Von Geizkrägen und Erbschleichern
Brigitte Fassbaender inszenierte beim Opernstudio der Festspiele mit starker Handschrift.
Das war am Montagabend am ausverkauften Kornmarkt wieder jenes besondere Erlebnis, das man sich beim diesjährigen Opernstudio auch in ihrem zehnten Jahr in Bregenz von der „unvergleichlichen und einzigartigen Brigitte Fassbaender“ (Copyright Elisabeth Sobotka) erwartet hatte. Als Regisseurin hatte sie mit lockerer Hand, klugem Geist und verschmitztem Lächeln alle Fäden in der Hand. Das „kleine Bregenzer Opernhaus“, wie man das Theater am Kornmarkt auch gerne nennt, geriet am Ende ob dieser ungemein fantasievoll inszenierten beiden Operneinakter schier aus dem Häuschen.
Getragen wurden sie von einer erstklassigen jungen Besetzung mit 14 außerordentlich begabten, hungrigen Protagnist:innen aus dem Opernstudio der Staatsoper Unter den Linden Berlin und einem fantastisch aufspielenden Symphonieorchester Vorarlberg unter Claire Levacher. Ein Bombenerfolg für die Festspiele und ein weit stimmigeres, überzeugenderes Theatererlebnis als die Bauchlandung, die Philipp Stölzl heuer am See mit seinem zeitgeistig aufgemotzten „Freischütz“ hingelegt hat.
Zunächst gilt unsere Verehrung, unsere Anerkennung zuvorderst der Grande Dame der Oper, der einstig viel gerühmten Mezzosopranistin Brigitte Fassbaender, die mit ihren 85 Jahren (das darf man in diesem Fall sagen!) nun als Regisseurin nicht weniger Lorbeeren erntet. Die bereits bei den Proben fit wie ein Turnschuh zwischen Wagners „Ring“ in Erl und den beiden Einaktern in Bregenz hin und her switcht und jeweils unangefochten Höchstleistungen erreicht. Kein Wunder, bringt sie doch in dieser Funktion die Erfahrung eines langen und erfolgreichen Sängerlebens ein, ist auch im Opernstudio mit jungen Kräften eine erfahrene, kluge Meisterin, weil sie die Opera buffa absolut ernst nimmt und auch bei der größten Komik keinen Spaß versteht. Der von ihr präferierte, oft eher verhaltene oder doppelbödige Humor ist keine billige Schenkelklopfpartie, sondern Vergnügen und Spaß auf höchstem Niveau.
Besondere Werkwahl
Allein die Werkwahl ist bei Brigitte Fassbaender schon außer der Norm. Neben der im Opernbereich vielfacht getätigten Kombination der beiden Kurzopern „Cavalleria rusticana“ von Mascagni und „Der Bajazzo“ von Leoncavallo hat man ein solches Zusammenführen zweier Werke bisher kaum erlebt. Hier „Der Ehevertrag“, der heute kaum bekannte, noch nicht zu voller Meisterschaft erblühte Opernerstling des 18-jährigen Gioacchino Rossini von 1810, dort Giacomo Puccinis weit bekannterer und griffigerer „Gianni Schicchi“, uraufgeführt 1918 in New York, bei dem sich der Normalverbraucher zunächst einmal mit der richtigen Aussprache recht schwertut, die man beherrschen sollte, wenn man gesellschaftlich „dazugehören“ möchte (korrekt: „Dschanni Skiki“).
Diese Paarung zweier Werke ist nicht ohne Risiko, denn immerhin liegen über einhundert Jahre zwischen ihrer Entstehung, Welten also in der Entwicklung des Opernbetriebes. Noch weit größer als der zeitliche Abstand ist die stilistische Kluft, die die beiden Werke trennt. Hier eine hörbar noch von Mozart und Cimarosa geprägte Belcanto-Oper in Rossinis Handschrift, dort bei Puccinis einzigem heiteren Musiktheaterwerk ein völlig anderes Genre, eine musikalische Komödie, der man das 20. Jahrhundert mit deutlichen Anspielungen an die Moderne bereits anhört. Was die beiden Werke verbindet, ist ihre inhaltliche Ähnlichkeit: In beiden Fällen geht es um Liebe und Habgier in jeweils unterschiedlicher, durchwegs humorvoller Deutung und Verpackung.
Leichte und schwerere Kost
Doch bei der Premiere geht dieses Konzept auf. Man genießt am Beginn mit Schmunzeln das leichte, manchmal etwas unbeholfene Öperchen „Der Ehevertrag“ von Rossini, das in unserer Zeit spielt und dem Brigitte Fassbaender trotz seiner stereotypen Handlung ordentlich Beine gemacht hat. Da scheut sich der geizige Geschäftsmann Tobia Mill (stimmige Charakterstudie: der russisch-griechische Bariton Dionysios Avgerinos) nicht vor fragwürdigen Geschäften und möchte seine eigene Tochter an den aus Kanada angereisten Geschäftspartner Slook (im Exotenlook originell: der italienische Bariton Francesco Auriemma) veräußern. Es kommt zu den üblichen Missverständnissen und versuchten Duellen, bis sich endlich, nach über einer Stunde, alles in Wohlgefallen auflöst und sich die beiden kriegen, die von vornherein dafür bestimmt waren, nämlich Fanni und Edoardo Milfort. Die beiden, dargestellt von der türkischen Sopranistin Idil Kutay und dem italienischen Tenor Francesco Lucii, machen spielfreudig stimmlich mit glänzenden Koloraturen absolut gute Figur. Die niederländische Mezzosopranistin Liza Vjera Lozica und der österreichische Bass Maximilian Bell ergänzen als quickes Buffopaar Clarina und Norton.
Danach ist man durchaus bereit und begierig auf anspruchsvollere Kost bei Puccinis „Gianni Schicchi“. Die erste Erkenntnis dort ist die Tatsache, dass sich mit einer spannenden Oper hinter diesem Titel weit mehr verbirgt als der einzige Gassenhauer daraus vermuten lässt, „O mio babbino caro“, in der deutschen Übersetzung „Väterchen, teures, höre“. Dieser typische Puccini-Faserschmeichler, auf den sich auch das Bregenzer Publikum einen Abend lang freut, dominierte früher die inzwischen längst entsorgten Radio-Wunschkonzerte.
Parallelen zum Testamentsfälscher-Skandal
Erkenntnis Nummer zwei folgt umgehend: Dass nämlich diese musikalische Komödie in Wirklichkeit eine bitterböse Satire ist, eine Abrechnung mit der Raffgier der Menschen, wenn es um fällige Erbschaften geht. Auch wenn diese Oper vor über einhundert Jahren entstanden ist: Der Begriff „Erbschleicher“ und „Testamentsfälscher“ weckt in diesem Zusammenhang gerade bei uns in Vorarlberg unliebsame Erinnerungen und frappante Parallelen zum sogenannten Testamentsfälscher-Skandal, der das Land seit November 2009 in Bann hielt und dessen Folgen angeblich noch nicht völlig überstanden sind.
Zurück zur Oper, wo Brigitte Fassbaender nun ihr Können an einem komplexeren Beispiel demonstrieren kann. Da entwickelt sich in Spiel ein Tempo und Temperament, das haargenau getimt ist und immer wieder auf musikalische Details Bezug nimmt. In den spannendsten Momenten gibt es dazu „gefrorene Bilder“ mit offenen Mündern und stummen Schreien. Dazu sind diese Figuren von dem bekannten Bühnenausstatter Dietrich von Grebmer alle liebevoll eingekleidet und charakterisiert, mit einer guten Portion Skurrilität und Parodiefreude, für die man immer wieder auch im Musikalischen eine köstliche Entsprechung findet.
Erbberechtigte übers Ohr gehauen
Die Handlung selbst ist ein Ganovenstück ersten Ranges: Nach dem Tod des wohlhabenden Patriziers Buoso Donati versammeln sich die zuvor enterbten Hinterbliebenen an dessen Totenbett. Sie echauffieren sich über das aufgefundene Testament und werden schlussendlich von dem schlauen, abgebrühten Schwerenöter Gianni Schicchi übers Ohr gehauen. Er verteilt als falscher Donati vor dem Notar das Vermögen unter den gierigen Verwandten, vermacht sich jedoch die besten Immobilien kurzerhand selbst. Der englische Bariton Jacob Phillips brilliert in der Titelrolle als großartiger Komödiant, bittet aber das Publikum vor dem Schlussapplaus um mildernde Umstände für sein Verhalten. Idil Kutay verkörpert als Lauretta auch hier wieder sehr überzeugend die weibliche Hauptrolle, ihr Partner diesmal ist der hellstimmige chilenische Tenor Gonzalo Quinchahual als Rinuccio. Für wundervoll dunkle, geheimnisvolle Einschübe sorgt der israelische Mezzo Rommie Rochell als Zita.
Wie überhaupt alle 14 jungen Operntalente aus dem Opernstudio Berlin sich fachgerecht in ihren jeweiligen Rollen nicht nur zurechtfinden, sondern schlagend überzeugen, oft auch in zwei verschiedenen. Das ist schon was, und für manche und manchen sicher ein Sprungbrett in eine Opernkarriere an größeren Häusern, deren Headhunters am Kornmarkt Ausschau nach Frischfleisch für ihre Produktionen halten.
Besonders gefordert in zwei total konträren Stilbereichen ist diesmal auch das Symphonieorchester Vorarlberg unter der versierten Leitung der französischen Dirigentin Claire Levacher, die bisher vor allem in Neuer Musik mit dem SOV zusammengearbeitet hat. Gerade in der trockenen, heiklen Akustik am Kornmarkt, der mit höchster Präzision und Intensität begegnet werden muss, entwickelt das SOV einen transparenten, gut ausgewogenen und klangschönen Sound – mit der notwendigen sprühenden Leichtigkeit bei Rossini und den glühenden Farben bei Puccini.
weitere Vorstellungen: Mi, 14., Fr, 16. und Sa, 17.8., jeweils 19.30 Uhr
Theater am Kornmarkt, Bregenz
www.bregenzerfestspiele.com