Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Karlheinz Pichler · 27. Sep 2015 · Ausstellung

Die Ikone des schlechten Geschmacks – John Waters im Kunsthaus Zürich

Der Ruf des amerikanischen Regisseurs John Waters als „King of Trash“ und als König des Kitschkinos ist bereits legendär. Mit radikalen Filmen wie „Pink Flamingos“ oder „Hairspray“ hat er die Ästhetik des unabhängigen Kinos maßgeblich beeinflusst und zu einer Kultfigur gemacht. Dass sich die „Ikone des schlechten Geschmacks“ neben seinen Tätigkeiten als Regisseur, Schauspieler und Buchautor aber auch sehr intensiv mit bildender Kunst auseinandergesetzt hat, war bislang nur Insidern bekannt. Im Kunsthaus Zürich kann man derzeit anhand von 40 ausgestellten Werken überprüfen, dass Waters auch in diesem Metier eine ganz eigene Bildsprache entwickelt hat, auch wenn diese Fotoarbeiten, Collagen und Skulpturen nicht annähernd für solche Aufreger sorgen können, wie ihm dies mit seinem filmischen Schaffen immer wieder gelungen ist.

Die vom Kunsthaus Zürich präsentierten Arbeiten stammen sämtlich aus der Sammlung von Waters Schweizer Freund This Brunner, der sie dem Kunsthaus als Schenkung übertragen hat. Brunner gilt als einer in der Welt der Filmstars bestens vernetzten Cineasten, der enge Kontakte zu Waters pflegt und sich wie dieser offen zur Homosexualität bekennt. Brunner war 35 Jahre lang als künstlerischer Leiter der Zürcher Arthouse-Kinos tätig und revolutionierte gleichsam die Schweizer Kino-Szene. So holte er Anfang der 1970er-Jahre Andy Warhols frühe Untergrundfilme nach Zürich, und zeigte auch Fassbinder und Herzog. Es waren die ersten Nocturnes in der Stadt an der Limmat.

Bezeichnenderweise lautet der Titel der John-Waters-Schau im Kunsthaus „How much can you take?“ – Wie viel können Sie vertragen? Und dieser kommt nicht von ungefähr. Denn wer sich näher mit John Waters beschäftigt, muss mitunter einiges aushalten können. In der berüchtigten Schlussszene seines Streifens „Pink Flamingos“ von 1972 beispielsweise schiebt sich der Hauptdarsteller, die Drag Queen Divine, live und ohne Schnitt ein Stückchen Hundekacke in den Mund. Mit dieser Rolle machte Waters den Transvestiten Divine zum Underground-Star. Aber auch mit anderen Streifen wie „Female trouble“ (1974) provozierte Waters das Fußvolk.

Trashisierung der Kultur


Bekannt geworden ist der 1946 geborene John Waters in den umtriebigen 1960er und 1970er Jahren, also mit Filmen, die mit ihren Tabubrüchen die Grenzen des damals herrschenden guten Geschmacks ohne Rücksicht auf Verluste überschritten hatten. Mit seinen cineastischen Beiträgen kämpfte Waters mit Ironie, groteskem Humor und durchaus erfolgreich für eine Trashisierung der Kultur. Unter seiner Federführung nahmen banale, triviale, primitive Geschichten das Elitäre und Hochglänzende in Kunst und Gesellschaft auf die Schippe. Typisch war auch die billige Machart im Schnellschussverfahren. Die Produktion von „Pink Flamingos“ kostete beispielsweise ganze 12.000 Dollar und wurde an wenigen Wochenenden gedreht.

Bezüglich des Geschmacks konstatiert Waters: „Ich glaube schon, dass ich einen guten Geschmack habe. Ich kenne mich auch mit schlechtem aus. Aber dazu muss man alle Regeln des guten Geschmacks kennen, und die haben mir meine Eltern sehr sorgfältig beigebracht. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum ich dagegen rebellierte. Das war fast schon faschistisch, dieser gute Geschmack, mit dem ich aufgewachsen bin.“ Aber er sei dankbar dafür, denn man könne keinen Spaß an schlechtem Geschmack haben, wenn man nicht die Regeln kenne, die man dazu brechen müsse, sagt der Amerikaner. Er selber legt denn auch stets ein erlesenes Benehmen an den Tag. Sein Markenzeichen ist ein hauchdünner, wie mit einem Eyeliner gezogener Oberlippenbart, und er gibt sich wie ein Gentleman von ausgesuchter Liebenswürdigkeit.

Der Reiz des Verbotenen


Waters hat in den frühen 1990er-Jahren damit begonnen, anhand von Fotoarbeiten, Skulpturen und Collagen auch an einem bildnerischen Kosmos zu arbeiten. Die ausgestellten Werke zeugen davon, dass Waters künstlerische Strategie der filmischen folgt. Der Zahn der Zeit allerdings hat viele Arbeiten hinsichtlich ihrer ursprünglichen Bissigkeit und Skandalträchtigkeit entschärft. Was hingegen geblieben ist, ist der ironische Grundgehalt, der seine Arbeiten prägt. Und noch heute reizen John Waters vor allem Dinge, die verboten sind und all dasjenige, das moralische Grundsätze in Frage stellt.

Eine Fotoarbeit bestehend aus 12 C-Prints betitelt sich etwa mit „No smoking“ (2006) und zeigt Filmgrößen wie Bette Davis, Humphrey Bogart oder Lauren Bacall beim genussvollen Rauchen. Und bei den Wahlen von 2004 schrieb Waters auf seinen „Campaign Button“, der mit einem Durchmesser von 1,5 Metern die Rückwand des Ausstellungssaal dominiert, „Have SEX IN A VOTING BOOTH!“. Es ist also eine schräge Empfehlung zum Sex in der Wahlkabine, die heute aber wohl kaum mehr jemand in Aufruhr versetzen wird.

Waters zeigt auch die einst vom Grabmal des von ihm verehrten Dichters Jean Genet gestohlene Marmorplatte. Die unechte Kopie soll wohl eine Anspielung auf die Souvenir-Jäger sein, die auch vor Grabschändung nicht zurückschrecken. Zu sehen ist auch eine Serie von Standfotos mit dem Gesicht von Audrey Hepburn, dem American Darling, in unterschiedlichen Posen. Stets ist die Haut der Filmikone mit künstlichen Knutschflecken übersät. Oder kitschige Porzellanteller mit barbiehaft hochtoupierten Wasserstoff-Blondinen als Motiv. Oder der legendäre Filmhund Lassie, der mit Photoshop in zeitgemäße Form gebracht wurde und in seinem Ausdruck fast Anklänge an Waters selbst evoziert.

John Waters von Müllauto überrollt


Waters Werke leben von bösen Spötteleien, ironischen Kommentaren, zynischen Seitenhieben. Teils sind es Aphorismen für Insider. Der Amerikaner kann aber durchaus auch selbstironisch sein. Als „Beverly Hills John“ etwa präsentiert er sein übertrieben geliftetes Selbstporträt mit wulstig aufgespritzten Lippen. Und eines der neuesten Werke der Ausstellung ist ein grünes Kissen aus Baumwolle, bestickt mit dem Wort „FLOP“. Ob dies als Selbstentlarvung gemeint ist?

Water sagt, er habe sich einmal eine Reihe von Schlagzeilen zu seinem eigenen Tod vorgestellt. Am besten gefallen habe ihm dabei die Zeile „John Waters von Müllauto überrollt“, so der Künstler. Whatever, Trash forever.

 

John Waters: How Much Can You Take?
Kunsthaus Zürich
Bis 1. November 2015
Di/Fr–So 10–18, Mi/Do 10–20
www.kunsthaus.ch