - die Fotos gehen beim Umblättern weiter.

 

Petra Rainer, Unsere Fabrik – Our Factory. Farbfotografien, mit Texten von Linda Achberger, Muhammet Ali Bas, Kadisha Belfiore, Lina Hofstädter, Erika Kronabitter, Yasemin Meteer, Theresia Moosbrugger, Barbara Motter, Maya Rinderer, Sarah Rinderer, Günter Vallaster und Christina Walker (deutsch und englisch), Hardcover, 160 Seiten, EUR 29, ISBN 978-3-99018-277-2, Bucher Verlag, 2015